Eine neue Fluchtgeld-Affäre bahnt sich möglicherweise im Libanon an. Im Zuge der dortigen Finanz- und Wirtschaftskrise sollen seit vergangenem Herbst mehr als 2 Milliarden Dollar in die Schweiz transferiert worden sein. Libanon hat die Schweiz bereits um Rechtshilfe ersucht.

Von Balz Bruppacher, Autor und ehemaliger Chefredaktor der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) in der Schweiz

Ein gutes Pferd springt nicht höher, als es muss. Dieses Sprichwort stellte der Zürcher Strafrechtsprofessor Frank Meyer einer Abhandlung voran, in der er das Mitte 2016 in Kraft getretene Potentatengeldergesetz analysiert. Das Muster, das Nötige zu tun, um das Schlimmste zu vermeiden, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Umgangs der Schweiz mit Potentatengeldern seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts.

Welche Lehren lassen sich daraus ziehen? Erstens ist es eine Illusion, zu glauben, der Zufluss von schmutzigen Geldern auf den hiesigen Finanzplatz liesse sich völlig vermeiden. Es sei denn, die Schweiz verzichtete auf den Anspruch, ein international bedeutender Finanzplatz zu sein.

Dies war selbst nach der Preisgabe des steuerlichen Bankgeheimnisses für Ausländer und der UBS-Krise keine Option. «Bundesrat und Privatsektor sind sich einig, dass die grenzüberschreitende Vermögensverwaltung auf absehbare Zeit ein Kerngeschäft des schweizerischen Finanzplatzes bleiben wird», hielt der Bundesrat Ende 2009 in einem Strategiebericht fest.

Asien als neuer Gefahrenherd

Im vergangenen Jahrzehnt geriet die Schweiz vor allem als Drehscheibe grosser Geldwäschereiskandale in die Schlagzeilen. Schmiergelder in mehrfacher Milliardenhöhe flossen über den Finanzplatz. Dabei rückten neben der systemischen Bestechungskultur in Lateinamerika mit den brasilianischen Konzernen Petrobras und Odebrecht asiatische Player in den Blickpunkt.

Sowohl bei der Plünderung des malaysischen Staatsfonds 1MDB wie auch für das Korruptionsnetzwerk der Tochter des früheren Präsidenten Usbekistans spielten Schweizer Banken eine zentrale Rolle. Die Herkunft zweifelhafter Gelder – und das ist eine zweite Lehre – scheint sich nach Asien zu verlagern. Das Werben um die Superreichen in China, wo die Zahl der neuen Milliardäre dreimal stärker wächst als in den USA, stellt die Compliance-Abteilungen der Banken vor neue Herausforderungen.

Schrecken in der Finanzgemeinde

Einen Schrecken jagte der hiesigen Finanzgemeinde der saudische Kronprinz Mohamed bin Salman ein, als er im November 2017 Dutzende von Prinzen und Angehörige der saudischen Elite wegen Korruptionsverdachts im Hotel Ritz Carlton in Riad festnehmen liess. Darunter der schwerreiche Prinz Al-Waleed bin Talal mit engen Beziehungen zur Schweiz.

Die Statistik der Geldwäscherei-Meldestelle des Bundes lässt darauf schliessen, dass über hundert Meldungen wegen Geldwäscherei-Verdachts betreffend Vermögenswerte von mehr als 7 Milliarden Franken eingingen. Die Bundesanwaltschaft wurde eingeschaltet. Es wurden aber weder Gelder gesperrt noch Strafuntersuchungen eingeleitet. Dank informeller Absprachen gelang es, die Angelegenheit auszusitzen, bis der saudische Kronprinz Ende Januar 2018 von den Betroffenen bis zu 100 Milliarden Dollar kassierte und die Vorwürfe fallen liess.

Geldflüsse aus dem Libanon unter scharfer Beobachtung

Eine neue Fluchtgeldaffäre bahnt sich möglicherweise aus dem Libanon an. Im Zuge der dortigen Finanz- und Wirtschaftskrise sollen seit vergangenem Herbst mehr als 2 Milliarden Dollar in die Schweiz transferiert worden sein. Libanon hat die Schweiz im vergangenen Januar um Rechtshilfe ersucht. Das Bundesamt für Justiz wartet zurzeit auf zusätzliche Informationen der libanesischen Behörden.

Insbesondere ist wichtig, dass die libanesischen Behörden konkrete Hinweise auf die mutmasslich unrechtmässige Herkunft von Vermögenswerten geben sowie darüber, wo diese in der Schweiz deponiert sein könnten, wie der Bundesrat kürzlich auf einen parlamentarischen Vorstoss antwortete. Für eine vorsorgliche Sperre gestützt auf das Potentatengelder-Gesetz fehle es an den Voraussetzungen. Der Bundesrat verfolge die Entwicklung im Libanon aber aufmerksam.

Neues Verständnis

Damit ist auch eine dritte Lehre angesprochen. Sie betrifft das Verhalten der Behörden. Standen die Zeichen nach der Finanzkrise auf Distanz und Regulierung, kann die Finanzbranche inzwischen wieder auf Verständnis und Unterstützung von Regierung und Aufsichtsbehörden zählen.

Finanzminister Ueli Maurer rührt auf Auslandmissionen in China und im Mittleren Osten kräftig die Werbetrommel für den Finanzplatz. Und liest im Inland der aufstrebenden Fintech-Branche die Wünsche von den Lippen ab. Da drohen die Grenzen zu einer staatlichen Industriepolitik zu verschwimmen.

Lobby der Anwälte legt sich quer

Umso wichtiger ist es, dass die Schweiz mit den internationalen Standards zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskriminalität Schritt hält. Und die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörden aufrechterhält. Bedenken weckt in dieser Hinsicht die neue Verordnung des Bundesrats zum Finanzmarktaufsichtsgesetz. Aber auch der Beschluss des Nationalrats vom vergangenen 2. März, nicht auf die Vorschläge des Bundesrats zur Verschärfung des Geldwäschereigesetzes einzutreten.

Der Widerstand kam dabei nicht von den Banken, sondern von den Anwälten, die sich gegen neue Sorgfaltspflichten wehren. Einen Hinweis auf den Nachholbedarf in dieser Branche liefert der Jahresbericht der Geldwäscherei-Meldestelle des Bundes: Gerade mal fünf der insgesamt 7'705 Verdachtsmeldungen stammten 2019 von Anwälten oder Notaren. Last but not least handelt sich die Schweiz durch die Affäre um Bundesanwalt Michael Lauber ein Reputationsproblem ein.


SchatzkammerBalz Bruppacher hat 1976 sein Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen mit dem Lizenziat abgeschlossen. Nach einem Volontariat und einer Korrespondententätigkeit bei der Nachrichtenagentur DDP war er 1981 am Aufbau des Schweizer Dienstes der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) beteiligt. Von Ende 1983 bis Januar 2010 leitete er diesen Dienst als Chefredaktor in Bern. Danach war er im Mandatsverhältnis für verschiedene Zeitungen der NZZ-Gruppe sowie als MAZ-Dozent tätig. Im Jahr 1991 wurde er für eine Artikelserie zum Thema Geldwäscherei mit dem Schweizer Journalistenpreis der Mustermesse Basel ausgezeichnet. Sein Buch «Die Schatzkammer der Diktatoren» (Bild links) ist in diesem Frühjahr im NZZ Libro Verlag erschienen.