Im Anlagegeschäft werden scheinbar präzise Begriffe verwendet. Bei genauerer Betrachtung sind diese aber oft unscharf und suggerieren ein Bild, das nicht der Realität entspricht, wie Stefano Lecchini in einem Gastbeitrag feststellt.
Von Stefano Lecchini, Portfolio Manager bei LGT Captial Partners
Die Begriffe «Bottom-up» und «Top-down» bezeichnen Anlage-Ansätze, die sich bei Aktienstrategien am besten illustrieren lassen. Bei der Auswahl von Aktien nach einem «Bottom-up»-Ansatz nimmt man die einzelnen Unternehmungen unter die Lupe, man analysiert ihre Erträge- und Kosten-Strukturen, ihre Marktstrategie, usw.
Der Analyst versucht damit zu eruieren, wie erfolgreich das Unternehmen in der Zukunft sein wird, indem er die Stärken und Schwächen sowie die Positionierung des Unternehmens bewertet, ohne – so sein Credo – gross auf makroökonomische Zusammenhänge zurückzugreifen.
Aus der Vogelperspektive
Der «Top down»-Ansatz hingegen beruht auf der Einschätzung von makroökonomischen Zusammenhängen, Analysen und Trends. Die daraus resultierende Aktien-Auswahl wird eher von dieser Vogelperspektive als von unternehmensspezifischen Kennzahlen geprägt.
Oft werden diese zwei Begriffe in einem Zusammenhang «entweder/oder» verwendet, und man steht unter dem Eindruck, dass ein Ansatz den anderen ausschliesst: Der «Bottom-up»-Analyst kümmert sich anscheinend nicht gross um das makroökonomische Bild, das heisst, er kann mit einem «Top down»-Ansatz nichts anfangen.
Unbewusst oder versteckt
Allerdings muss man sich fragen, ob die Trennung wirklich so scharf ist: Stellt der «Bottom-up»-Analyst nicht auch makroökonomische Betrachtungen an? Wenn er nämlich die Marktstrategie eines Unternehmens oder dessen Jahresergebnis analysiert, zieht sehr wahrscheinlich auch er die Makro-Brille an, um die Strategie und die Ergebnisse im Markt-Kontext zu bewerten.
In diesem Sinne fliessen also unbewusst oder versteckt «Top-Down»-Betrachtungen mit ein – nur glaubt der Analyst, diese ausblenden zu können. Makro-Ansichten, obwohl nicht explizit als «Top-Down Views» artikuliert, fliessen also durchaus in «Bottom-up»-Analysen ein.
Das ist aber auch erwartbar, da Unternehmen nicht im Vakuum agieren, sondern in die gesamte Marktdynamik eingebettet sind, wo makroökonomische Faktoren eine Rolle spielen. Die Trennung, welche dieses Duo («bottom-up», «top down») suggeriert, ist also weniger scharf als viele denken.
Komplementär – wirklich?
Um den Diversifikationsgrad eines Portfolios zu erhöhen, kann man in verschiedene Anlageklassen investieren. Aber auch innerhalb derselben Anlageklasse werden oft verschiedene Strategien parallel umgesetzt. In diesem zweiten Fall können sich die Ansätze dieser Strategien entlang verschiedener Dimensionen unterscheiden: geographischer Fokus (Europa, Asien, USA, usw.), Anlageuniversum (Sektoren, Instrumente, usw.), Anlagestil (konzentriert vs. breit diversifiziert, höhere oder tiefer Handelsfrequenz, private vs. public, active vs. passive, «top down» vs. «bottom-up» usw.). Solche parallelen Mandate werden als komplementär angesehen.
Der Begriff «komplementär» ist positiv konnotiert. Das heisst, es scheint eine gute Sache zu sein, parallele Mandate umzusetzen, weil sie sich anscheinend sinnvoll ergänzen. Aber parallele Mandate sind nicht per se – nur, weil sie nebeneinander im Portfolio angereiht sind – immer komplementär, oft beinhalten sie Widersprüche oder sind redundant.
Einige Widersprüche
Widersprüche können zum Beispiel auf dem Niveau der Exposures oder des Risiko-Profils entstehen. Die eine Strategie eines Mandats kann zum Beispiel ein Übergewicht in einem Aktiensektor haben, während im parallelen Mandat die andere Strategie in diesem Sektor ein Untergewicht ausweist. Per Saldo resultiert also ein nicht gewünschtes neutrales Exposure.
Ein weiterer Widerspruch kann dann entstehen, wenn die Risiko-Einstellungen der Strategien entgegengesetzt sind. Ein paralleles Mandat könnte auch redundant sein, wenn man nicht realisiert, dass die erwartete Rendite und Volatilität von zwei Mandaten praktisch identisch sind. Eine tiefere Analyse zeigt also, dass parallel nicht unbedingt komplementär bedeutet, weshalb auch dieser Begriff an Schärfe verliert.
Das sind nur zwei Beispiele von Begriffen, die die Investoren durch ihre anscheinend klare Bedeutung in die Irre führen können. Je mehr man sich ihrer Unschärfe bewusst ist, desto aufmerksamer wird man in ihrer Anwendung.
Stefano Lecchini ist Portfolio Manager bei LGT Capital Partners und entwickelt Hedge-Fonds-Lösungen für institutionelle Kunden. Er hat einen Master in Theoretischer Physik an der ETH Zürich und einen Master in Philosophie an der Universität Bern erworben. Nach dem Studium sammelte der Literatur- und Fussballfan erste Erfahrungen im Consulting und Investment Banking.