Nächste Woche beginnt der erste Akt um eine EU-Reform zur Verwaltung von grenzüberschreitenden Vermögen. Wenn eine Verschärfung zustande kommt, könnte der Zufluss von deutschen Geldern in die Schweizer Banken über die Zeit austrocknen.
Eine geplante Verschärfung von EU-Richtlinien wirft ihre Schatten auf den Schweizer Finanzplatz. Wenn sich die Befürworter einer strikten Kapitalmarkt-Reform durchsetzen, könnte der Betreuung von Kunden aus der EU durch Schweizer Bankinstitute ohne Niederlassung ein Riegel geschoben werden.
Davon betroffen wäre vor allem das Hunderte Milliarden Franken schwere Geschäft mit deutschen Vermögen, die bei Schweizer Banken verbucht werden. Stein des Anstosses ist die deutsche Regelung, wonach Banken von Drittstaaten – wie die Schweiz – eine sogenannte Freistellung erhalten können, wenn sich die Finanzinstitute an bestimmte Regelungen halten und im Heimatland gut überwacht sind.
Das Ticket für Deutschland
Mit dieser Freistellung können Schweizer Banken in Deutschland proaktiv für die dortigen Gelder werben, ohne im entsprechenden Markt eine Niederlassung zu haben. Für viele Institute, namentlich für Privatbanken und unabhängige Vermögensverwalter, lohnt sich eine Zweitniederlassung rein aus wirtschaftlichen Gründen nicht und entspricht auch kaum dem Geschäftsmodell dieser Häuser. Weniger wichtig ist die Freistellung für Grossbanken, die meist bereits über EU-Tochtergesellschaften verfügen.
Die unterschiedliche Praxis etwa in Deutschland und Italien in Bezug auf Banken von Drittstaaten erklärt sich damit, dass bisher nur die grossen Finanzhäuser Europas einheitlich überwacht werden. Die kleineren Häuser sind dagegen den nationalen Aufsichten unterstellt.
Retourkutsche für den Brexit?
Jetzt hat aber der Wind gedreht und die EU will ihre Bankenaufsicht weiter harmonisieren. Ein Treiber des Kurswechsels in der EU war gemäss Branchenvertretern der Brexit. Die geplanten Verschärfungen seien eigentlich an die Adresse des Vereinigten Königreichs gerichtet; die Schweiz sei lediglich in den Strudel hineingezogen worden.
Wie einschneidend die Reform schliesslich ausfällt, hängt von den Gesprächen zwischen den EU-Organen in den kommenden Monaten ab. Als nächster Termin gesetzt ist der 8. November, wenn sich die EU-Wirtschaftsminister zum ersten Mal über den Vorschlag der EU-Kommission beugen wird. Das ganze Regulierungspaket, das den umstrittenen Zweigniederlassungsbeschluss enthält, soll nach dem Willen der EU bis Ende 2025 unter Dach sein.
Längeres Tauziehen
Welche Seite letztlich die Oberhand gewinnt, ist nach Ansicht der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) noch nicht auszumachen. Wie der Branchenverband auf Anfrage von finews.ch mitteilt, sei die Meinungsbildung in der EU noch im Gang. Der Legislativvorschlag, der auf Oktober 2021 zurückgeht, befinde sich derzeit in der Phase des Gesetzgebungsverfahrens. Dabei könnten das Europäische Parlament und der Rat der EU einzelne Bestimmungen ändern, da sie sich auf einen gemeinsamen Wortlaut einigen müssen.
Die SBVg ist überzeugt, dass die Gewährung des grenzüberschreitenden Marktzugangs in die EU zu offenen und integrierten Märkten beiträgt und daher im Interesse von EU-Investoren und der gesamten EU liegt.
Gegenwehr von kleineren Ländern
Zur selben Einschätzung müsste an sich auch Deutschland gelangen, wo sich die Lösung mit der Freistellung bewährt hat. Kritik gegen eine Verschärfung ist ausserdem von kleineren Staaten zu erwarten, wenn die Niederlassungspflicht in allen EU-Ländern obligatorisch würde. Diese Länder könnten von Finanzierungsquellen abgeschnitten werden, weil grosse ausländische Kreditgeber ausserhalb des EU-Raums wohl kaum bereits sind, für jedes kleine Land eine eigene Niederlassung zu unterhalten.
Als Nichtmitglied kann die Schweiz bei der EU-Regelung nicht direkt mitbestimmen. Sie könnte aber nach Ansicht von Beobachtern Einfluss geltend machen und den Schaden eingrenzen, wenn letztlich nur das Einlagengeschäft, nicht aber die Vermögensverwaltung einer Niederlassungspflicht unterstellt wird.
Wichtiges Standbein gefährdet
Auch wenn der Ausgang des Reformvorhabens noch offen ist: Viele Schweizer Institute sind einem Bericht des deutschen Magazins «Spiegel» zufolge verunsichert, könnte doch bei einem Wegfall der bisherigen liberalen Praxis ein wichtiges Standbein gefährdet werden. Gemäss Branchenzahlen lagen im 2021 insgesamt 2,4 Billionen Franken von Privatkunden aus dem Ausland bei Banken in der Schweiz. Davon könnte ein Fünftel bis ein Viertel nach Schätzungen aus Deutschland stammen; bei kleineren Instituten dürfte dieser Anteil noch deutlich höher liegen.
Sollten sich die Verfechter einer harten Linie durchsetzen und die Freistellung mit Deutschland gestrichen werden, würde es für Schweizer Banken ohne eine Niederlassung in Deutschland viel schwieriger, neue Kunden zu gewinnen und bestehende zu betreuen. So dürfte etwa diese Klientel aus der Schweiz heraus weder aktiv angesprochen werden noch aktiv Werbung geschaltet werden. Dies führt gemäss Experten dazu, dass die Kundengelder wegen Erbfällen oder Ausgaben etwa für Immobilien jährlich um etwa 5 Prozent schrumpfen können.
Passive Kundenansprache nicht tangiert
In keinem Fall tangiert ist indessen die passive Ansprache, also die Betreuung ausländischer Kunden in der Schweiz selber. Viele Deutsche bringen einen Teil ihres Geldes gleich selber in die Schweiz, um der hohen Inflation im EU-Raum oder den geopolitischen Unsicherheiten auszuweichen. Um das Vermögen in Krisenzeiten zu schützen, bietet sich eine Anlage in einer anderen Währung und einem anderen Rechtsraum ebenfalls an.