Die Zürcher Kantonalbank hat das Mitarbeiter-Bewertungssystem für ihre gut 5'000 Angestellten radikal erneuert. ZKB-Chef Martin Scholl nennt im Interview mit finews.ch die wichtigsten Unterschiede.
Herr Scholl, Sie haben kürzlich Ihr Mitarbeiterbewertungs-System «MyPerformance» durch «Performance & Entwicklung» ersetzt. Weshalb die Änderung?
In der Geschäftsleitung hat uns die Frage beschäftigt, ob die aktuellen Führungs- und Qualifikationsinstrumente den Anforderungen des schnellen Wandels, den die Digitalisierung zusätzlich verstärkt, noch gerecht werden. Dabei kamen wir zum Schluss, dass die alljährlichen Zielvereinbarungs- und Qualifikationsgespräche nicht mehr in das aktuelle Umfeld passen.
Warum?
Sie setzen voraus, dass man ganz genau weiss, was in den nächsten zwölf Monaten auf einen zukommt. Wir haben uns daher entschieden, das klassische «Management by Objectives» (MBO) abzuschaffen. Es ist schwerfällig und verengt die Perspektive der Mitarbeiter auf die zuvor definierten Ziele.
«Auf die Note reagierten die Mitarbeiter jeweils ziemlich empfindlich»
Wir wollen das so genannte «Out-of-the-Box-Denken» fördern und den Mitarbeitenden möglichst viel Gestaltungsspielraum geben – soweit dies natürlich in einer Bank und angesichts der zunehmend Regulierung überhaupt möglich ist. Wir glauben, dass die Angestellten so mehr zur Wertschöpfung der Bank beitragen, als wenn sie stur nach MBO-Zielen agieren müssen.
Wie muss man sich die Neuerungen vorstellen?
Mitarbeitende und deren Vorgesetzte tauschen sich idealerweise in kurzen Zeitabständen aus und besprechen, wie sie am effizientesten und effektivsten zum Erfolg der Bank beitragen können. Führungspersonen und Mitarbeitende tragen gemeinsam die Verantwortung über die Häufigkeit des Austauschs. So rückt der Dialog in den Vordergrund, und der administrative Teil mit den schriftlich vereinbarten MBO-Zielen fällt weg.
Gleichzeitig haben Sie den so genannten Leistungswert abgeschafft.
Ja, der Leistungswert reichte bei uns von 1 bis 5, wobei fünf die beste Bewertung war. Über 90 Prozent der Angestellten hatten jeweils eine drei oder vier. Wir stellten über die Jahre fest, dass man mit den Mitarbeitern zwar über Entwicklungsmöglichkeiten gut diskutieren kann und auch über Defizite. Aber auf die Note reagierten die Mitarbeiter jeweils ziemlich empfindlich. Am Schluss des Tages war die Note für uns aber wertlos.
Wie haben die Beschäftigten auf die Umstellung reagiert?
Euphorisch! Wir haben intern sehr viele positive Rückmeldungen erhalten. Das alte Bewertungssystem sei zu aufwändig gewesen und habe sie stark eingeengt, lautete der Tenor. Fakt ist: Vorgesetzte und Mitarbeiter kennen die Strategie der ZKB genau und wissen, was es zu leisten gilt. Dafür braucht es keinen aufwändigen Zielvereinbarungs-Prozess.
«Vor kurzem wurde ich sogar von einer Bank im süddeutschen Raum eingeladen»
Für viele unserer Mitarbeitenden ändert sich ohnehin nicht viel, da sie den Dialog auch vorher schon intensiv pflegten. Wo Unsicherheiten bei den Führungskräften bestehen, unterstützen wir sie mit Coaching und Führungssupport.
Hat die Umstellung auch bei der Konkurrenz für Reaktionen gesorgt?
Dem ist so. Viele Banken – hauptsächlich Kantonalbanken – haben an unserem Modell Interesse bekundet und suchen nun das Gespräch mit uns. Vor kurzem wurde ich sogar von einer Bank im süddeutschen Raum eingeladen, das Modell vorzustellen.
Wir sehen einen klaren Trend weg vom klassischen MBO-System. Die ersten, die es abgeschafft haben, waren Technologie-Firmen. Unter den grösseren Banken in Zürich ist die Zürcher Kantonalbank das erste Finanzinstitut, das sich vom MBO-System verabschiedet.
Inwiefern wirkt sich das neue Bewertungssystem auf die Boni aus?
Gar nicht. Die Entschädigung der Mitarbeiter ist keine Excel-Funktion. Die Bonuszuteilung ist eine Führungsaufgabe. Der Leistungswert war nie direkt mit dem Bonus gekoppelt.
«Wenn die Bank Verlust schreibt, gibt’s nichts»
Wenn die Gesamtbank erfolgreicher ist, gibt es mehr Bonus. Dann profitieren alle Mitarbeitenden. Wenn die Bank Verlust schreibt, dann gibt’s nichts. Dann kann man in einem Bereich noch so gut arbeiten, es gibt dennoch nichts. Diesbezüglich sind wir eine Schicksalsgemeinschaft.
Der Bonus wird anhand von Berufsbildern und Funktionsbewertungen zugeteilt. Mitarbeiterbeurteilung und Entschädigung sind aber immer zu einem gewissen Grad subjektiv – vor allem aus Sicht des Betroffenen.
Wird die Subjektivität mit dem neuen Bewertungssystem nicht noch zusätzlich erhöht?
Nein. Die Gesamtentschädigung richtet sich nach dem Markt. Zudem muss jeder Mitarbeiter-Bonus begründbar sein. Das heisst, ein Vorgesetzter muss ihn wiederum gegenüber seinem Vorgesetzten rechtfertigen können. Das war bei uns immer schon so.
Welches Fazit ziehen Sie aus dieser Bewertungsumstellung?
Wir wollen Mitarbeiter, die den Mut haben, sich zu exponieren und mit Gestaltungs-Spielräumen produktiv umgehen können. Die Anforderungen von morgen, die von Dynamik und Ungewissheit geprägt sind, lassen sich nicht mit starren Zielen meistern. Davon bin ich überzeugt.
Martin Scholl machte bereits die «Stifti» bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB) und arbeitete sich danach sukzessive hoch bis er 2007 zum CEO der viertgrössten Bank der Schweiz avancierte. In seiner Karriere verantwortete der bekennende Fan des Zürcher Hockeyclubs ZSC unter anderem das Privat- und Firmenkundengeschäft sowie das Kreditmanagement. Der Mittfünfziger ist unter anderem in den Führungsgremien der Bankiervereinigung, des Kantonalbanken-Verbands und der Economiesuisse.