Ben Bernanke, der einflussreichste Bankier heutzutage, sagte kürzlich, dass niemand wirklich die Goldpreise verstehe, nicht einmal er selbst.
Von Steffen Grosshauser von BullionVault, einem Anbieter von physischem Gold und Silber für private Investoren.
In viktorianischen Zeiten war es der reichste Mann Europas und Gold-Broker N.M. Rothschild, der es zumindest versuchte. «Ich kenne nur zwei Menschen, die den Wert von Gold wirklich verstehen, und das ist ein obskurer Angestellter im Tresor der Banque de France und einer der Direktoren der Bank of England. Aber leider sind beide unterschiedlicher Meinung», scherzte Rothschild Mitte des 19. Jahrhunderts.
Der Präsident der US-Notenbank, Ben Bernanke (Bild oben), zeigt indessen nur ein oberflächliches Interesse an Gold. Und dies, obwohl er Wirtschaftshistoriker ist (und 3'000 Jahre Geschichte zeigen, dass Menschen Gold als Wertaufbewahrungsmittel kaufen) und auf dem grössten Goldschatz weltweit sitzt. In dem Tresor der Federal Reserve in New York werden derzeit 6'700 Tonnen Gold für die US-Regierung sowie andere Staaten aufbewahrt.
Weniger Angst?
Die Goldreserven der USA selbst betragen insgesamt 8'133 Tonnen – 5 Prozent der gesamten Goldmenge, die jemals weltweit gefördert wurde.
Als Bernanke kürzlich im amerikanischen Kongress gefragt wurde, warum im Jahr 2013 die Goldpreise um 25 Prozent fielen, antwortete er: «Die Menschen haben weniger Angst vor extremen Ereignissen und halten den Schutz, denen Gold bietet, für nicht mehr so notwendig.»
Obskurer Angestellter
Diese Bemerkung deutet an, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen haben und der Preisrückgang für Gold von daher nicht unbedingt etwas Schlechtes ist.
Rothschilds obskurer Angestellter würde vermutlich zustimmen, zumindest in Bezug auf westliche Investoren. Die Menschen kaufen Gold und treiben dadurch den Preis in die Höhe, wenn sie schlimme Ereignisse befürchten.
Unverwüstliches Gold
Kriege, Finanzkrisen und Börsencrashs... derlei Schreckens-Ereignisse machen seltenes und unverwüstliches Gold so attraktiv wie nichts sonst auf der Welt (und die eigenen Goldreserven der US-Regierung bestätigen dies.) Aber fünf Jahre nach dem Lehman-Zusammenbruch interessieren sich viele Anleger nicht mehr für die Krise. Und dadurch erscheint auch die Krisenversicherung Gold als uninteressant.
Auf der anderen Seite kaufen asiatische Anleger, wann immer es möglich ist. Die steigenden Einkommen dort haben zur Folge, dass mittlerweile jede zweite Feinunze, die weltweit verkauft wird, an einen Anleger in China oder Indien geht.
Blinder Fleck
Und das Unverständnis der heutigen Goldpreise beginnt schon damit, dass der schnelle Aufstieg Asiens ignoriert wird.
Ben Bernanke hat auch nicht ganz recht, wenn er sagt, das Gold nur als «Inflationsschutz» gekauft werde. Damit übersieht er die Zinsen, die eine ebenso grosse Rolle spielen. Und dieser «blinde Fleck» ist recht vielsagend. Immerhin senkte der Notenbankchef den Zinssatz auf Null. Und mehr als vier Jahre danach verspricht er, den Zins auch in Zukunft «für einen längeren Zeitraum» auf Null zu halten.
Wenn die Teuerung die Zinsen übersteigt
Dies mag nicht von Bedeutung sein, falls die Inflation so «niedrig» bleibt, wie er behauptet. Aber was passiert, wenn die Inflation die Zinsen übersteigt? Gold gewinnt tendenziell an Wert, wenn Bargeld-Ersparnisse real abnehmen. Dies trifft für die frei schwankenden Preise der vergangenen 42 Jahre ebenso zu wie für die Zeiten des klassischen Goldstandards im 19. Jahrhundert.
Anders ausgedrückt, falls die Inflation schneller steigt als die Ersparnisse wachsen, würden die Lebenshaltungskosten fallen, wenn jemand seine Ersparnisse in Gold hielte.
Wie das Leben teuer wurde
Seitdem Richard Nixon vor mehr als vier Jahrzenten den Dollar von der Goldbindung aufhob, übertraf der offizielle Lebenshaltungskosten-Index der USA in 198 Monaten deren Sparquoten. Davon stiegen die Goldpreise in 163 Monaten, was einen durchschnittlichen Gewinn von 14,2 Prozent pro Jahr ausmacht (in realen Werten und unter Berücksichtigung der heutigen Kapitalertragssteuer).
Dadurch fällt der Verbraucherpreis-Index für Goldbesitzer niedriger aus. Dies trifft auch für den entgegengesetzten Fall zu. In den 305 Monaten, in denen Bargeldersparnisse real wuchsen, verlor Gold in zwei Drittel der Zeit an Wert. Im Durchschnitt ging er um 4 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, wodurch für Goldsparer das Leben teurer wurde.
Kein billiger Kampf
Zugegeben, der Preissturz bei Gold in diesem Jahr übersteigt bei weitem die relativ gleichbleibenden Lebenshaltungskosten der Kleinsparer. Aber niemand hat behauptet, dass der Kampf gegen die Federal Reserve einfach oder gar billig werden würde.
Und wie lautet nun die Lektion für die Zentralbanker?
Bernankes Flexibilität
Falls im 19. Jahrhundert die Menschen damit begonnen hätten, ihr Papiergeld gegen Gold einzutauschen, hätten die Zentralbanken die Zinsen angehoben, um den Wert von Bargeld zu schützen und Sparer dazu zu ermutigen, am Papiergeld festzuhalten.
Aber diese Konvertibilität ist lange vorbei und die Notenbanken haben nun, was von Bernanke als «Flexibilität» bezeichnet wird, nämlich die Möglichkeit, Zinsen unter der Inflationsrate zu halten und beliebig Geld zu drucken.
Auf Kosten der Sparer
Dieser Versuch, die Wirtschaft anzukurbeln, geht auf Kosten der Sparer von Bargeld. Wenn also Menschen im 21. Jahrhundert beschliessen, Gold zu kaufen, signalisieren sie dadurch zugleich auch den «Erfolg» der Politik der US-Notenbank und anderer Zentralbanken.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Ben Bernanke mehr davon versteht, als er durchblicken lässt. Und Sparer würden gut daran tun, seinen wiederholten Wunsch nach höherer Inflation ebenso zu verstehen – unabhängig davon, was auch die Ziele seiner voraussichtlichen Nachfolger sein mögen.