Im vergangenen Jahr lag die wichtigste Herausforderung für Investment-Strategen in Europa. Dieses Jahr könnte es Japan sein, sagt der Ökonom Martin Jetzer.
Sollte man «Abenomics» ernst nehmen? Martin Jetzer (Bild), Chefökonom des Zürcher Vermögensverwalters Bellecapital, ist überzeugt davon.
Ein Ende der Deflation in Japan – das alles andere als sicher ist – könnte Schluss machen mit drei Jahrzehnten Stagnation in der Wirtschaft und den Ausblick für den Finanzmarkt dramatisch verändern. Anleihen und die Währung würden in einen langen Abwärtszyklus kommen, Aktien in einen anhaltenden Aufwärtszyklus, sagt Jetzer.
Dieser Prozess könnte ausgelöst werden von einem aggressiven Zyklus der geldpolitischen Lockerung, der rund um die Welt zu spüren sein würden. Vor diesem Hintergrund empfiehlt Jetzer für ausgewogene Portfolios eine klare Reduktion von Yen-denominierten Anleihe-Durationen und ein Aufstocken von japanischen Exportfirmen.
Extrem günstig bewertete Unternehmen in Japan
Das zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis für Japan liegt deutlich unter seinem historischen Median. Andere Messlatten für die Bewertung, insbesondere Kurs-Umsatz- und Kurs-Buchwert-Verhältnis, bestätigen, dass japanische Unternehmen zu den am günstigsten bewerteten im Universum gehören.
- Auch gemessen an den Gewinnaussichten sehen die Bewertungen günstig aus: Die scharfe und plötzliche Abwertung des Yen um 15 Prozent dürfte, zusammen mit verbesserten Aussichten für die Weltwirtschaft, die Profitabilität in diesem und im nächsten Jahr stärken. Die Unternehmensgewinne könnten, soweit es nicht zu einer weltweiten Kontraktion der Wirtschaft kommt, in den nächsten drei Jahren mit zweistelligen Raten zunehmen.
- Üblicherweise geht eine fallende Währung mit steigenden Zinsen einher. Viele – wenn nicht alle – Unternehmen würden von steigenden Zinsen ebenso profitieren wie von einem fallenden Yen. Dafür sprechen erhebliche Netto-Positionen an Cash in ihren Bilanzen.
- Allerdings wird die Regierung mit dem höchsten Schuldenstand überhaupt – die Bruttoschulden Japans liegen auf dem Rekordwert von 237 Prozent des BIP – alles dafür tun, einen starken Anstieg der Anleiherenditen zu verhindern. Ein Anstieg von deutlich unter 1 auf 2 Prozent (dies entspräche der Rendite von zehnjährigen US-Treasuries) würde den Anteil der Steuereinnahmen Japans, die für Zinszahlungen aufzuwenden sind, auf fast drei Viertel erhöhen – eine beispiellose und nicht lange durchhaltbare Belastung. Einbrechende Anleihenkurse würden zudem riesige Verluste für die Banken des Landes bedeuten, von denen viele möglicherweise nicht ausreichend kapitalisiert sind, um einen solchen Schlag für ihre Bilanzen zu verkraften.
- Ein einfacher und möglicherweise der einzige Weg zu einer Stabilisierung der langfristigen Zinsen besteht darin, den Yen auf ein klar unterbewertetes Niveau fallen zu lassen (etwa 15 bis 20 Prozent unter Kaufkraftparität). Der billige Yen würde dann die niedrigen Renditen von japanischen Staatsanleihen ausgleichen. Der Abwärtszyklus ist noch in einem frühen Stadium. Gegenüber dem Dollar hat der Yen seit Ende Oktober 2012 bereits 15 Prozent verloren, gegenüber dem Euro 20 Prozent.
Jetzers Meinung: «Wir sind mitten in einem Yen-Bärenmarkt. Sichern Sie also Währungsrisiken ab, wenn Sie am japanischen Aktienmarkt investieren.»
Die Regierung spielt mit dem Feuer
Die Reflationierung einer hoch verschuldeten Volkswirtschaft, die von Zinsen nahe 0 Prozent profitiert, birgt die Gefahr eines Ausverkaufs am Anleihenmarkt. Wenn es dazu kommt, bietet der Aktienmarkt einen besseren Unterschlupf als Cash oder Immobilien. Trotz der jüngsten Rally waren japanische Aktien in den vergangenen dreissig Jahren nie günstiger bewertet. Sie dürften sich in diesem Jahr überdurchschnittlich entwickeln.
All das sind tatsächlich überraschende Entwicklungen. In diesem Zusammenhang kommt mir eine der grössten Sünden im Portfoliomanagement in den Sinn. Um es mit den Worten von Victor Weisskopf, einem der berühmtesten Physiker des 20. Jahrhunderts zu sagen: «Es gibt nur eine Sünde: Von einer guten Idee zu hören und sie nicht umzusetzen.»
Martin Jetzer empfiehlt: «Tauschen Sie US-Treasuries gegen japanische Aktien – das ist die ultimative Contrarian-Rotation!»