Still und leise erfindet sich die legendäre Wall-Street-Bank Goldman Sachs neu: Anstatt mit enormen Handelswetten die Finanzmärkte zu dominieren, transformiert die US-Bank nun das Private Banking.
Das Handelsgeschäft bildet immer noch das Rückgrat der US-Investmentbank Goldman Sachs. Doch seit David Solomon 2018 den CEO-Posten übernommen hat, sind die strategischen Weichen anders gestellt: Das legendäre Wall-Street-Haus will sich zunehmend als Vermögensverwalter positionieren.
Der Vorstoss in die Paradedisziplin der Schweizer Banken findet ausgerechnet auch hierzulande statt. Nach der Schliessung im Jahr 2016 hat Goldman Sachs vergangenes Jahr die Niederlassung in Genf wieder eröffnet, mit der Absicht, die Rhone-Stadt als Hub für das Europa-Geschäft mit superreichen Privatkunden aufzubauen.
Punkto Volumen und Märkte im Hintertreffen
Das Vorhaben schreitet mit hochrangigen Rekrutierungen voran, wie finews.ch vergangene Woche exklusiv berichtete. Goldman-Sachs-CEO Solomon nutzte im vergangenen Dezember den ersten Investorentag in der Geschichte der US-Bank überhaupt, um die Strategie anzupreisen. «Wir weiten unsere Wealth-Management-Dienstleistungen aus, um den gesamten High-Net-Worth-Bereich ansprechen zu können», sagte er.
Mit diesem Vorhaben ist der Goldman-Sachs-Chef allerdings nicht allein. Die grössten Wealth Manager der Welt, UBS und Morgan Stanley, sind ihm dabei punkto Volumen und geografische Verankerung weit voraus.
Milliarden für Entwicklungen und Akquisitionen
Doch Solomon baut die Strategie anders auf: Er macht technologische Investitionen zur Basis in der Vermögensverwaltung und pumpt Milliarden von Dollar in eigene Entwicklungen wie auch in Akquisitionen.
Beachtung fand dabei der Kauf von United Capital im Mai vor einem Jahr. Dabei handelt es sich um einen kalifornischen Wealth Manager mit etwas mehr als 25 Milliarden Dollar an verwalteten Vermögen. Nicht die Kundengelder veranlassten Solomon, dafür 750 Millionen Dollar auszugeben, sondern die ausgereifte und skalierbare Technologie-Plattform.
Meilensteine Marcus und Folio Financial
Bereits Solomons Vorgänger Lloyd Blankfein hatte eher unauffällige Akquisitionen im Bereich Retail- und Vermögensverwaltung getätigt – Honest Dollar 2016 oder Clarity Money 2018.
Aufsehenerregender war die 2016 erfolgte Lancierung der digitalen Retailbank Marcus, mit der Goldman Sachs nun auch in Grossbritannien erfolgreich ist. Für Solomon ein Meilenstein ist die kürzlich erfolgte Akquisition von Folio Financial– nicht nur, weil Goldman Sachs dabei andere Bieter wie die UBS hatte ausstechen können.
Wie das alles zusammenhängt
Vielmehr hatte der 58-jährige Gelegenheits-DJ gezielt nach einem digitalen Investment Advisor gesucht, um ihn für Marcus und dessen Robo-Advisor einsetzen zu können. Folio Financial soll die Lösung haben.
Auch wenn Zukäufe im Retailgeschäft und Rekrutierungen von UHNW-Bankern dem Ausbau des Wealth Managements dienen sollen, ist eine zusammenhängende Strategie von aussen betrachtet schwer zu erkennen. Doch gibt es einen gemeinsamen Nenner. «Alles, was Goldman Sachs tut, findet an den Rändern statt, und auch die hochkarätigen Zukäufe sind eher den Rändern von Wealth-Tech zuzuordnen», findet der Fintech-Manager Lex Sokolin von Consensys.
Denken wie ein Infrastrukturanbieter
Die Technologisierung des Wealth Managements ist ein Gebiet, in dem sich die meisten Konkurrenten von Goldman Sachs schwer tun. Für Solomon liegt darin aber derzeit der Hauptfokus, wie er im vergangenen Herbst erklärte.
Tatsächlich ist diese Strategie eine völlige Abkehr vom traditionellen Vermögensverwaltungsgeschäft, wie Alois Pirker von der Beratungsgesellschaft Aite im Gespräch mit finews.ch sagt. Denn dabei gehe es in erster Linie darum, wie ein Technologiedienstleister zu denken, nicht wie eine Bank. «Goldman hat das Ziel und die Möglichkeiten, eine riesige Infrastruktur aufzubauen und diese auch Dritten anzubieten».
Weniger Berührungsängste
Ein Beispiel ist die Kooperation mit Apple im Kreditkartengeschäft: Goldman Sachs gab 300 Millionen Dollar aus, um das Projekt in Hochgeschwindigkeit umzusetzen. Neben Apple waren auch Mastercard beteiligt sowie der E-Commerce-Riese Amazon mit seiner Cloud-Infrastruktur.
Was Goldman Sachs zusätzlich abhebt, sind die geringen Berührungsängste, welche die Traditionsbank gegenüber den technologisch weit überlegenen Internet-Riesen von der US-Westküste hat. Die UBS hat diesbezüglich mehr Hemmungen, wie das lange Ringen um Apple Pay zeigt. Auch die mit viel Brimborium 2016 angekündigte Kooperation mit Amazon und dem Sprach-Assistenten Alexa kam nie richtig zum Fliegen.
Vorteil: Kinderschuhe
Natürlich ist die Ausgangslage für Goldman Sachs eine andere: Die Investmentbank verwaltet gerade mal gut 500 Milliarden Dollar an Kundengeldern; die UBS im Vergleich dazu 2,6 Billionen Dollar. «Sie stecken eigentlich noch in den Kinderschuhen», sagt Pirker. «Doch die Konkurrenz sollte sie unbedingt im Auge behalten.»
Der innovativen Strategie und den immensen finanziellen Möglichkeiten zum Trotz kann auch Goldman Sachs im Wealth Management keine Berge versetzen. Vergangene Woche musste die Bank eingestehen, dass sie ihre um United Capital aufgebauten Dienstleistungen für den Massenmarkt anstatt 2020 erst nächstes Jahr ausrollen kann.