Noble Privatbanken stossen ins Investmentbanking vor – und mächtige Wallstreet-Häuser forcieren das Private Banking. Steht die Branche Kopf, oder gibt es gute Gründe für die Ausflüge in fremde Gefilde?

Es entbehrt nicht der Ironie, dass in einer zunehmend von Blöcken bestimmten Welt die Grenzen im Banking verschwimmen. Dies geschieht derzeit augenscheinlich zwischen dem Investmentbanking und dem Private Banking – zwei Zweige des Bankwesens, zwischen denen eigentlich tiefe kulturelle Gräben klaffen und deren Archetypen unterschiedlicher nicht sein könnten.

Hüben der flamboyante Dealmaker, der mithilfe von trockenen Finanzkennzahlen «Regen macht» und ganze Industrien mit Mega-Transaktionen neu formt. Und drüben der diskrete Kundenmann, der sich schützend vor die reichen Klientel stellt und sich als weit mehr als blosser Vermögensverwalter versteht.

Private Banker wollen Dealmaker sein

Doch solches Selbstverständnis beginnt zu bröckeln. Mächtige Wallstreet-Häuser forcieren die Vermögensverwaltung, wie sich zeigt. Und noble Private Banker wollen auch noch Dealmaker sein.

So beobachtet bei der brasilianisch-schweizerischen Privatbank J. Safra Sarasin, einem Bollwerk der Verschwiegenheit mit langer Historie in der vornehmen Basler Gesellschaft. Wie auch finews.ch am (gestrigen) Dienstag berichtete, hat das Institut nun im europäischen Investmentbanking-Hub London ein neues Team angeworben, das wohlhabende Untermehmer explizit bei Fusionen und Übernahmen (M&A) beraten soll.

Vermögensverwaltung ist Gebot der Stunde

Für diese klassische Investmentbank-Angebot hat das Institut bei führenden Akteuren dieses Business’ gewildert: Die neu rekrutierten Mitarbeitenden kommen von den amerikanischen Instituten Goldman Sachs und Bank of America.

Bei Goldman Sachs wiederum, dem Inbegriff der mächtigen US-Investmentbank, ist Vermögensverwaltung das Gebot der Stunde. Bankchef David Solomon persönlich hat die Sparte, zu der auch das Geschäft mit Institutionellen gehört, zum wichtigsten Wachstumstreiber im Konzern bestimmt.

Schon jetzt stammt jeder dritte Dollar, den Goldman Sachs verdient, aus dem Wealth Management; geht es nach dem Willen des CEO, sollen es bald deutlich mehr sein.

Kundenvermögen in Europa mehr als verdoppelt

Zu diesem Zweck werden seine Kader auch auf dem «Alten Kontinent» aktiv. So zitierte das deutsche «Handelsblatt» (Artikel bezahlpflichtig) jüngst Stefan Bollinger, den Schweizer Leiter der Vermögensverwaltung von Goldman Sachs in Europa. «In den vergangenen fünf Jahren haben wir das verwaltete Kundenvermögen in Europa mehr als verdoppelt. Und das ist erst der Anfang unserer Wachstumsambitionen» sagte Bollinger dem Blatt.

Derweil hofft man hierzulande bei der UBS, der international führenden Privatbank, dank der Übernahme der Credit Suisse (CS) unter die Top-Ten der Wallstreet-Banken vorzurücken. Der Anspruch lautet dabei, die erste Alternative für jene Kunden zu sein, die nicht mit einer amerikanischen Grossbank geschäften wollen. An der Spitze der Grossbank sitzen zwei Männer, die das Metier bestens kennen: Präsident Colm Kelleher wie auch UBS-Chef Sergio Ermotti sind von Hause aus Investmentbanker und waren beide für das US-Morgan Stanley tätig.

Verkehrte Welt?

Das alles nimmt sich aus wie eine verkehrte Welt – aber natürlich steckt hinter dem Ausflug in fremde Gärten Kalkül.

So bei Goldman Sachs. Seit der Corona-Pandemie hat sich das klassische Investmentbanking in ein «Stop-and-go»-Geschäft verwandelt. Hartnäckige Flauten lösen sich mit Phasen hektischer Deal-Aktivtät ab, in denen aufgestaute Transaktionen so schnell wie möglich abgearbeitet werden müssen. Entsprechend volatil und unberechenbar ist die Ertragslage.

Um für stetige Einkünften zu sorgen, ist Goldman Sachs zuerst ins Zinsengeschäft vorgestossen. Die Bank musste die Übung aber mit hohen Kosten abbrechen. Nun liegt der Fokus voll auf dem Wealth Management, das mit stetig fliessenden Gebühren den Ertrag der «Goldmänner» glätten soll.

Mehr als 360 Grad

Umgekehrt geht es Privatbanken nicht bloss darum, reichen Unternehmerfamilien einen «360-Grad-Service» zu bieten, wie der Vorstoss ins Kapitalmarkt- und M&A-Business gerne beworben wird. Vielmehr funktioniert das Investmentbanking für sie als Türöffner zu Erträgen, die sich erst noch einstellen. Firmenübernahmen etwa sind für die Eigentümer so genannte Liquidity Events, in deren Zuge sie auf einen Schlag zu Reichtum gelangen. Diesen gilt es dann zu investieren – was exakt der Expertise von Privatbanken entspricht.

Und sind diese Institute bereits in den Verkauf involviert, steigen die Chancen, dass sie auch beim Vermögens-Mandat zum Handkuss kommen.

Basis für fatalen «Bank run»

Die UBS verfolgt in Amerika exakt diesen Ansatz, allerdings in einem viel grössere Stil. Sie wirft das ganze Gewicht ihrer Investmentbank-Sparte in die Waage, um aufstrebende Tech-Entrepreneure und schwerreiche Unternehmer-Clans für ihre Vermögensverwaltung zu gewinnen. Jüngsten Medienberichten zufolge überlegt sich die Grossbank gar, ihren Investmentbankern eine Provision zu zahlen, wenn diese Kunden an das Wealth Management vermitteln. Bei der CS sind solche Zahlungen offenbar schon länger Praxis gewesen.

Dass diese Grossbank untergegangen ist, verweist allerdings auf die Risiken, die das volatile Investmentbanking mit sich bringt: Die CS hatte viel zu lange am kapitalintensiven Geschäft festgehalten und war damit bei den Eigenmitteln stets schmalbrüstiger unterwegs als die auf Vermögensverwaltung getrimmte UBS. Darüber hinaus sorgte die CS-Investmentbank regelmässig für Verluste und Skandale – zu denken ist an die Mosambik-Affäre oder die Milliardeneinbussen mit Archegos – die das Vertrauen in die Bank erodieren liessen.

Damit wurde der Grundstein für den fatalen «Bank run» vom März 2023 gelegt.

UBS mit Gratwanderung

Die UBS, die selber nach Fehlspekulationen mit Subprime-Papieren im Herbst 2008 vom Staat gerettet werden musste, wagt also mit ihren neuen Ambitionen im Investmentbanking eine Gratwanderung: Die Bank hat Investoren und Behörden versprochen, dass die Investmentbank-Risiken der kombinierten UBS-CS nicht mehr als einen Viertel der Bilanz einnehmen. Dies wäre auch das wichtigste Argument, warum sich der Finanzriese nicht mit viel mehr Eigenkapital absichern müsste.

Bereits stehen hier erste Forderungen vom Bundesrat und der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) im Raum.

Jeder Zustupf willkommen

Demgegenüber riskieren Privatbanken, den Zug zu verpassen, wenn sie jetzt nicht auf den Investmentbanking-Trend aufspringen. Der Schub der Zinswende wird 2024 wohl verebben. Danach wären die Institute wie ehedem mit schwindenden Margen und magerem Neugeld konfrontiert.

Insofern können sie jeden Zustupf aus neuen Geschäftsfeldern gut gebrauchen – dies umso mehr, als sie es im Stammgeschäft nun auch mit Goldman Sachs & Co zu tun bekommen.