Der Eindruck wächst, dass die Schweiz die Mitgestaltung der Finanzwelt von morgen verschläft. Mit «Finanzwelt von morgen» ist nicht ein kapitalistisches «Gebaren und Geldscheffeln» gemeint, wie finews.ch-Herausgeber Claude Baumann in einem Kommentar feststellt.
Aus bescheidenen Anfängen mit einigen 1'000 Teilnehmenden ist das Singapore Fintech Festival (SFF) innert weniger Jahre zur grössten und wichtigsten Veranstaltung für Finanztechnologie im Wachstumsmarkt Asien avanciert. Bis Ende dieser Woche werden mehr als 70'000 Personen die diesjährige Ausgabe besucht haben.
Mittlerweile ist der Anlass so bedeutend, dass sich da nicht nur alle möglichen Startups und Fintechs tummeln und ihre Innovationen zwischen GenAI, Tokenisierung und digitalen Assets präsentieren, sondern auch zahlreiche Giganten der Hochfinanz wie J.P. Morgan, HSBC oder Tencent mischen mit scheinbar unversiebaren Mitteln in dieser Zukunftswelt mit.
Furiose Entwicklung in Singapur
Kurzum, das SFF schreibt in den überdimensionalen Expo-Hallen Singapurs das neuste Kapitel der Finanzwelt von morgen. Seit Anbeginn, im Jahr 2016, ist auch die Schweiz mit dabei, existieren doch in vielfacher Hinsicht sehr enge Beziehungen zwischen den beiden «Kleinstaaten». Der rasant wachsende Finanzplatz Singapurs hat sich immer wieder an den Entwicklungen im Bankenland Schweiz orientiert. Mit dem Resultat: Mittlerweile könnte sich unser Land ein Beispiel an der furiosen Entwicklung Singapurs in Sachen Finanzbranche nehmen.
Insofern ist es gut, dass die Schweiz am SFF vertreten ist und dies erst noch mit einem höchst zentral gelegenen Pavillon. Doch leider bleibt dies die einzige positive Nachricht. Denn in einem Umfeld aufstrebender Startups und Länder wirkt die Schweiz mit ihrer behäbigen Aussteller-Präsenz geradezu irrelevant. Die Kritik lässt sich an verschiedenen Punkten festhalten.
Wie im «Reduit»
Der Schweizer SFF-Stand wirkt verschachtelt und unnahbar; dass einem dabei das Wort «Reduit» in den Sinn kommt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Den Schweizer Fintechs, die weder Kosten noch Zeit gescheut haben, nach Singapur zu reisen, ist hier ein Kränzchen gewidmet; was indessen fehlt, wenn es darum geht, die Kompetenzen des Schweizer Finanzplatzes herauszustreichen, sind weltweit bekannte Aushängeschilder aus der Geldbranche, von denen unser Land doch einige besitzt.
Doch die grossen Schweizer Gelhäuser haben – trotz ihrem viel zitierten Fokus auf Asien – scheinbar andere Prioritäten; oder dann, ist es der organisierenden Switzerland Global Enterprise (S-GE), der offiziellen Schweizer Organisation für Exportförderung und Standortpromotion, nicht gelungen, die wichtigsten Vertreter für diesen wichtigen Anlass zu begeistern.
«Nur» ein Tessiner
Dies verwundert umso mehr als die Schweiz sogar eine der engsten Partnerinnen des SFF ist und jeweils im Frühsommer einen Gegenanlass in Zürich, namens «Point Zero», organisiert. An diesem nimmt Singapur jeweils mit einer hochkarätigen Delegation an Behördenmitgliedern und Ministern teil.
In früheren Jahren ist der damalige Finanzminister Ueli Maurer mit einer Delegation von Schweizer Bankern ebenfalls ans SFF gereist; und der frühere Staatssekretär Jörg Gasser trat auf diversen Panels auf. Davon ist heute nichts mehr geblieben. Höchster Vertreter ist der stellvertretende Staatssekretär Christoph König – zwar ein eloquenter Redner und Kenner der Materie.
Doch an den 400 Sessions mit total 900 Referentinnen und Referenten ist er nur ein einziges Mal an einer kleinen Diskussion zum Thema «Innovation und Konsumentenschutz» vertreten; Schweizer Fachleute sucht man zu den grossen Themen auf der Hauptbühne fast vergebens; einzige Ausnahme ist der Tessiner Marco Bizzozero, der allerdings den US-Fintechkonzern iCapital souverän vertritt.
Vertreter der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) seien an Round Tables (allerdings hinter «closed doors») dabeigewesen, betonte ein Sprecher des Staatssekretariats für internationale Finanzfragen (SIF) gegenüber finews.ch.
Vorbildliche Italiener
Im Gegensatz etwa zu Italien finden am Schweizer Stand auch kaum Präsentationen oder Ankündigungen statt. Unsere südlichen Nachbaren hingegen kommunizieren ihre Aktivitäten offensiv in einer Medienmitteilung. Die Lethargie der Schweiz ist insofern befremdend, als unser Land mit Zürich, Zug und neuerdings auch Lugano drei unbestrittene Zentren der Finanztechnologie besitzt und eigentlich prädestiniert wäre, über die neusten Entwicklungen zu reflektieren und Trends zu formulieren.
So wächst der Eindruck, dass die Schweiz die Mitgestaltung der Finanzwelt von morgen verschläft. Und mit «Finanzwelt von morgen» ist nicht etwa ein kapitalistisches «Gebaren und Geldscheffeln» gemeint. Vielmehr geht es um wichtige Themen und Anliegen wie Finanzielle Inklusion in Schwellenländern, Massnahmen gegen den Klimawandel, Cyber-Sicherheit oder nachhaltige Anlagen (ESG) sowie weltweit geltende Standards gegen Finanzkriminalität und Cyber-Crime. Genau in diesem Kontext liefert Fintech die Infrastruktur und den Treibstoff für sämtliche Innovationen.
Bericht im Januar
Apropos Innovationen: Zwar fördert die Schweiz neuerdings mit dem Swiss Financial Innovation Desk (FIND) Finanzinnovationen in der Schweiz und will damit gemäss eigenem Bekunden zur Stärkung der Schweiz als einer der weltweit führenden Finanzstandorte beitragen. Dies war auch im Rahmen einer Veranstaltung der Schweizer Botschaft in Singapur diese Woche zu erfahren.
Zu diesem Zweck arbeitet FIND seit geraumer Zeit an einem Report namens «Pathway 2035 for Financial Innovation: Your Navigator»; allerdings erscheint dieser erst irgendwann im nächsten Januar; das ist zu spät. Und an dem Anlass in Singapur war mit keinem Wort zu erfahren, wohin diese Reise bis ins Jahr 2035 gehen könnte.
Beste Werbung für die Schweiz
Andreas Berger, CEO Swiss Re (Bild: finews.asia)
Dass es anders geht, bewies diese Woche ein anderer, mehrtägiger Grossanlass im tropischen Stadtstaat: An der 20. Singapore International Reinsurance Conference (SIRC) gab sich nicht nur die gesamte Rückversicherungsbranche unter dem Motto «Revolutionize (Re)Insurance!» ein Stelldichein, sondern an vorderster Front stand die Swiss Re, und wichtigster Keynote-Speaker war Andreas Berger, der seit vergangenem Juli amtierende CEO des Unternehmens.
Er ist zwar nicht Schweizer, sondern Deutscher, doch vertritt er ein Unternehmen, das (noch) den Begriff Schweiz im Firmennamen trägt – und das tat er in Singapur mit Bravour und global überzeugend.