Die Grossbank befürchtet, dass die «Musterschülerin» Schweiz auf «Abwege» geraten könnte und formuliert einen umsichtigen Wunschzettel an die Wirtschaftspolitik.
Die UBS kann sich spätestens seit der Übernahme der Credit Suisse im Frühling 2023 nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen. Politik und Regulatoren wollen die neue «Superbank» bändigen, mit verschärften Anforderungen, besseren Too-big-to-Fail-Regeln (Resolution) und mehr Kompetenzen für die Finanzmarktaufsicht Finma.
Beredtes Zeugnis von der Kreativität der Politik legt etwa der 340-seitige Bericht des Bundesrats zur Bankenstabilität vom April ab, mit Massnahmen, die nicht nur, aber vor allem die UBS treffen. Die Finma und die Schweizerische Nationalbank verpassen seither keine Gelegenheit, ihre im Wesentlichen deckungsgleichen Postulate medial wirksam zu plazieren.
Beim zweiten Blick blättert der Glanz ab
Nun dreht die UBS in ihrem jüngsten «Outlook» sozusagen den Spiess für einmal um und deponiert eine Reihe von Forderungen an die Adresse der Politik. Ausgangspunkt ist die Frage, wie verhindert werden kann, dass die wirtschaftspolitische «Musterschülerin auf Abwege» gerät.
Auf den ersten Blick stehe die Schweiz vorbildlich da – beim Wachstum, bei den Exporten und bei der Fiskalpolitik, halten die drei UBS-Ökonomen Alessandro Bee, Florian Germanier und Maxime Botteron fest. Auf den zweiten Blick hingegen zeigten sich Herausforderungen und Risiken.
Deutschland als abschreckendes Beispiel
Die Autoren verweisen auf die Annahme der Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente und darauf, wie rasch das auch einst als Vorbild betrachtete Deutschland zum «kranken Mann Europas» abgestiegen ist. Auch schrumpfe der Vorsprung der Schweiz bei der Entwicklung des Wirtschaftswachstums (speziell in der Pro-Kopf-Dimension).
Die Schweiz müsse ihr Arbeitskräftepotenzial noch besser ausschöpfen, insbesondere bei älteren Arbeitskräften und Teilzeitlern. Anreize dazu könnten die Subventionierung externer Kinderbetreuung oder steuerliche Vorteile für ältere Arbeitskräfte sein.
Klumpenrisiko Pharmaindustrie und Regulierungsdschungel
Dass das Exportwachstum vor allem von der Pharmaindustrie getrieben wird, stellt gemäss UBS ein Klumpenrisiko für die Volkswirtschaft dar. Hier empfiehlt die UBS der Politik, ein innovationsfreundlicheres Umfeld zu schaffen. Dazu gehöre eine Regelung des Verhältnisses zur EU ebenso wie ein Auslichten des Regulierungsdschungels für Industrieunternehmen. Die UBS bemängelt lange Verfahrensdauer bei Firmengründungen und Produktzulassungen sowie die unzureichende Digitalisierung bei öffentlichen Dienstleistungen.
Und auch die in den letzten zwei Jahrzehnten vorbildliche Fiskalpolitik steht vor «grossen Herausforderungen». Die Autoren erinnern an das Netto-Null-Ziel für Treibhausgasemissionen und die veränderte geopolitische Lage, welche eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben nahelegt. Der grösste Brocken stelle aber die demografische Herausforderung dar, also der mit der Alterung der Gesellschaft abnehmende Anteil der Erwerbsbevölkerung und die damit verbundene zusätzliche Belastung der Sozialwerke.
Rentenaltererhöhung würde einschenken
Die UBS empfiehlt eine Kombination von Einnahmenerhöhungen und Ausgabenkürzungen, um zu verhindern, dass die Verschuldung längerfristig ausser Lot gerät und unterstreicht dabei den grossen Effekt einer Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre respektive einer damit verbundenen Verlängerung der Lebensarbeitszeit.
Die Autoren erstellen aber nicht nur einen wirtschaftspolitischen Wunschzettel, sondern machen sich auch Gedanken zur Umsetzbarkeit und zu den Grenzen staatlicher Gestaltungsmacht (Aspekte, die bei der Finanzmarktregulierung mitunter zu kurz kommen). Erstens bestehe zwischen Subventionen sowie anderen staatlichen finanziellen Anreizen und einer nachhaltigen Fiskalpolitik ein Zielkonflikt.
Die Grenzen staatlicher Gestaltungsmacht
Zweitens sei es fraglich, ob Massnahmen zur Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials tatsächlich zur gewünschten Verhaltensänderung führten. Bekannt ist etwa, dass die Förderung der Erwerbstätigkeit der Frauen die Männer dazu motiviert hat, heute vermehrt Teilzeit arbeiten. Drittens stünden industriepolitische Massnahmen, etwa zur Innovationsförderung, nicht in der Tradition liberaler Schweizer Wirtschaftspolitik.
Der Auftrag an die Politik lautet somit, «eine vorsichtige Abwägung vorzunehmen». UBS kritisiert aber nicht nur den Staat, sondern appelliert auch an die Unternehmen, sich künftig bei Schocks weniger auf Hilfe von aussen zu verlassen, wie das bei der Pandemie der Fall war. Ein höheres Rentenalter bedinge zudem, dass die Unternehmen auch bereit seien, ältere Arbeitnehmer zu attraktiven Konditionen weiter zu beschäftigen – ob UBS diesbezüglich als Arbeitgeberin ein gutes Vorbild ist, ist dem «Outlook» allerdings nicht zu entnehmen.
Wachstums- und Inflationsprognosen 2024 und 2025
Und für diejenigen, die sich mehr für die Entwicklung der Schweiz in der nächsten Zukunft als in den kommenden Jahrzehnten interessieren, halten die Ökonomen frische Prognosen bereit. Die Grossbank rechnet 2024 und 2025 mit einem Wirtschaftswachstum von 1,3 respektive 1,5 Prozent und geht davon aus, dass die Inflationsrate von 1,2 auf 1 Prozent sinkt.