Unerwartet deutlich hat sich die Bevölkerung Singapurs für das bestehende politische System ausgesprochen, das im Westen oft am Pranger steht. Für den Finanzplatz und die dort vertretenen Schweizer Banken ist der Zuspruch jedoch von unschätzbarem Wert.
Singapur mag in diesen Tagen einem geradezu beklemmenden Dunst (Bild oben) ausgesetzt sein – durch den Rauch illegaler Regenwald-Rodungen in Indonesien –, doch so klar wie seit dem vergangenen Wochenende hat sich die politische und wirtschaftliche Zukunft des tropischen Stadtstaates wohl noch nie zuvor präsentiert.
Nach einem kurzem, von allen Parteien leidenschaftlich geführten Wahlkampf haben die Wählerinnen und Wähler in einer überraschend hohen Deutlichkeit der regierenden People’s Action Party (PAP) ihre Unterstützung für mindestens vier weitere Jahre erteilt. Die von Ministerpräsident Lee Hsien Loong (unten in der Bildmitte) angeführte Partei errang in der jüngsten Ausmarchung mit knapp 70 Prozent der Stimmen 83 der insgesamt 89 Sitze im Parlament – sogar einen Sitz mehr als 2011, damals errang die PAP knapp 61 Prozent der Stimmen.
Wichtig für die Schweizer Banken
Der Wahlsieg der PAP ist auch ein wichtiges Zeichen für die Kontinuität und Prosperität des Singapurer Finanzplatzes, zumal ihn zahlreiche (Schweizer) Banken als Zentrum für ihre Wachstumsstrategien in Asien benutzen.
Die UBS, die Credit Suisse und Julius Bär gehören gemessen an den verwalteten Kundengeldern zu den grössten Akteuren in der Region, und zahlreiche andere Schweizer Finanzinstitute haben ebenfalls enorme Kapazitäten in Singapur aufgebaut.
Die Schweiz als Vorbild
Die PAP gilt grundsätzlich als bankenfreundlich, denn bereits Staatsgründer Lee Kuan Yew – der im vergangenen März verstorbene Vater des heutigen Premierministers – erkannte den wirtschaftlichen, wie auch den strategischen Wert eines internationalen Finanzzentrums und legte in den 1970er-Jahren das Fundament dafür an.
Dabei orientierte er sich stark an der Schweiz und deren Geldbranche, sei es in Sachen Gesetze, Aufsicht, Bankgeheimnis oder Organisation. Das wiederum führte dazu, dass die Schweizer (Gross-)Banken schon früh eine wichtige Rolle in Singapur übernahmen, wie finews.ch verschiedentlich berichtete.
Einige Unwägbarkeiten
Die nun bis auf Weiteres stabile Situation in Singapur ist für die (Schweizer) Banken insofern wichtig, als dass es in der übrigen asiatischen Region zahlreiche Unwägbarkeiten gibt: Die jüngsten Verwerfungen an den Börsen Chinas stellen die Wachstumsperspektiven im Reich der Mitte zunehmend in Frage; ein riesiger Korruptionsskandal in Malaysia, in den sogar der dortige Premierminister involviert ist, belastet Singapurs Nachbar erheblich, wie finews.ch bereits berichtete, und der ab 2018 auch in Singapur geltende Automatische Informationsaustausch (AIA) könnte für manche Finanzinstitute zu einer enormen Herausforderung werden.
Umso wichtiger ist es vor diesem Hintergrund, dass ein bewährtes Führungsteam dieses Land regiert und verlässliche Rahmenbedingungen garantiert, so dass die (Auslands-)Banken ihre Wachstumsstrategien fortsetzen können, zumal das europäische Vermögensverwaltungsgeschäft im Vergleich zu früher stark an Bedeutung verloren hat.
Eine wichtige Rolle in Singapur spielt dabei der hoch kompetente Vizepremier- und Finanzminister Tharman Shanmugaratnam (Bild), der sich der Bedeutung des Finanzplatzes – und der Schweizer Banken – durchaus bewusst ist, wie finews.ch schon früher exklusiv berichtete.
Soziale Medien überschätzt
Selbst für langjährige politische Beobachter ist der jüngste Wahlausgang in Singapur eine grosse Überraschung. Denn die seit der Staatsgründung vor 50 Jahren regierende PAP musste 2006 und 2011 deutliche Stimmenverluste hinnehmen. So ging man auch davon aus, die Opposition würde – nicht zuletzt im Zeitalter der Online-Medien – weiter an Boden gewinnen. Doch offenbar gelang es ihr nicht, Kandidaten zu stellen, die in weiten Kreisen der Bevölkerung genügend Akzeptanz finden.
Auch das deutlich schwächere Wirtschaftswachstum Singapurs, das heute rund zwei Prozent beträgt und früher bei sieben Prozent lag, hätte durchaus eine politische Neubesinnung in der Bevölkerung veranlassen können. Und last but not least hätte es genügend drängende Themen wie Immigration, Altersvorsorge und Wohnungswesen auf der Agenda gegeben, um der herrschenden Partei an diesen Wahlen einen Denkzettel zu verpassen.
Vertrauensbeweis für die herrschende Klasse
Doch nichts von alledem hat sich manifestiert. Im Gegenteil, das Resultat ist ein klarer Vertrauensbeweis für die regierende Elite, die bis heute in direkter Linie von Staatsgründer Lee Kuan Yew abstammt – sein Sohn Lee Hsien Loong ist Ministerpräsident – und auch volkswirtschaftlich alle wichtigen Schaltstellen besetzt.
Gerade diese Konstellation hat es in der Vergangenheit verschiedentlich ermöglicht, dass Singapur diktatorische Züge annehmen konnte. Es ist auch eine tragische Tatsache, dass in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren Hunderte von regimekritischen Bürgern inhaftiert oder zu Emigration gezwungen wurden. Zudem gab es in dem Stadtstaat nie eine freie Presse. Unter diesen Prämissen ist es wenig verwunderlich, dass zahlreiche westliche Staaten Singapurs Politik bis heute heftig kritisierten.
Aus der Armut in den Wohlstand
Allerdings blendet diese Kritik – die tatsächlich nicht dem westlichen Demokratieverständnis entspricht – die einzigartige Entwicklung aus, die dieser Stadtstaat in den vergangenen fünfzig Jahren vollbracht hat, nämlich sich von einem Schwellenland zu einem der reichsten Staaten auf dieser Welt zu wandeln – und die Bevölkerung an diesem Fortschritt und dem daraus resultierenden Wohlstand durchaus teilhaben zu lassen. Beantworten lässt sich bis heute die Frage nicht, wie weit es Singapur gebracht hätte, wenn die Regierenden der Opposition freie Hand gelassen hätten.
Die in diesem Sinne einzigartige Entwicklung Singapurs seit 1965 wie auch der unerwartet deutliche Wahlsieg vom vergangenen Wochenende, haben sehr viel – wenn nicht alles – mit einer Person zu tun: Lee Kuan Yew. Der Gründervater Singapurs schaffte es mit einer unnachgiebigen und durchaus autokratischen Politik den Stadtstaat zu dem zu machen, was er heute ist – eine (wirtschaftliche) Erfolgsgeschichte.
Im Regen für den Regenten
Dabei entbehrt es natürlich nicht einer gewissen Tragik, dass der Staatsgründer nur wenige Monate vor dem 50-jährigen Bestehen Singapurs, im vergangenen März, in seinem 92. Altersjahr verstarb. Er hatte zwar seine politischen Ämter schon seit längerem abgegeben, was möglicherweise seit den 1990er-Jahren auch zum Auftrieb der Opposition geführt haben könnte, doch blieb er bis zu seinem Tod sozusagen das Gewissen der Nation.
Eindrücklich hat sich das während der Trauerwoche im vergangenen März gezeigt, als Hundertausende von Bürgern stundenlang in strömendem Regen ausharrten, um ihrem «Regenten» die letzte Ehre zu erweisen. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, das dann auch im August anlässlich der Feierlichkeiten zum 50. Bestehen Singapurs und dem alsbald darauf gefolgten Nationalfeiertag noch verstärkt wurde, dürfte massgeblich dafür gesorgt haben, dass die Wählerinnen und Wähler der PAP ihre Stimme gaben.
Von grosser Tragweite für die Schweizer Banken
Das in den vergangenen fünfzig Jahren Erreichte sowie die unwägbare Situation rund um Singapur herum, aber auch das Versagen der politischen Opposition, herausragende Kandidaten für diese Wahlen zu stellen, verbunden mit der enormen Popularität des amtierenden Ministerpräsidenten Lee Hisen Loong, dürften letztlich zum Sieg der Regierungspartei beigetragen haben.
Ein Sieg, der für die Schweizer Banken in Asien von grosser Tragweite ist.
PS. Für die PAP bedeutet der Zuspruch der Bevölkerung aber auch, sich angesichts der fortschreitenden Globalisierung und der wachsenden Durchlässigkeit der Informationsflut über die Sozialen Medien rasch zu erneuern und sich den veränderten Gegebenheiten anzupassen sowie ein Demokratieverständnis an den Tag zu legen, das westlichen Standards genügt. Dazu gehört auch die Nachfolgeregelung für den 63-jährigen Ministerpräsidenten Lee Hsien Loong, der das Land seit 2004 regiert. Mit der Designation eines valablen Nachfolgers, der nicht mehr aus dem unmittelbaren Clan der Familie von Lee Kuan Yew entstammt, würde ein weiteres und wichtiges Signal ausgesendet.