Noch immer wagen sich gewisse Banker nicht aus der Schweiz, weil sie in den USA angeklagt sind. Ausgerechnet ein US-Gericht hat nun dem langen Arm der amerikanischen Fahnder Grenzen gesetzt, wie Recherchen von finews.ch zeigen.
Muriel Bescond wurde in den USA wegen angeblicher Manipulation des Libor-Zinssatzes bei der Grossbank Societé Générale in Paris angeklagt. Das war vor vier Jahren. Nun hat die französische Bankerin einen wichtigen Sieg gegen das scheinbar allmächtige US-Justizdepartement (Departement of Justice, DoJ) errungen, wie die Agentur «Reuters» unlängst berichtete.
Ein Sieg, der auch Signalwirkung für all jene Schweizer Banker hat, die seit mehr als einem Jahrzehnt von den Amerikanern wegen mutmasslicher Vergehen in Finanzaffären angeklagt sind – und nach denen gefahndet wird. Personen, die demnach jederzeit mit einer Verhaftung und Auslieferung rechnen müssen, sobald sie einen Fuss ausserhalb des Landes setzen.
«Das ist ein Wendepunkt»
Doch ein US-Bezirksgericht hat vergangene Woche nun im Fall Bescond entschieden: Die Französin ist nicht als aus den USA flüchtig anzusehen. Es ist das erste Mal, dass ein amerikanisches Gericht die Verfolgung ausländischer Banker in branchenweiten Skandalen wie dem Libor-Skandal durch US-Staatsanwälte unterbindet. «Das ist ein Wendepunkt», sagt der New Yorker Strafverteidiger Marc Agnifilo gegenüber finews.ch.
Agnifilo ist dafür bekannt, dass er 2017 einen Freispruch für Stefan Buck erwirkte, der früher das Private Banking der inzwischen aufgelösten Zürcher Bank Frey leitete und wegen Verschwörung im Zusammenhang mit Schweizer Offshore-Konten angeklagt worden war. Buck ist einer von zwei prominenten Schweizer Bankern, die sich erfolgreich gegen eine Anklage in den USA gewehrt haben.
Fondue statt Gehirn
Raoul Weil, der bis 2007 die Privatbank der UBS leitete und 2014 freigesprochen wurde, ist der andere. Buck, der nach seiner Zeit bei der Schweizer Bank Bergos Bergman nun hauptberuflich im Immobiliengeschäft tätig ist, stellte sich freiwillig den Anschuldigungen der USA. Raoul Weil wurde während einer Reise nach Bologna, Italien, festgenommen und ausgeliefert.
Die US-Staatsanwälte haben die Angeklagten im Zusammenhang mit den Offshore-Anklagen immer häufiger dazu gebracht, sich schuldig zu bekennen – zuletzt im Oktober vergangenen Jahres die Ex-Wegelin-Banker Michael Berlinka, Urs Frei und Roger Keller. Diese wurden von der Zeitung «New York Post» nach ihrer Verurteilung 2012 noch verhöhnt, «Fondue statt eines Gehirns» im Kopf zu haben.
Überraschender Sieg
Derweil bleibt eine kleine, diskrete Handvoll Banker zwangsläufig «am Haken». Sie wollen das Schicksal Weils vermeiden – zum Preis, in den engen Grenzen der Schweiz zu verbleiben, die ihre Bürger nicht an die USA ausliefert. Besconds überraschender Sieg vor dem Bezirksgericht zeichnet jetzt die Landkarte für die US-Staatsanwälte neu, die in den veregangenen Jahren immer mehr in die entlegensten Winkel der Welt vordringen konnten.
Die Causa Bescond hat das nun verändert. «Man kann nicht einfach jemanden für Handlungen irgendwo auf der Welt anklagen und ihn in die USA holen lassen, bevor er sich verteidigen kann», sagt Bruce Baird, ein Anwalt für die Verteidigung von Wirtschaftskriminellen in Washington, der ausländische Mandanten bei Anklagen in den USA vertreten hat.
Neue Definition von «Flucht»
In der Schweiz betrifft der Bescond-Entscheid mehr Privatbankiers als Händler. Die meisten der ausstehenden Anklagen stammen aus den Jahren 2010 bis 2012, als die US-Steuerrazzien gegen die Schweizer Offshore-Praktiken auf ihrem Höhepunkt waren. Gerichtsbezirke wie die südlichen und östlichen Bezirke New Yorks sowie in Florida – wo Ex-UBS-Manager Weil angeklagt und freigesprochen wurde – waren besonders aggressiv bei der Verfolgung ausländischer Banker.
Das Recht hat sich durch das jüngste Urteil des Bezirksgerichts nicht geändert, wohl aber die Definition des Begriffs «Flucht», erklärt Verteidiger Agnifilo.
Ein wenig entlastet
Diese Neudefinition könnte etwa Beda Singenberger helfen, ein unabhängiger Schweizer Finanzberater, der 2011 angeklagt wurde, oder Martin Dünki, ein pensionierter Kundenberater der Privatbank Rahn+Bodmer, der 2014 angeklagt wurde, kurz nachdem Weil freigesprochen worden war. Weder Singenberger, der inzwischen die Finanzbranche verlassen hat, noch Dünki, der für einen Züricher Steuerberater arbeitet, waren für eine Stellungnahme zu erreichen.
Das Verdikt über Bescond ändert ihren Fall nicht grundlegend, aber es entlastet Angeklagte wie sie ein wenig, indem es anerkennt, dass sie streng genommen nicht aus den USA geflohen sind. «Der Kampf ist noch nicht zu Ende, aber die Definition von Flucht ist ein erster Schritt», sagt Anwalt Baird. «Das Gesetz wird sich in Abhängigkeit von weiteren Urteilen weiterentwickeln.»