Die Schweiz ist auf digitale Währungen angewiesen. Während viele Zentralbanken mit deren Einführung für das breite Publikum liebäugeln, sieht die Schweizerische Nationalbank Innovationen auf diesem Gebiet als Sache der Privatwirtschaft an. Das Bewahren des Status quo sei jedoch keine Option, schreibt Martin Hess von der Schweizerischen Bankiervereinigung in einem Gastbeitrag auf finews.ch.
Martin Hess ist Leiter Wirtschaftspolitik bei der Schweizerischen Bankiervereinigung
Das Zahlungssystem wandelt sich. Der bargeldlose Zahlungsverkehr nimmt rasant zu. Aber nicht nur das. Bald sollen die Zahlungen innert Sekundenbruchteilen überwiesen und in der «Wirtschaft 4.0» mit «Smart Contracts» automatisch ausgelöst werden.
Zudem wächst der Bedarf nach sicherer Abwicklung bei digitalen Vermögenswerten markant. Sollen die Rahmenbedingungen in der Schweiz erstklassig bleiben, muss diesen Entwicklungen Rechnung getragen werden. Erfreulicherweise hält Instant Payment in der Schweiz bald Einzug. Der SIC5-Standard wird für zahlreiche Banken ab August 2024 verpflichtend.
Ziele des Projekts der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und SIX sind eine international erstklassige Zahlungserfahrung für Wirtschaft und Bevölkerung sowie die Schaffung einer Grundlage für neue Geschäftsmodelle. Das ist gut, aber noch nicht das Ende der (technologischen) Fahnenstange.
Schlagwort CBDC
Dafür verantwortlich ist die Nachfrage nach digitalen Zahlungsmitteln mit neuen Funktionen, an denen Zentralbanken und Technologiefirmen mit Hochdruck arbeiten. Nach dem Hype um Kryptowährungen wie Bitcoin und den Wellen, die das damalige Facebook-Projekt «Libra» geschlagen hatte, ist nun ein neues Akronym in aller Munde: CBDC.
Dieses steht für Central Bank Digital Currency. Es prangt auf der Agenda aller Zentralbanken und ist in drei Währungsräumen bereits implementiert. Der chinesische e-CNY steht noch in der Pilotphase, hat jedoch bereits 140 Millionen Nutzer und soll nächste Woche für alle Besucher der Olympischen Spiele nutzbar sein.
Globale Aufbruchsstimmung
CBDC versprechen unter anderem, den Zentralbanken die Währungssouveränität zu sichern, die Effizienz im internationalen Zahlungsverkehr zu erhöhen, die Bedürfnisse der digitalen Wirtschaft abzudecken und dem breiten Publikum den Zugang zum Finanzsystem zu erleichtern.
Mitten in dieser globalen Aufbruchstimmung wollen einzig der Bundesrat und die SNB nicht so recht mitziehen. Sie haben beide betont, dass sie keinen Bedarf für einen von der SNB herausgegebenen digitalen Franken für das breite Publikum sehen. Bedarf für Innovationen im Zahlungsverkehr bestehe zwar durchaus. Diese seien aber von der Privatwirtschaft anzustossen.
Damit stärkt die SNB das bewährte zweistufige Bankensystem, in dem die SNB die Bank der Banken und die Geschäftsbanken die Bank des breiten Publikums bleiben sollen.
Feuerschutz für die SNB?
Auch wenn sie sich auf der richtigen Seite wähnen, möchten die Schweizer Behörden mit ihrer dezidierten Haltung wohl global nicht isoliert dastehen. Am ehesten Feuerschutz erwarten konnten sie von der US-Notenbank (Federal Reserve, Fed). Gouverneur Christopher Waller hat im vergangenen Sommer CBDC in einer Rede als «eine Lösung auf der Suche nach einem Problem» bezeichnet.
Sei Effizienz das Problem, solle man privatwirtschaftliche und nicht staatliche Lösungen suchen. Würden die Kosten von Zahlungstransaktionen kritisiert, dann spiele die Fed nicht die Preisüberwacherin. Gehe es um die Sicherung der Währungshoheit, dann würde die Verbreitung von USD-basierten Stablecoins dafür sorgen.
Ohne erkennbare Stossrichtung
Der Feuerschutz der Fed blieb lange aus. Mit etlichen Monaten Verspätung hat sie nun letzte Woche ein Diskussionspapier publiziert. Der dürre Text beschränkt sich auf eine Auflistung von bestens bekannten Vor- und Nachteilen von CBDC für das breite Publikum.
Man fragt sich, wieso ein derart grundsätzliches Papier ohne erkennbare Stossrichtung erst jetzt erscheinen konnte. Schleicht sich die Fed aus der Verantwortung zu einem grundlegenden Entscheid, die Option CBDC endgültig fallen zu lassen, oder ist es Ausdruck von internen Meinungsunterschieden?
Rennen ist schon längst eröffnet
Wer im Zögern der Fed, dem gegenwärtig schleppenden Fortschritt bei der EZB oder in der Ablehnung durch die SNB einen Marschhalt bei den digitalen Währungen sieht, liegt falsch. Zahlreiche Zentralbankenprojekte im Retail- und Wholesale-Bereich laufen auf Hochtouren, wie das erwähnte Beispiel aus China zeigt.
Hohe Dynamik gab es in jüngster Zeit auch bei den Stablecoin-Initiativen. Das exponentielle Wachstum in den vergangenen Jahren wurde in den letzten Wochen jedoch abrupt gebremst. Man fragt sich deshalb, ob es sich bei Tether und Co. nicht um «Unstable Coins» handelt.
Vorschlag aus Japan
Zweifel, ob von unregulierten Firmen herausgegebene, nicht voll mit Reservewährung unterlegte Tokens ihr Stabilitätsversprechen in der langen Frist halten könnten, riefen weltweit verschiedene Kritiker auf den Plan.
Die Idee einer privatwirtschaftlichen Stablecoin-Emission, die einerseits die gleiche Stabilität wie eine Währung hat, aber nicht die Nachteile von CBDC aufweist, gewinnt deshalb an Akzeptanz.
Wie eine solche aussehen könnte, hat kürzlich ein japanisches Konsortium in einem White Paper beschrieben. Die Einführung der Stablecoin ist bereits für Ende 2022 geplant.
Darauf muss sich die Schweiz einstellen
Innovative Geschäftsmodelle im Zahlungsverkehr und im Geschäft mit digitalen Wertpapieren erfordern stabile Zahlungsmittel mit speziellen Funktionalitäten. Im Innovationsland #1 werden diese zweifellos zunehmend Anwendung finden.
Wir tun also gut daran, uns zu überlegen, welches Design wir in der Schweiz in Zukunft sehen möchten.