Wie akut ist das US-Schuldenproblem? Wird die Ankündigung Trumps, die Zölle drastisch anzuheben und Immigranten rigoros auszuweisen, die Inflation anfachen? Weshalb entwickelt sich die deutsche Wirtschaft so schwach, und was soll die Geldpolitik tun? finews.ch nutzte eine Veranstaltung in Zürich, um Mabrouk Chetouane, Head of Global Market Strategy bei Natixis Investment Managers, mit diesen für die Wirtschaft und die Finanzmärkte im Jahr 2025 entscheidenden Fragen zu konfrontieren. Zuerst ging es jedoch um die Entwicklungen im Natixis-Heimmarkt.

Herr Chetouane, Frankreich hat zwar wieder eine neue Regierung, aber der Risikoaufschlag gegenüber deutschen Bundesanleihen liegt immer noch über dem, den Griechenland bezahlen muss. Zudem hat Moody’s jüngst das Rating für die Republik von Aa2 auf Aa3 zurückgestuft. Muss man sich als ausländischer Investor Sorgen machen?

Nein, grössere Spreads bilden aus meiner Sicht eher ein Kaufargument für französische Staatsanleihen. Und der Vergleich mit Griechenland hinkt, es handelt sich bei den beiden Volkswirtschaften um zwei unterschiedliche Paar Stiefel. Das Misstrauensvotum hat sogar mehr Klarheit gebracht, weil das Budget 2025 jetzt quasi im Autopilot erstellt wird. Da die Unternehmenssteuern damit auf ihrem bisherigen Niveau bleiben sollten, reagierte der französische Aktienmarkt sogar mit Erleichterung.

Die neue Regierung unter Premier François Bayrou hat keine parlamentarische Mehrheit. Was geschieht, wenn sie in den nächsten Monaten gestürzt wird?

Die Erfahrung mit Belgien zeigt, dass es nicht zum Nachteil der Stabilität oder der Investoren sein muss, wenn ein Land eine längere Zeit ohne Regierung dasteht und «geschäftsführend» und damit de facto von der Verwaltung gemanagt wird.

«Grössere Spreads bei französischen Staatsanleihen sind ein Kaufargument.» 

Die USA haben Schulden von 36’000 Milliarden Dollar angehäuft, und das Wachstum ist rasant. Die Zinszahlungen verschlingen einen immer grösseren Anteil des Haushalts. Wie lange noch sind die USA fähig, ihre Schulden zu tragen?

In der kurzen bis mittleren Frist steht die Schuldentragfähigkeit ausser Frage. Mit nominal 5,5 Prozent entspricht das nominale Wirtschaftswachstum ungefähr dem Niveau des jährlichen Defizits. Bei stabil bleibender Inflation könnte ihr über dem Zielwert der US-Notenbank Fed liegendes Niveau sogar als Rechtfertigung für den Einsatz der Fiskalpolitik dienen. Denn bekanntlich ist die Inflation der beste Verbündete verschuldeter Regierungen.

Und in der längeren Frist?

Gemäss den Projektionen des Congressional Budget Office wird das Defizit bis 2040 auf 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen. Da besteht natürlich schon Handlungsbedarf.

Sind US-Staatsanleihen vor diesem Hintergrund immer noch eine attraktive Anlage?

Ja. Es kann zwar sein, dass sich künftig Investoren aus China, Japan oder Deutschland zurückhalten, weil sie Defizite im eigenen Land finanzieren wollen. Aber auf absehbare Zeit gibt es genügend Käufer, weil die Papiere einen anständigen Coupon und mehrheitlich eine kürzere Laufzeit aufweisen. Entsprechend gering sind die Empfindlichkeit auf Zinsveränderungen und das Ausfallrisiko.

«Für US-Staatsanleihen wird es genügend Käufer geben.»

Werden die von Donald Trump angedrohten Zölle und Abschiebungen von Immigranten in den USA nicht zwangsläufig die Inflation in die Höhe treiben?

Nein. Denn es wirken auch andere Faktoren. Werden beispielsweise Zölle auf europäische Produkte wie französische Weine erhoben, ist es gut möglich, dass der Devisenmarkt den Euro tiefer bewertet. Neben dem Wechselkurs sind auch andere Faktoren wichtig. Ist z.B. die Nachfrage schwach, bleibt der Inflationsschub aus. Zölle sind zwar nicht so schädlich wie häufig angenommen wird, sie sind aber trotzdem nicht das richtige Mittel, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Abschiebungen im grossen Stil hingegen würden tatsächlich die Inflation erhöhen und das Wirtschaftswachstum reduzieren, aber das wird nicht so umgesetzt werden, weil sich Trump damit unpopulär machen würde.

Sie plädieren dafür, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen weiter senkt, obwohl die Inflation praktisch auf dem Zielwert von 2 Prozent liegt. Warum?

Das Problem liegt darin, dass die Geldpolitik die verarbeitende Industrie und den Dienstleistungssektor unterschiedlich stark trifft. Die vergangenen Zinserhöhungen der EZB haben der Industrie stark zugesetzt, was die Wirtschaftsschwäche Deutschlands erklärt. Sogar in den USA fallen die Indikatoren für die Industrie relativ schwach aus. Für diesen Sektor ist die Geldpolitik also immer noch zu restriktiv.

«Für die Industrie ist die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank immer noch zu restriktiv.»

Und für die Dienstleistungsbranche?

Diese reagiert viel träger auf Zinsschritte – und deshalb geht auch der Beitrag dieser Branche zur Gesamtinflation nur sehr langsam zurück. Entweder warten wir, bis die Teuerung auch dort allmählich zurückkommt und lassen die Industrie weiter leiden, oder wir akzeptieren eine höhere Inflationsrate.

Kann die EZB nicht einfach wie in der Vergangenheit dem Kurs folgen, den die US-Notenbank vorgibt?

Nein. Die Fed ist einer viel komfortableren Situation. Sie kann die Zinsen weiter senken oder auch eine Pause einlegen. Seit einiger Zeit vergrössert sich der Abstand der Realzinsen zwischen den USA und Europa. Das liegt daran, dass die Märkte für die US-Wirtschaft viel positiver sind, was sich auch in der Kluft der Aktienbewertungen bemerkbar macht.