Im August 2022 geht die Umsetzung des «EU Action Plan on Sustainable Finance» in eine neue Phase. Wie wird sich dies auf die Private-Banking-Branche auswirken und welche Entwicklungen sind im Bereich nachhaltiger Geldanlagen zu erwarten? Eine Einschätzung von Christopher Greenwald, Head Sustainable Investing bei der LGT Bank Schweiz, als Gastbeitrag auf finews.ch.
Der Anteil nachhaltiger Anlagen ist in den letzten drei Jahren exponentiell gewachsen – vor allem bei institutionellen Anlegern. Obwohl auch Privatkunden verstärkt Interesse zeigen, ist hier das volle Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Das könnte sich bald ändern.
Der «EU Action Plan on Sustainable Finance» fokussiert sich darauf, nachhaltiges Anlegen zu fördern und den Weg in eine kohlenstoffarme Wirtschaft zu ebnen. Im Zuge dessen sind auch verschiedene Änderungen der Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) vorgesehen. Die neuen Regularien werden in den kommenden Jahren weitreichende Auswirkungen auf die Private-Banking-Branche haben.
Mangelnde Transparenz und fehlendes Wissen
Studien belegen, dass die Zurückhaltung von Privatkunden zwei Hauptgründe hat: mangelnde Transparenz in Bezug auf die Nachhaltigkeit von Anlagen und fehlendes Wissen über die auf dem Markt verfügbaren nachhaltigen Anlagestrategien. Die Aktualisierung der MiFID-II-Richtlinie zielt direkt auf diese Problematik ab.
Ab August müssen in ganz Europa Kunden aktiv nach ihrem Interesse an nachhaltigen Anlagen befragt werden. Basierend auf der jeweiligen Antwort sind die Vermögensverwalter gesetzlich verpflichtet und zugleich in einer besseren Position, ihren Kunden das entsprechend geeignete Angebot zu erläutern. Das wird zu einem Anstieg an nachhaltigen Anlagen führen.
Aber die Richtlinie adressiert im Bereich nachhaltiger Anlagen noch weitere Herausforderungen. Denn die besonders anspruchsvollen Anforderungen von Privatkunden haben das Potenzial, die Qualität nachhaltiger Anlageprodukte auf dem Markt zu erhöhen und Innovationen voranzutreiben.
Greenwashing eindämmen: Strategien mit echter Überzeugungskraft
In erster Linie wird der Anstieg an nachhaltigen Anlagen bei Privatbanken dem Greenwashing im gesamten Finanzsektor entgegenwirken. Denn Privatkunden wählen nachhaltige Anlagestrategien, weil sie ein echtes Interesse daran haben, wettbewerbsfähige Anlagerenditen zu erwirtschaften und gleichzeitig eine positive Auswirkung auf Gesellschaft und Umwelt zu erzielen.
Strategien, die diese Qualitäten nicht aufweisen, werden weder von Privatbanken noch von ihren Kunden ausgewählt werden. Das wird die Debatte über Greenwashing unserer Ansicht nach hinfällig machen. Der natürliche Wettbewerbsdruck wird den Fokus auf die überzeugendsten nachhaltigen Anlagestrategien lenken.
Personalisierung nachhaltiger Lösungen
Zweitens haben die neuen Regularien und der höhere Anteil nachhaltiger Anlagen das Potenzial, die Diskrepanzen und fehlenden Standards zwischen den ESG-Ratingagenturen zu beenden. Führende Privatbanken berücksichtigen dies bereits heute durch ihre eigenen ESG-Bewertungen.
Künftig werden ESG-Ratings und Bewertungsmodelle unserer Ansicht nach zunehmend ergänzt und auf massgeschneiderte, wirkungsorientierte Anlagelösungen ausgerichtet. Die erfolgreichsten Privatbanken werden personalisierte, nachhaltige Anlagelösungen bieten, die es den Kunden ermöglichen, ihre Portfolios nach ihren eigenen Wertvorstellungen zu optimieren. Das wird zu qualitativ hochwertigeren Daten führen, die die Grundlage für massgeschneiderte nachhaltige Anlagelösungen bilden.
Aktives Engagement: neues Kapitel im positiven Wandel
Als Folge der anstehenden Änderungen werden wir zudem eine neue Etappe im Bereich Anlegerverantwortung erreichen. Privatkunden erhalten neue Möglichkeiten, ihre Stimmrechte auszuüben und sich gemeinsam mit den Unternehmen im Nachhaltigkeitsbereich zu engagieren.
Derzeit üben viele Privatanleger ihre Stimmrechte bei Aktionärsversammlungen nicht aus. Das ist ein beträchtliches ungenutztes Potenzial. Privatbanken werden unserer Überzeugung nach zunehmend für ihre Kunden die Umsetzung von Nachhaltigkeitsinitiativen übernehmen.
Mainstream im Private Banking
Indem sie sich mit der Geschäftsleitung der einzelnen Unternehmen in Nachhaltigkeitsfragen auseinandersetzen, treiben sie den gewünschten Wandel in der Praxis voran. Dieses Engagement ist die wirkungsvollste Möglichkeit, nachhaltig zu investieren und den Weg hin zu einer kohlenstoffarmen und nachhaltigeren Wirtschaft zu beschreiten.
Die neuen EU-Vorschriften haben das einzigartige Potenzial, das Kundeninteresse an nachhaltigen Anlagen besser zu erkennen und zu erfassen. Dies wird es nicht nur der Branche, sondern jedem einzelnen Anleger ermöglichen, Vermögen aktiver einzusetzen und positive Veränderungen voranzutreiben. Nachhaltiges Anlegen wird künftig auch im Bereich des Private Banking zum Mainstream werden.