Auf dem erstmals veröffentlichten Risikomonitor der Finanzmarktaufsicht ist dieser Gefahrenherd eine Überraschung – doch laut der Behörde für die Schweizer Banken nicht minder happig.

Zugegeben, auf der Risikoliste der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) gibt es Kandidaten, die «sexier» klingen. Cyberkriminalität etwa, Geldwäscherei und der viel diskutierte Klimawandel. Doch jene Gefahrenquelle ist deswegen nicht minder «serious», um es in der Muttersprache von Finma-Direktor Mark Branson auszudrücken, der den neuen Risikomonitor am Dienstag vor den Medien präsentierte.

Konkret handelt es sich um die Abschaffung des Referenzzinssatzes Libor (London Interbank Offered Rate), der nach 2008 weltweit in Ungnade fiel, nachdem bekannt geworden war, dass Händler bei verschiedenen Banken diesen zu ihren Gunsten manipuliert hatten. Unter anderem zahlte die UBS eine Milliardenstrafe dafür.

«Absolut substanzielle Volumen»

Der hiesige Franken-Libor gilt dabei wegen seiner relativ geringen Nutzerbasis als besonders reif für eine rasche Ablösung. Bereits vergangenen April führte die Finma deshalb bei den grössten Banken des Landes (Kategorien 1 bis 3) eine Befragung durch, wie die Institute bis 2021 die Ablösung des Libors als Leitzinssatz bewerkstelligen wollen. In der Schweiz folgt auf den Libor voraussichtlich der Saron (Swiss Average Overnight), ein täglich publizierter Durchschnittszins.

Inzwischen liegt die Auswertung der Finma-Umfrage vor. Laut Direktor Branson sind die Banken «ungenügend» auf den Wechsel vorbereitet. Und dabei, mahnte der oberste Finanzaufseher, gehe es um «absolut substanzielle Volumen». Auf der Gefahrenkarte der Behörde ist das Thema rot eingefärbt.

Knacknuss Libor-Hypotheken

Tatsächlich hängen am Referenzzinssatz Unsummen. Die Finma schätzt etwa das betroffene Kontraktvolumen von ausserbörslich gehandelten Derivaten auf 6'600 Milliarden Franken; ebenso hängen am Franken-Libor rund 85 Milliarden Franken an Krediten, darunter auch die an Retailkunden verkaufte Libor-Hypotheken mit variablem Zinssatz.

Während auf der Derivateseite und bei Firmenkrediten den hiesigen Banken meist Finanzprofis gegenüberstehen, birgt das Hypothekargeschäft mit Privatkunden Zündstoff. Mit der Ablösung des Libor werden sich nämlich die Konditionen der Hypotheken verändern – und nur die wenigsten Häuslebauer dürften dies beim Abschluss des Geschäfts begriffen haben.

Die Übungsanlage erinnert darin an die Verluste mit Derivaten, welche die in der Finanzkrise untergegangene US-Bank Lehman Brothers zur Gegenpartei hatten und welche Schweizer Geldhäuser noch lange beschäftigten.

Umstellung der IT

Drohende Rechtsfälle sind dabei nur eine mögliche Risikoquelle; für die Banken ungemütlich sind auch Bewertungsrisiken auf Finanzanlagen in ihren Bilanzen. Ein teures Unterfangen wird schliesslich die Umstellung der IT-Infrastruktur. Hier verlangt die Finma explizit von den Banken, dass sie entsprechende Mittel parat halten.

Wie Branson am Dienstag weiter ausführte, haben die Institute zwar die Problematik erkannt. Zumeist wurden aber erst Projektgruppen gegründet, um das Thema anzugehen. Manche Institute wüssten aktuell nicht einmal, wie viele Libor-Hypotheken sie ausstehend hätten.

Lange Gesichter an der Wall Street

Erschwerend bei der Libor-Abschaffung kommt hinzu, dass es für die Branche nichts zu gewinnen gibt. Die Ablösung kostet die Banken nur Geld und bietet keine Business-Chancen – ausser vielleicht, dass säumige Institute Marktanteile zu verlieren drohen. Wenig hilfreich ist zudem, dass die Libor-Abschaffung ohne scharfe Deadlines und vor allem auf nationale Ebene verläuft. Entsprechend ist mit einigem Chaos zu rechnen.

Immerhin sind die Schweizer Institute mit der Problematik nicht alleine. Wie die Agentur «Bloomberg» unlängst berichtete, erweist sich die Umstellung vom Libor auf den US-Referenzzins SOFR selbst für die Giganten an der Wall Street als ausserordentlich dornenreich.