Hongkong: Abschied von Rolex, Nespresso und den Banken?

Der Finanzplatz Hongkongs steht mittlerweile voll im Spannungsfeld zwischen China und den USA. In dieser aufgeheizten Stimmung werden sich einige Schweizer Banken über kurz oder lang die bange Frage stellen müssen, ob ihre Präsenz in der einstigen britischen Kronkolonie überhaupt noch verantwortbar ist.

Von Andrew Isbester, Editor-at-large bei finews.asia

Seit dem 19. Jahrhundert hat die Präsenz ausländischer Banken in Hongkong ständig zu- und wieder abgenommen. Die ersten Geldhäuser aus dem Ausland tauchten mit dem Anstieg des internationalen Handels auf – bloss, dass viele dieser Institute infolge der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs, als die Stadt fast vier Jahre lang von Japan besetzt war, Hongkong wieder verliessen.

Die Schweizer Grossbanken eröffneten in den 1960er-Jahren erste Vertretungen, bevor sie in den Jahrzehnten darauf eigentliche Tochtergesellschaften ins Leben riefen. Den Grossbanken folgten zunehmend auch Privatbanken, die sich bis weit in die Mitte der 2010er-Jahre hinein gerne in der einstigen britischen Kronkolonie niederliessen.

Spürbarer wirtschaftlicher Abschwung

Nun könnte dieser langfristige Trend an einem Wendepunkt angelangt sein. Denn wohl nur die wenigsten Privatbanken dürften die Ausdauer und Geduld haben, um mit der aktuellen Situation fertig zu werden. Die anhaltende Coronakrise hat den bereits spürbaren wirtschaftlichen Abschwung, der durch die pro-demokratischen Proteste vor allem im vergangenen Jahr ausgelöst worden war, noch erheblich verstärkt.

Die erste unmittelbare Konsequenz für ausländische Finanzinstitute wird ihr Umgang mit den US-Sanktionen gegen elf Hongkonger Regierungsbeamte sein, sogenannten Specially Designated Nationals (SDN). Ausserdem werden sich die Geldhäuser noch intensiv mit dem auf Geheiss der Regierung in Peking im vergangenen Juli erlassenen Gesetz zur nationalen Sicherheit der Stadt befassen müssen.

Quasi-existenzielle Angst

Ein Indiz dafür, wie heikel die ganze Situation bereits ist, lieferte vor zwei Monaten die Hongkonger Finanzaufsicht, die Hongkong Securities and Futures Commission (SFC). Einen Tag nach der Verhängung der US-Sanktionen im vergangenen August gab sie eine Erklärung ab, in der unter anderem stand: «Wir erwarten, dass jede Reaktion auf die Sanktionen fair bleibt, und die Interessen der Kunden und die Integrität des Marktes weiter respektiert werden.» De facto lässt sich diese Feststellung nur so deuten, dass sich die SFC in quasi-existenzieller Angst befindet.

Da die meisten Banken generell dazu neigen, in solchen Fällen ihre (Sicherheits-)Netze sehr weit auszuwerfen, werden sie wahrscheinlich bereits den Ausstieg aus allen auf amerikanischen Dollar lautenden oder währungsgebundenen Basiskonten und Kreditkarten der von den US-Behörden genannten SDN vollzogen haben. Die Sanktionierung von einzelnen Personen hat jedoch noch weitreichendere Konsequenzen.

Am Hyperventilieren


Oder anders gesagt: Viele Banken respektive deren Top-Management sind vermutlich schon seit August am Hyperventilieren und versuchen panisch, sämtliche Bankbeziehungen, welche die sanktionierten SDN und deren Verwandte zu juristischen Personen, Wirtschaftsunternehmen, Investitionsvehikel oder Stiftungen unterhalten oder eine Zeichnungsvollmacht haben, resolut zu kappen.

Privatbanken sind davon besonders betroffen, da sehr viele vermögende Chinesen bei solchen Instituten ein Konto unterhalten. Sie stehen vor der undankbaren Aufgabe, jegliche Vernetzungen oder gar Verstrickungen ihrer Kunden manuell zu prüfen. Allerdings verfügen kleinere Häuser kaum über die erforderlichen Screening-Tools, um dies effizient und sicher abzuwickeln. Sie werden es manuell tun müssen, was ein enormes Risiko darstellt. Vor diesem Hintergrund werden sich manche Privatbanken über kurz oder lang die Frage stellen müssen, ob sich dieser ganze Aufwand wirklich lohnt.

Wenig profitables Abenteuer

Als Folge davon werden sie ihre Dienstleistungen für diese Kunden, deren Familien und Angehörige vermutlich stark einschränken. Aber auch das wird ein höchst mühsames Unterfangen sein, zumal auch das nationale Sicherheitsgesetz einen Einfluss haben wird. Und last but not least wird die Präsenz in Hongkong unter diesen Prämissen dann doch zu einem fragwürdigen und vermutlich wenig profitablen Abenteuer.

Die Schweizer Privatbanken haben ein zusätzliches Problem. Vielen Instituten sitzen die kostspieligen Erfahrungen aus dem Steuerstreit mit den USA immer noch tief in den Knochen. Gerade deswegen werden viele Institute kaum erpicht sein, wegen ihren Kunden in Honkgong erneut in Kontakt mit den US-Behörden zu kommen.  

Haftung für Menschenrechtsverletzungen

Grösse Privatbanken werden mit ihren personell gut dotierten Abteilungen durchaus in der Lage sein, die neuen Anforderungen bewältigen zu können. Doch für alle anderen Häuser sieht es schlecht aus. Da letztere mehrheitlich nicht über Lizenzen für Geschäfte in China selber verfügen, dürften sie über kurz oder lang vom gesamten Markt ausgeschlossen werden.

Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn trotz ihrer bemerkenswert guten Performance im ersten Halbjahr 2020 wird für viele Schweizer Privatbanken die unmittelbare Zukunft in Hongkong immer diffuser. Kommt noch hinzu, dass das Schweizer Stimmvolk im November 2020 über die Konzernverantwortungs-Initiative abstimmt, wonach Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit ihren Aktivitäten im Ausland haftbar gemacht werden könnten.

Böses Erwachen für alle

Sollte dieses Volksbegehren angenommen werden, könnten nicht nur die Schweizer Banken aus der Stadt vertrieben werden, sondern auch noch andere Schweizer Firmen, so dass die Hongkonger in ihrer bedingungslosen Liebe für Rolex, Nespresso oder Lindt-Schokolade ein böses Erwachen erleben könnten.