Erst mit der Coronakrise hätten die Banken wirklich erkannt, welche transformative Wirkung Fintechs auf ihr Geschäft haben, sagt Daniel Hurley, Schwellenländer-Spezialist bei T. Rowe Price, im Interview mit finews.ch.


Herr Hurley, wie unterscheidet sich Fintech in Schwellenländern im Vergleich zur industrialisierten Welt?

Die fehlende Infrastruktur und die weite Verbreitung von Mobiltelefonen prädestinieren die Schwellenländer für alternative Finanzlösungen, da die Verbreitung von klassischen Bank- und Versicherungsdienstleistungen meist gering ist.

Mobile Lösungen sind in den aufstrebenden Staaten zu etwas wie eine «Lebensader». Denn der mangelhafte Zugang ist für die Menschen dort ein sehr reales Problem. Konsumenten, die in diesen Märkten Zugang zum Internet haben, stellen fest, dass sie sich durch Fintech-Dienste Mittel, die sie für ihre Geschäftsaktivitäten oder ihren Lebensunterhalt dringend benötigen, sehr schnell beschaffen können.

Welche Regionen weisen bereits ein Fintech-Ökosystem auf?

Asien ist die Speerspitze der Fintech-Revolution. Die Akzeptanz von Finanztechnologieprodukten und -dienstleistungen unter Verbrauchern ist dort am grössten. Doch andere Regionen holen auf und bieten ein erhebliches Potenzial.

«In Afrika gibt es aktuell rund 100 Millionen aktive Konten für den mobilen Zahlungsverkehr»

Einer Umfrage von Ernst & Young zufolge, gaben in China und Indien mehr als die Hälfe der online aktiven erwachsenen Konsumenten an, regelmässig Dienstleistungen aus dem Fintech-Bereich in Anspruch zu nehmen.

Afrika wiederum ist weltweit führend im Bereich der mobilen Zahlungslösungen, die aus der Finanzdienstleistungs-Landschaft des Kontinents nicht mehr wegzudenken sind. Etwas mehr als jeder zweite der 282 weltweit tätigen mobilen Zahlungsdienstleister ist in den Ländern der Subsahara ansässig. Ein Bericht von McKinsey deutet darauf hin, dass es in Afrika aktuell rund 100 Millionen aktive Konten für den mobilen Zahlungsverkehr gibt.

Sind es vor allem US- und chinesische Fintechs, die den Markt in den Schwellenländern beherrschen?

Unternehmen wie Alibaba oder Tencent sind die Nutzniesser des enormen Wachstums im Bereich digitaler Geldbörsen, die sich in den Schwellenländern zunehmender Beliebtheit erfreuen.

«Tencent ist die erste reine Online-Bank Chinas»

Ant Financial, eine Tochtergesellschaft des chinesischen E-Commerce-Giganten Alibaba, bietet eine Reihe von Finanzdienstleistungen an, darunter Zahlungen von Dritten und Vermögensverwaltung.

Die zu Tencent gehörende WeBank gehörte zu den ersten Challenger-Banken, die eine Banklizenz erhielten und ist die erste reine Online-Bank Chinas.

Welches sind die spannendsten Fintechs in anderen Schwellenländern?

Pagseguro ist ein brasilianisches Fintech-Unternehmen, das sich auf die Abwicklung von Zahlungen für brasilianische Kleinsthändler und Kleinunternehmen konzentriert. Sie konzentrieren sich erfolgreich auf die unterversorgten kleinen unabhängigen Einzelhändler als Merchant Acquirer, was enorme Chancen bietet.

Eine andere brasilianische Firma ist Stone, die erste und grösste unabhängige Anwerberin von Einzelhändlern in diesem Land. Während sich Pagseguro auf kleinere Händler konzentriert, hat sich Stone auf grössere Händler und Unternehmen konzentriert.

«Mobilfunk- und Cloud-Technologien können eine wichtige Lösung für die Auszahlung von Löhnen sein»

Sobald sie erfolgreich eine Beziehung als Zahlungsabwickler aufgebaut haben, können sie zusätzliche Kredit- und Bankdienstleistungen anbieten. Dies stellt vor dem Hintergrund der Vielzahl an Menschen mit fehlendem Zugang zu Banken in Brasilien eine bedeutende Opportunität dar.

Welche Konsumenten-Bedürfnisse erfüllen Fintechs in Schwellenländern am vordringlichsten?

Mobilfunk- und Cloud-Technologien können eine Lösung für die Auszahlung von Löhnen sein, was bisweilen ein echtes Problem darstellt. Bis vor Kurzem war es beispielsweise für Wanderarbeiter in Nairobi schwierig, ihren auf dem Land lebenden Familien einen Teil ihres Lohns zu schicken. Nun funktioniert dies praktisch per Knopfdruck.

«Für viele Menschen ist das Smartphone die einzige Möglichkeit, Zugang zu wichtigen Diensten zu erhalten»

Bedarf besteht zudem angesichts der geringen Verbreitung traditioneller Bank- und Versicherungsdienstleistungen. In vielen Fällen haben die Verbraucher herkömmliche Finanzservices einfach übersprungen und greifen stattdessen direkt zu Online-Lösungen.

Für viele Menschen ist das Smartphone die einzige Möglichkeit, Zugang zu Finanztools, Informationen und anderen wichtigen Diensten zu erhalten. Fintech-Unternehmen nutzen dies zu ihrem Vorteil und entwickeln Finanzlösungen, die den spezifischen Anforderungen dieser Märkte gerecht werden.

Gibt es bereits Investitionsmöglichkeiten in Fintechs aus Emerging Markets?

Das lateinamerikanische E-Commerce- und Fintech-Unternehmen MercadoLibre steht mit Blick auf die Steigerung der Marktdurchdringung im Online-Handel an erster Stelle.

Das E-Commerce-Geschäft des Unternehmens ist eine Plattform zur Verbindung von Verkäufern und Käufern von Waren, während sein Fintech-Zweig, Mercado Pago, Online-Zahlungen ähnlich wie Alibaba und Alipay in China annimmt.

Wie wird sich die digitale Finanzwelt weiter entwickeln?

Die Bezahlmöglichkeiten per Software bieten enorme Chancen und könnten die Branche für Zahlungssysteme revolutionieren. Neben software-unterstützten Zahlungssystemen dürften auch Zahlungslösungen im Firmenkundengeschäft (B2B) den Fintech-Sektor grundlegend verändern.

Die Anbieter in diesem Bereich, versuchen die Lücke zu füllen, die Banken durch ihren Rückzug aus dem Kreditgeschäft mit kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) hinterlassen haben. Zugleich offerieren sie Lösungen für die Zahlungsabwicklung und die Optimierung von Arbeitsabläufen.

«Finanzielle Inklusion in den Entwicklungsländern hat während Corona noch mehr an Bedeutung gewonnen»

B2B ist ein mehrere Billionen Dollar schwerer Markt, der in punkto Grösse dem Bereich der Zahlungslösungen für Verbraucher kaum nachsteht. Hier hat die Umstellung von manuellen Arbeitsgängen auf modernere Zahlungstechnologien gerade erst begonnen.

Dies könnte der Zahlungssystem-Branche über Jahre hinweg ein signifikantes Wachstum bescheren. Auch für Finanzinstitute wird Fintech nun allmählich ein Thema, erkennen sie doch zunehmend, welche transformative Wirkung Innovationen auf ihr Geschäft haben kann.

Welchen Einfluss hat Covid-19 auf Fintechs?

Die finanzielle Inklusion in den Entwicklungsländern hat während der Corona-Pandemie noch mehr an Bedeutung gewonnen. Gleichzeitig stellt sich die ganze Welt auf eine neue Realität ein. Für Unternehmen ergeben sich nach der Pandemie unzählige Möglichkeiten daraus . Es wird neue Nischen und spannende Ideen geben.

Die Menschen werden erkennen, dass die digitalen Hilfsmittel, auf die sie in dieser disruptiven Phase gesetzt haben, tatsächlich wichtige Dienste bereitstellen – unabhängig von den Bedingungen. Fintech-Unternehmen können diese Gelegenheit nutzen, um ihre Reputation weiter zu verbessern und letzten Endes gestärkt aus der Krise hervorzugehen.


Daniel Hurley ist Associate Portfolio Specialist, Emerging Markets beim amerikanischen Asset Manager T. Rowe Price.