Seit zwanzig Jahren sind die Immobilienpreise in der Schweiz praktisch nur gestiegen. Jetzt wird klar: Das Coronavirus bringt auch das Betongold zum bröckeln – und die Banken betreten Neuland.
Während am (gestrigen) Montag alles wie gebannt auf die rote Linie des Schweizer Bluechip-Zählers SMI starrte, gaben auch andernorts die Kurse nach: Der Index der zehn grössten Schweizer Immobilienfonds verlor im Tagesverlauf knapp 6 Prozent. Ein klares Indiz, dass die vom Coronavirus bei den Anlegern ausgelösten Ängste auch das Schweizer «Betongold» erreicht hat.
Das dürfte mehr sein als eine Kerbe in einem fast über zwei Dekaden anhaltenden Boom. Glaubt man führenden Immobilienexperten, könnte ausgerechnet die Pandemie den Preistrend brechen, der in all den Jahren und trotz Rezession, Schulden- und Finanzkrisen hartnäckig nach oben zeigte. Folgende Treiber sorgen dafür – und was mit den Banken als wichtigsten Sponsoren des Booms geschieht, ist offen.
1. Alles erstarrt
«Es wurde darüber spekuliert, dass ein Zinsanstieg, eine Rezession oder ein Einwanderungsstopp den Trend beenden könnte – an eine Pandemie hat natürlich kaum jemand gedacht», sagt Claudio Saputelli, Leiter CIO Swiss & Global Real Estate bei der UBS und Mitarchitekt des viel beachteten «Immobilienblasen-Index». Die Mischung aus drohender Rezession mit Aussicht auf sinkende Einkommen und mehr Arbeitslosigkeit sowie die individuelle Angst vor Ansteckung könnten den Boom nun tatsächlich beenden, warnt der Experte.
Bereits friert der Markt zu. Kein Wunder: Wer will in diesen Tagen noch Liegenschaften besichtigen, wer setzt sein Erspartes auf Ziegel und Zement?
Doch bald könnten die Dinge in Bewegung geraten. Unter Druck stehende Verkäufer werfen ihre Immobilien auf den Markt, und bringen damit die anderen Akteure in Zugzwang. Saputelli und sein Team gehen inzwischen davon aus, dass es wegen der Auswirkungen des Coronavirus’ in sämtlichen Segmenten zu einer Korrektur kommen könnte. Es wären demnach nicht nur die heiss gelaufenen Luxusimmobilien und Gewerbeflächen betroffen, sondern gleichermassen Renditeobjekte und Wohneigentum.
Wenn die Preise erst mal ins Rutschen geraten, könnte die Wirkung profund sein. Es könnte Monate bis Jahre dauert, bis die Preise wieder die aktuellen Niveaus erreichen, sagt Saputelli.
2. Entzaubertes Betongold
Es gehört zur Ironie der jüngsten Marktverwerfungen, das selbst der Goldpreis unter Druck gekommen ist – angesichts einer unbekannten und tückischen Krankheit gerät auch das Vertrauen in scheinbar sichere Häfen ins Wanken. Selbst, wenn die Pandemie rasch eingedämmt werden könnte, wird sie Spuren in den Köpfen der Immobilienkäufer und -Investoren hinterlassen.
Dass gilt gerade auch für die institutionelle Anleger, die stark in dem Bereich engagiert sind und in den letzten Jahren zu ernstzunehmenden Konkurrenten der Banken am Hypothekenmarkt avanciert sind. zu einem Umdenken bei ihren Investments bringen. «Wir lernen jetzt», sagt Saputelli, «dass auch Schweizer Immobilien in diesem Umfeld nur bedingt zum sicheren Hafen taugen».
3. Die grosse Unbekannte
Die Zurückhaltung bei den Institutionellen müsste für die Banken eigentlich gute Nachrichten sein. Doch angesichts der Tatsache, dass immer noch über 90 Prozent der hiesigen Hypotheken auf ihren Büchern liegen, finden sich die Geldhäuser im Auge des Orkans wieder. Experten gehen davon aus, dass der Markt einen Preisrutsch von bis zu 20 Prozent verdauen könnte. Doch was ist, wenn die Abwärtsspirale weiter dreht?
Viel wird davon abhängen, ob sich die Banken bei den Ausleihungen strikt an die Branchenstandards gehalten haben und dass die offiziellen Eigenkapital-Puffer und die in Selbstregulation auferlegten Limiten richtig kalkuliert waren. Die gute bis ausgezeichnete Verfassung der Schweizer Retailbanken und die sehr tiefe Ausfallquote auf Hypothekarkrediten lassen auf einige Immunität schliessen.
Sinnigerweise kommt auch das Tiefzinsumfeld, dass für viele Verzerrungen am Immobilienmarkt verantwortlich ist, den Banken zu Hilfe. Anders als in der Immobilienkrise der 1990er-Jahre sind die Hypozinsen rekordtief und zeigen angesichts der Geldpolitik weiter nach unten. Dies ist eine kaum zu unterschätzende Entlastung für jene Akteure, auf die am Ende alles ankommt: Die Schuldner.