Die Schweizer Privatbank EFG International gibt unumwunden zu, von den derzeitigen Unsicherheiten bei der Credit Suisse zu profitieren. In den vergangenen Monaten hat sie bereits Dutzende von CS-Leuten abgeworben und will damit entschlossen weitermachen, wie ihr Verwaltungsratspräsident in einem Interview erklärt.
Kaum eine andere Bank gibt sich derzeit so freimütig wie EFG International, wenn es darum geht, von der Credit Suisse (CS) Personal abzuwerben. Ursprünglich hatte das in Zürich ansässige Finanzinstitut geplant, im laufenden Jahr 50 bis 70 Kundenberaterinnen und -berater zu engagieren. «Diese Zielvorgabe werden wir sehr wahrscheinlich übertreffen», sagte EFG-Präsident Alexander Classen am Freitag in einem Interview mit der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» (Artikel kostenpflichtig).
Während sich andere Banken in noble Verschwiegenheit hüllen, um ja nicht als Profiteure der CS-Krise dazustehen, macht Classen keinen Hehl daraus, dass er von der unsicheren Situation nun profitieren möchte. «Das Zeitfenster ist noch rund einen Monat offen», erklärte er weiter.
Offenes Zeitfenster
Solange dürfte es ungefähr noch dauern, bis die vielen Mitarbeitenden der CS wissen, wie es mit ihnen respektive mit ihrem Job weitergeht. Denn bis im Juni 2023 sollte die rechtliche Übernahme der CS durch die UBS vollzogen sein.
Bis dahin will Classen diese Opportunität nutzen, «die man nicht so schnell wieder sehen werde». Von den insgesamt rund 50 Kundenberaterinnen und -beratern, welche die Schweizer Privatbank EFG International bereits im ersten Quartal 2023 engagiert hat, stammten schon 30 bis 40 Prozent von der CS, wie Classen in dem Interview weiter erklärt.
Im Verbund mit Boris Collardi
Die von der schweizerisch-griechischen Familie Latsis kontrollierte «Familienbank» verfügt denn auch über die nötigen Mittel, um solche Gelegenheiten auszuschöpfen. Und der Erfolg in den vergangenen drei Jahren gibt dem Unternehmen Recht, das in dieser Zeit auch an der Börse eine bemerkenswerte Wertsteigerung verzeichnen konnte.
Classen stiess erst im vergangenen Oktober zur Bank, wo er in der Folge Peter Fanconi ablöste; parallel dazu trat der frühere Julius-Bär-CEO und Ex-Pictet-Partner Boris Collardi auf die Bildfläche und beteiligte sich mit geschätzten 80 Millionen Franken an EFG International. Er sitzt inzwischen auch im Verwaltungsrat der Bank.
Neuer Strategieplan auf drei Jahre
Unter ihrer Ägide hat das Institut im vergangenen Jahr einen neuen Strategieplan für drei Jahre entwickelt, der unter anderem ein jährliches Wachstum der verwalteten Vemögen von 4 bis 6 Prozent vorsieht sowie eine Senkung des Kosten-/Ertragsverhältnisses von aktuell 75 Prozent auf 69 Prozent. Derzeit betreut das Unternehmen rund 150 Milliarden Franken an Kundengeldern.
Last but not least gilt EFG International immer mal wieder entweder als Übernahmeziel oder als Konsolidiererin in der Branche der schweizerischen Vermögensverwaltungs-Banken. Die Annahme, dass es über kurz oder lang tatsächlich zu einer Transaktion kommen könnte, hat sich mit dem Einstieg Collardis noch akzentuiert, eilt ihm doch der Ruf voraus, ein überaus dynamischer und höchst unternehmerisch denkender Finanzfachmann zu sein.