Raoul Weil hat bei der UBS schon eine Staatsrettung mitgemacht und sich erfolgreich gegen die USA verteidigt. Mit finews.ch spricht der CEO des Vermögensverwalters Reuss Private Gruppe über die Übernahme der Credit Suisse und die Russland-Sanktionen – und wie wichtig es ist, nicht einzuknicken.


Herr Weil, was besprechen Sie derzeit am meisten mit Ihren Kunden?

Unsere Kunden sind zumeist Unternehmer. Sie stehen entweder an der Spitze einer Firma oder haben ein solche gerade verkauft. Da geht es darum, für den liquiden Teil des Vermögens eine Verwaltung zu finden, die der Kunde nicht nur finanziell tragen kann, sondern auch psychologisch.

Da gibt es einen Zielkonflikt?

Sehr oft stellen wir eine starke Diskrepanz zwischen Risikofähigkeit und Risikobereitschaft fest. Wer länger investiert ist, weiss, das die Börsen in beide Richtungen gehen. Langfristig hat der Trend aber bis jetzt nach oben gezeigt, zum Glück.

Um zur Eingangsfrage zurückzukommen: Wollen die Kunden mit Ihnen nicht über die UBS und die Credit Suisse reden? Immerhin haben Sie einst das internationale Private Banking der UBS geführt.

Ich habe mir natürlich auch überlegt, ob die eingeschlagene Richtung mit dem Verkauf an die UBS die beste Option war, gerade aus Sicht des Steuerzahlers. Angesichts dessen, dass ein Bank Run auf die Credit Suisse stattgefunden hat, musste der Staat aber wohl so handeln.

Sie sassen damals bei der Staatsrettung der UBS im Jahr 2008 im Management der Grossbank. Da müsste doch der Reflex sein: nie mehr wieder!

Ich finde es eher bedauernswert, dass man mit dem Eingriff so lange zugewartet hat. Aber wahrscheinlich war das rechtlich und regulatorisch gar nicht anders möglich gewesen. Zu einem früheren Eingreifen hätte es entweder eine grosse weltweite Bankenkrise oder eine Verletzung der Mindestkapitalisierung gebraucht.

«Bis jetzt hat Iqbal Khan einen guten Job gemacht»

Beides lag bei der Rettung der Credit Suisse nicht vor – auch wenn im Markt bereits grosse Skepsis hinsichtlich der Finanzlage der Bank herrschte, wie sich am Aktienkurs zeigte. Wenn es eine PUK gibt und diese dereinst alle Fakten auf den Tisch hat, wird sie wohl zum selben Schluss gelangen: Es gab keine Alternative.

Die UBS muss nun das Debakel innert vier Jahren in einen Erfolg verwandeln. Was raten Sie Ihrem Nachfolger Iqbal Khan, dem Vermögensverwaltung-Chef der Grossbank?

Bis jetzt hat er ja einen guten Job gemacht. Die UBS verfügt über eine ausgezeichnete globale Franchise und hat von der Präsenz in den verschiedenen Märkten her einen massiven Vorsprung gegenüber der europäischen und amerikanischen Konkurrenz. Entsprechend stehen die Chancen gut, dass auch die kombinierte Grossbank im Wealth Management erfolgreich ist. Anderseits weiss ich aus Zeiten der UBS-Rettung und noch als Asienchef Ende der 1990er-Jahre während der Fusion der Schweizerischen Bankgesellschaft mit dem Schweizerischen Bankverein, was im Krisenmanagement alles schief gehen kann.

Erzählen Sie.

Insbesondere, wenn sie eine Investmentbank übernehmen, müssen sie die illquiden Anlagen, deren Risiko mit Modellen berechnet wird, im Griff haben. Diese so genannten Level-3-Positionen sind schon zu normalen Zeiten kaum handelbar.

«Die Investmentbanken der Schweizer Grossbanken bekamen das Geld zu billig»

Dasselbe gilt für neuartige Finanzprodukte, bei denen noch nicht bekannt ist, wie sie sich in Krisenzeiten verhalten. Bei der UBS waren damals die verbrieften Hypotheken relativ liquide. In der Finanzkrise gefroren sie dann zu Packeis.

Dann haben die Politikerinnen und Politiker recht, die nun massiv mehr Eigenkapital für die Banken fordern?

Nein, für den Hypothekmarkt und für die KMU-Kredite in der Schweiz wäre das ein absolutes Debakel! Diese würden rarer und teurer. Und das eigentliche Problem wäre damit nicht gelöst: Traditionell bekamen die Investmentbanken der Schweizer Grossbanken das Geld zu billig, weil sie einem Konzern mit guten Rating angehängt waren. Doch wenn das Geld günstig ist, geht man mehr Risiken ein. Der regulatorische Ansatz müsste deshalb genau diesen riskanten Geschäften gelten.

Sollte der UBS-Credit-Suisse-Zusammenschluss erfolgreich sein, wird sich auch Reuss Private mit dem neuen Vermögensverwaltungs-Giganten auseinandersetzen müssen. Haben Sie sich dazu schon Gedanken gemacht?

Ich nehme nicht an, dass diese Kombination einen direkten Einfluss auf unser Geschäft haben wird. Wir arbeiten heute mit einem guten Dutzend Depotbanken in der Schweiz zusammen. Die Auswahl für unabhängige Vermögensverwalter wird weiterhin ausreichend sein. Und die Value Proposition der Grossbanken ist eine andere als unsere: Sie stellen ihre Marke ins Zentrum, wir die persönliche Betreuung. Wir kommen gut aneinander vorbei.

Reuss Private ist unter den Schweizer Vermögensverwaltern ebenfalls ein grosser Akteur. Sie betreiben in Deutschland mehrere Tochtergesellschaften und haben zuletzt die Fühler nach Asien ausgestreckt. Wie geht es dort weiter?

Wir sind nicht die ersten, die den Markt bearbeiten, und die Startup-Kosten sind relativ hoch. Wir tendieren daher dazu, in Asien ein Joint-Venture mit einem Partner vor Ort einzugehen. Dies wohl am ehesten in Singapur.

Damit wären Sie weltweit tätig. Sind Skalen auch für unabhängige Vermögensverwalter wichtig?

Wer grösser ist, kann seine Kosten besser umlagern. Allerdings betreiben wir doch recht unterschiedliche Geschäfte. So beliefern wir etwa in Deutschland vorwiegend Dritte. Wir sind eine Art Marktplatz für unabhängige Finanzvermittler und vertreiben dort Anlagefonds, Versicherungen und Hypotheken. In der Schweiz betreuen wir Direktkunden und haben begonnen, ein Asset Management mit Fokus auf Anleihen aufzubauen.

«Ich will sicher nicht als Methusalem-Manager enden»

Als lizenziertes Wertpapierhaus sind wir hierzuland sogar im Obligationenhandel tätig. Ebenfalls ist zu bedenken, dass die Depotbanken den unabhängigen Vermögensverwaltern das Backoffice und damit diese Ausgaben heute weitgehend abnehmen.

Grösse ist also gar nicht so wichtig – halten Sie sich deshalb von Übernahmen in der Schweiz zurück? Den jüngsten Zukauf tätigte Reuss Private ja in Deutschland.

Sie sprechen die derzeitige Konsolidierung in der Schweiz an. Ich bin der Meinung, der Grund dafür ist nicht primär die Finma-Lizenzierung, sondern der Generationenwechsel. Die Gründungswelle der unabhängigen Vermögensverwalter rollte hierzulande zwischen 1990 und 2010. Diese Pioniere sind nun zwischen 60 und 80 Jahre alt. Da drängen sich Nachfolgeregelungen auf – oder man lässt das Geschäft auslaufen. Wir selber werden kaum eine andere Gesellschaft kaufen. Kooperationen können wir uns aber vorstellen.

Gibt es denn solche Bemühungen?

Wir erleben jetzt vermehrt, dass sich kleine Vermögensverwalter bei uns anzuschliessen versuchen. Das ist sicher ein Novum gegenüber früher. Wir führen aktuell mehrere Gespräche. Ein Ansturm ist es aber nicht gerade.

Eine zweite Aquila wird Reuss Private also nicht?

Wir planten ursprünglich für die Schweiz ein Haftungsdach wie in Deutschland. Das erwies sich dann aber als nicht umsetzbar. Bei andere Formen der Zusammenarbeit erscheinen uns wiederum die Risiken zu gross. Deshalb: nein, das Modell Aquila schwebt uns nicht vor.

A propos Generationenwechsel: Sie sind letztes Jahr bereits zum zweiten Mal CEO der Reuss Private Gruppe ernannt worden. Warum taten Sie sich das an?

Das hat sich aufgrund der Konstellation unter den Teilhabern so ergeben.

«So gesehen sind wir in einer Konsolidierungsphase angelangt»

Aber es sicher nicht so, dass ich als Methusalem-Manager enden möchte. Ich mache den Job gerne. Mit 75 Jahren werde ich hier jedoch nicht mehr auf der Matte stehen. Und: jeder ist ersetzbar.

Ist man als Reuss-Private-CEO denn 24/7 gefordert?

Ich hatte früher bei der UBS 80-Stunden-Wochen geschoben. Das ist hier natürlich nicht mehr der Fall. Der Aufgabenbereich ist überblickbarer und so organisiert, dass die einzelnen Länderverantwortlichen sehr eigenständig agieren können. Wenn es darum geht, Mitarbeitende zu rekrutieren und Kunden zu akquirieren, dann bin ich weiterhin voll dabei.

Strategisch sind Sie wohl auch gefordert?

Es ist sicher so, dass Reuss Private eine Phase extremen Wachstums hinter sich hat. In den vergangenen zehn Jahren haben wir das Geschäftsvolumen fast verzehnfacht. Dann kam letztes Jahr den Einbruch an den Märkten, der auch uns getroffen hat. Die Performance-Fees von Mandaten werden ebenfalls in den nächsten zwei, drei Jahren ausfallen. So gesehen sind wir in einer Konsolidierungsphase angelangt und müssen sehen, was wir aus dem bestehenden Volumen herausholen können, und wo die besten Zukunftsaussichten liegen. Das Zinsengeschäft ist hier sicher unser Hoffnungsträger.

Müssen Sie Mitarbeitende entlassen?

Nein. Aber gerade in Deutschland müssen wir uns überlegen, ob wir nach einem Weggang jede Stelle wieder besetzen.

Dann ist Reuss Private wohl nicht die richtige Adresse, wenn Credit-Suisse-Banker sich nach einem neuen Job umsehen?

Für neue Kundenberater stehen wir immer offen, da gibt es keine Diskussion. An der Kundenfront stellen wir weiterhin ein. Die ersten Wechsel finden nun bei den Privatbanken statt.

«Für russische Vermögen finden sie hierzulande kaum noch Depotbanken»

Wer sich als unabhängiger Vermögensverwalter versuchen will, sollte aber nicht nur Kundenkontakte, sondern auch Unternehmertum mitbringen. Für uns heisst das, dass wir genau hinsehen müssen, wen wir einstellen – und welche Kunden mit hinüberwechseln.

Diesbezüglich scheinen die Risiken zu steigen. Die USA etwa haben Schweizer Treuhänder und Vermögensverwalter ins Visier genommen als mutmassliche Gehilfen von mit Sanktionen belegten Russen. Wie riskant das für die Branche sein kann, haben Sie während des Steuerstreits mit Amerika am eigenen Leib erlebt: Ihnen wurde in den USA Beihilfe zum Steuerbetrug vorgeworfen, Sie sassen in Haft und mussten sich in Florida vor Gericht verteidigen.

Wir reisen sicher nicht mehr nach Russland. Wenn ein Kunde Doppelbürger mit Domizil ausserhalb von Russland ist und sämtliche Risikochecks sauber durchlaufen hat, sehen wir aber kein Problem in der weiteren Betreuung. In unserem Fall findet gar eine dreifache Due Diligence statt: Wir müssen die Standards der Finma sowohl als Wertpapierhaus als auch als Vermögensverwalter erfüllen. Die Depotbanken führen dann nochmals ihre eigenen Kontrollen durch.

Aber kleinere Anbieter als Reuss Private stehen mehr im Risiko?

Es ist ganz einfach so, dass sie für russische Vermögen hierzulande kaum noch Depotbanken finden. Das Geschäft mit Oligarchen ist definitiv vorbei. Grundsätzlich finde ich es wichtig, dass sich die Schweiz angesichts des Drucks aus dem Ausland an Schweizer Gesetz hält.

Bleibt gegenüber den USA nicht am Ende nur das Einknicken? Wie damals beim Bankkundengeheimnis?

Bis jetzt ist der Bundesrat relativ standhaft geblieben. Es ist nicht auszuschliessen, dass der Druck weiter erhöht wird. Aber Herr Berset hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass in der Schweiz schon doppelt so viel russisches Vermögen eingefroren worden ist wie in Deutschland und Frankreich zusammen. Ausserdem: ich bin damals auch nicht eingeknickt und habe am Schluss recht bekommen!


Raoul Weil amtet seit Anfang 2022 als CEO der in der Schweiz, Deutschland und Liechtenstein tätigen Reuss Private Gruppe. Bereits seit dem Jahr 2010 ist er Managing Partner des unabhängigen Vermögensverwalters. Sein Werdegang umfasst unter anderem die Position als Chairman und CEO Global Wealth Management & Business Banking sowie Konzernleitungsmitglied der UBS. 2013 wurde er wegen seiner früheren Rolle bei der Grossbank in Italien festgenommen und an die USA auslgeliefert, wo ihm im Rahmen des US-Steuerstreits der Prozess gemacht wurde. 2014 erwirkte er dort seinen Freispruch.