Das Rekordergebnis 2024 könnte den geldpolitischen Spielraum der Nationalbank erweitern und Negativzinsen womöglich etwas weniger wahrscheinlich machen. Vor allem aber sollte es ein Anstoss sein, die Zusammensetzung der Währungsreserven zu überdenken.
Am Montag hat die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihren Jahresabschluss 2024 vorgelegt. Wie üblich hatte sie bereits Anfang Januar die Grössenordnung ihres Gewinns (oder Verlusts) beziffert. Der Gewinn betrug diesmal 80,7 Milliarden Franken – und damit war schon im Januar klar, dass Bund und Kantone nicht nochmals auf eine Aufschüttung verzichten müssen.
Das Jahresergebnis der SNB hängt massgeblich von der Wertveränderung der Währungsreserven ab, die in Form von Obligationen und Aktien in Fremdwährungen (Devisenreserven) und als Gold gehalten werden. Deshalb sind die Entwicklung des Frankenkurses, der Zinsen, der Aktienmärkte und des Goldpreises die entscheidenden Faktoren. Und der Bestand an Devisenreserven wiederum ist zu einem grossen Teil abhängig von der Umsetzung der Geldpolitik. Kauft die SNB beispielsweise Devisen in Form von Anleihen, um die Frankenaufwertung zu drosseln, erhöht sich zwangsläufig das Exposure gegenüber Währungs- und Zinsbewegungen.
Erweitert das gute Ergebnis den geldpolitischen Spielraum?
Man kann natürlich versuchen, den Spiess umdrehen und vom Jahresergebnis auf die künftige Geldpolitik zu schliessen, wie es Nikolay Markov, Senior Economist bei Pictet Asset Management, gemacht hat. Das positive Ergebnis vergrössere den Handlungsspielraum der SNB, hält der Ökonom in einem Kommentar fest. Weil die SNB nun Gewinnausschüttungen an Bund und Kantone vornehmen könne, verringere sich der Druck, auch 2025 ein starkes Resultat erzielen zu müssen.
Markov erwartet, dass die Nationalbank ihren grösseren Spielraum nutzt, um häufiger am Devisenmarkt zu intervenieren, ohne über die damit verbundene Bilanzausweitung und die Ergebnisvolatilität übermässig besorgt sein zu müssen. Dafür spreche auch, dass im gegenwärtigen Umfeld der Einsatz des Zinsinstruments limitiert sei.
Mehr Devisenkäufe statt Negativzins?
Damit sei das Erreichen der Nullzinsgrenze oder gar der Rückgriff auf Negativzinsen noch weniger wahrscheinlich geworden, folgert Markov. Seine Überlegungen sind nicht falsch, allerdings dürfte er die Bedeutung eines einzelnen Jahresgewinns für den Handlungsspielraum der SNB generell überschätzen. Und auch für den Entscheid, ob die SNB zu Devisenkäufen oder zu Leitzinssenkungen greift, sind andere Faktoren weitaus wichtiger.
In einem grossen Interview mit dem «Tages-Anzeiger» vom Samstag betonte Martin Schlegel, seit Oktober 2024 Präsident des Direktoriums, dass der Leitzins das primäre geldpolitisches Instrument der SNB ist. Und weiter: «Falls es notwendig sein sollte, würden wir auch wieder den Negativzins einführen.»
Aufwertungsgewinn 2024 = Verkaufserlös von 1300 Tonnen vor 20 Jahren
Zurück zum Jahresergebnis. Eine Zahl ist doch ziemlich bemerkenswert, und zwar die 21,2 Milliarden Franken Aufwertungsgewinn auf dem Goldbestand von 1040 Tonnen. Der Kilogrammpreis stieg innert Jahresfrist von 55'593 auf 76'011 Franken, ein Plus von 36,7 Prozent.
Der Aufwertungsgewinn von 2024 entspricht damit zufällig dem Gesamterlös, den die SNB mit dem Verkauf der 1300 Tonnen «überschüssigen» Goldes zwischen Mai 2000 und März 2005 erzielte. Seinerzeit resultierte nämlich ein Liquidationserlös von 21,1 Milliarden Franken oder ein durchschnittlicher Kilogrammverkaufspreis von 16'241 Franken. Diese Zahlen und viele weitere spannende Ausführungen und Details zu den Goldverkäufen finden sich in einem Referat des damaligen Direktoriumsmitglieds (und späteren Präsidenten) Philipp Hildebrand im Mai 2005.
Die SNB sollte sich der Goldfrage stellen
Vielleicht könnte diese Zahl – gut 25 Jahre nach dem Abschluss des Goldabkommens zwischen den Notenbanken, das den Weg zu diesen Verkäufen ebnete – ein zusätzlicher Anstoss sein, dass sich die SNB unter neuer und diesbezüglicher unbelasteter Führung doch noch einmal mit der von finews.ch im vergangenen September gestellten Goldfrage beschäftigt.
Das gelbe Metall besticht nicht nur als Langzeitanlage. Es ist auch ein Wertspeicher, der keinem Gegenparteirisiko (und, wenn in der Heimat gelagert, auch keinem fremden Länderrisiko) unterworfen ist – was für die neutrale Schweiz mit ihrer international stark verflochtenen und entsprechend exponierten Wirtschaft in geopolitisch unsicheren Zeiten besonders zählen sollte. In Anbetracht dieser Ausgangslage ist unvoreingenommen zu prüfen, ob der seit Jahren unveränderte Goldbestand angesichts des enorm gewachsenen Bergs an Devisenreserven nicht aufzustocken ist.
Zeit für ein Rebalancing der Währungsreserven
Trotz des jahrelangen Preisanstiegs des Edelmetalls hält die SNB mit 79 Milliarden Franken weniger als einen Zehntel ihrer Bilanzsumme in Gold (Ende 2024). 754 Milliarden Franken entfallen auf Devisenanlagen. Historisch betrachtet ist die Goldquote gering. Ohnehin ist nicht allein auf die aktuelle Bewertung abzustellen, sondern mindestens so sehr auf die Menge.
Denn Gold bietet auch einen Versicherungsschutz im Fall von schweren politischen und wirtschaftlichen Krisen und Verwerfungen des Finanz- und Währungssystems. Der Goldpreis entspricht in dieser Lesart der Prämie, die man für diese Absicherung bezahlt. Der hohe Preis bedeutet also nicht anders, als dass der Markt die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis als relativ substanziell betrachtet – und wäre sicher kein valables Argument, um den Versicherungsschutz zu reduzieren.
Man kann Gold auch ganz handfest als Notvorrat wie eine Erdölreserve des Bundes behandeln. Dann wäre sogar auf die Menge pro Kopf abzustellen – unter diesem Blickwinkel müsste sich SNB die Frage noch eindringlicher stellen, ist doch die Schweizer Bevölkerung in den letzten 20 Jahren kräftig gewachsen, bei einem unveränderten (und gegenüber Anfang 2000 sogar mehr als halbierten) Goldbestand.