Die wenigen Details, welche die Credit Suisse zum Archegos-Debakel bekannt gegeben hat, vermögen den Markt nicht zu beruhigen. Grund genug, die Rolle des CS-Risikomanagements nochmals unter die Lupe zu nehmen, findet finews.asia-Redakteur Andrew Isbester.
Von Andrew Isbester, Redakteur finews.asia
Vergangene Woche schrieb finews.ch, dass es weniger ein Versagen im Risikomanagement gewesen sei, das die Credit Suisse (CS) in eine tiefe Krise gestürzt habe – sondern der Interessenkonflikt zwischen Investmentbank und Vermögensverwaltung zum Milliardenverlust mit dem Family Office Archegos Capital Management geführt habe.
Es mag Haarspalterei sein, aber finews.ch unternimmt nun nochmals den Versuch, anhand von Fakten (und von Fakten genährten Spekulationen) aufzuzeigen, dass das Hauptproblem der CS nicht das Risikomanagement ist.
«Man muss die Interessenkonflikte kennen»
Aufschlussreich war dazu das Interview von CS-Chef Thomas Gottstein in der «Neuen Zürcher Zeitung». Dort sagte er: «Es gibt viele Beispiele dafür, dass wir den Kunden besser kennen, wenn wir ihn von zwei oder drei Seiten betreuen. Als Bank muss man einfach die Interessenkonflikte kennen und die Compliance im Innern respektieren.»
Liest man dies im Archegos-Kontext, scheint die Aussage klar darauf hinzudeuten, dass es einen Interessenkonflikt zwischen der Investmentbank und anderen Teilen der CS gab – vermutlich der Vermögensverwaltung. Bill Hwang war schon Kunde der CS gewesen, als er noch den Hedgefonds Tiger Asia Management geführt hatte.
Gab es negative Anreize?
Weiter macht es den Anschein, dass man sich bei der CS der Konflikte erst im Nachhinein voll bewusst geworden ist – und wohl auch die Compliance irgendwann gewisse Regeln nicht eingehalten hat. Erst als der Konflikt die Ebene des Risikoausschusses erreichte, wurde das Ausmass klarer.
Im NZZ-Interview sagte Gottstein weiter: «Wenn das richtig gemacht wird, wissen wir mehr über die Finanzstärke und das Agieren eines Kunden. Aber auch das werden wir im Rahmen der Review prüfen: Ob es negative Anreize gibt, irgendwelche Entscheidungen zu treffen.»
Jedes Team tut alles, um den Kunden zu halten
Solche Anreize sind im CS-Geschäftsmodell klar vorhanden. Zum Beispiel, wenn die Investmentbank ein Family Office betreut, das komplexe und hochriskante Finanztransaktionen durchführt, die ein riesiges, möglicherweise gar gesellschaftlich relevantes Verlustpotenzial tragen.
Wenn die Investmentbank nun solche Positionen auf die eigene Bilanz nimmt, sei es als Sicherheit oder als verbrieften Vermögenswert, und wenn die Privatbank gleichzeitig das Vermögen des wichtigsten Familienmitglieds verwaltet oder auch nur von Verwandten – dann entsteht so ein Interessenkonflikt. Denn es ist klar, dass jedes Team innerhalb der Bank alles tun wird, um die Kundenbeziehung zu erhalten.
Wer muss zurückstecken?
Wie entscheidet in so einem Fall der Risikoausschuss, und was ist die Entscheidungsgrundlage? Das Risiko? Wer muss zurückstecken: die Investmentbank oder das Wealth Management?
Wir wissen es nicht, können aber vermuten, dass es das grössere und wichtigere Geschäft ist, welches obsiegt. Und in diesem Fall könnte es das Wealth Management gewesen sein.
Nun hat die CS mit Rauswürfen reagiert: Risikochefin Lara Warner und Investmentbankchef Brian Chin mussten gehen. Weiter unten: Der Leiter des Aktienhandels, der Leiter Prime Service Risk, der Leiter Credit-Risk in der Investmentbank, der Leiter Counterparty Credit Risk Management und der Leiter des Counterparty Hedge Fund Risk.
Die Händler kennen als erstes das Risiko – sie besitzen es
Damit hat die CS Fakten geschaffen: Das Risikomanagement ist schuld. Allen anderen im Top-Management wurden bloss die Boni gestrichen. Und alle anderen, die in der Kundenbetreuung arbeiten, kommen ungeschoren davon.
Warum hat im Archegos-Debakel nun nicht primär das Risikomanagement versagt? Klar: Es ist am Risikomanagement, die Limiten und den Rahmen für Kredite festzulegen, Engagements zu genehmigen, Geschäfte abzusegnen und auch die Margin Calls anzukündigen. Doch im Grunde genommen, ist es an den Händlern an der Front herauszufinden, was zu tun ist. Denn schliesslich kennen sie das Risiko – sie haben es ja in den Büchern.
So lange gedauert
Ungeklärt ist die Frage, warum die CS so langsam war, die Archegos-Positionen loszuwerden. Den Risikomanagern kann man die Schuld nicht in die Schuhe schieben. Sie sind es nicht, die an den Bildschirmen sitzen, Preise ins Telefon schreien und Transaktionen ausführen.
Das Risikomanagement- und Compliance-Rahmenwerk der CS ist branchenüblich: Es verfügt über drei Linien, nämlich Kultur, Governance und ein Komitee namens Position and Client Risk (PCR), das für Situationen wie Archegos wie gemacht zu sein scheint. Zudem verfügt die CS über ein Rahmenwerk, das Risikobereitschaft, -kapazität und -profil definiert. Dieses ist in der Regel mit den Aufsichtsbehörden abgestimmt.
Gefahr eines Ausverkaufs nicht erkannt
Wir wissen nicht, wie die Risikobewertung für das Prime-Services- oder Hedge-Fond-Geschäft der CS aussah. Doch scheint darin die Gefahr eines vollständigen «Fire Sale» der Archegos-Positionen in notleidenden Märkten nicht erwähnt gewesen zu sein.
Obwohl die Bank einen grossen Vorrat an Positionen zu irrational tiefen Preisen gehalten hat, Stunden oder sogar Tage, nachdem Banken wie Goldman Sachs oder Morgan Stanley verkauft hatten. Das Problem, so macht es den Anschein, lag also nicht im Risikomanagement.