Subtil hat sich der Ökonom Martin Schlegel innerhalb der Schweizerischen Nationalbank nach oben gearbeitet. Nun steht er vor seinem wohl grössten Karriereschritt. Doch er muss sich dabei einiges zumuten, was seinen Vorgänger zuletzt eher belastet hat.
Grosse Personalveränderungen sind idealerweise mit einer klaren Nachfolgeregelung verbunden. Im Fall des Rücktritts von Thomas Jordan als Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ist dies nicht der Fall. Die SNB lässt es vorläufig offen, wer ab Oktober 2024 in die Fussstapfen Jordans treten wird.
Es wäre indessen eine enorme Überraschung, wenn diese Person nicht Martin Schlegel wäre – derzeit Vizepräsident des dreiköpfigen Direktoriums. Er steht seit 2003 im Sold der SNB, wo er sukzessive die Karriereleiter hochgestiegen ist und dabei vielfältigste Aufgaben übernahm. So arbeitete er in der Finanzmarkt-Analyse, im Geldmarkt genauso wie in der Einheit «Devisen und Gold».
Auslandserfahrung in Singapur gesammelt
Darüber hinaus sammelte er Auslandserfahrung in Singapur, der einzigen SNB-Niederlassung ausserhalb der Schweizer Landesgrenzen. Weiteres Know-how legte er sich als Mitglied des Anlagekomitees der SNB zu, als Lehrbeauftragter an der Universität Basel sowie als Experte innerhalb des Internationalen Währungsfonds. Seit August 2022 leitet er das II. Departement (Finanzstabilität, Bargeld, Risikomanagement, Rechnungswesen, Controlling, Operationelle Risiken und Sicherheit) in Bern.
Als Jordan 2021 aus gesundheitlichen Gründen temporär ausfiel, übernahm Schlegel dessen Funktion, was ihn wiederum dafür prädestinierte, im August 2022 zum Vizepräsidenten der SNB aufzusteigen. Das wiederum sorgte damals für einige Emotionen, da manche Beobachter erwartet hatten, die Wahl würde erstmals auf eine Frau fallen, nämlich auf Andréa Maechler, ihres Zeichens ebenfalls Direktoriumsmitglied. Es ist zu vermuten, dass Maechler aus diesem Grund Mitte 2023 der SNB den Rücken kehrte und seit September 2023 als stellvertretende Generaldirektorin der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel amtet.
Der Öffentlichkeit verpflichtet
Der 47-jährige Schlegel verkörpert zweifelsohne eine neue Generation an Nationalbank-Vertretern, die nichts mehr mit der überlieferten Einsilbigkeit der früheren Währungshüter zu tun hat. Mittlerweile ist sich die SNB mehr als bewusst, dass sie als staatliche Institution der Öffentlichkeit verpflichtet ist und ihre Anliegen, gerade auch in der Digitalisierung, nur im steten Dialog mit der Bevölkerung erfolgreich umsetzen kann.
Diesen Paradigmenwechsel nach aussen läutete der frühere SNB-Präsident Philippe Hildebrand in seiner Amtszeit von 2010 bis 2012 ein. Hildebrand hat mit seinem charismatischen Naturell erstmals zum Ausdruck gebracht, dass nicht nur «Apparatschiks» oder – netter ausgedrückt – bloss Beamte in dieser Institution tätig sind. Da sein Abgang aufgrund der kuriosen Devisengeschäfte seiner damaligen Gattin nicht freiwillig verlief, war es dann Jordan, der – letztlich unvorbereitet – in die Bresche springen musste.
Lockerer und schlagfertiger
Jordan, wesentlich verhaltener als sein Vorgänger und bisweilen gar stoisch, gab sozusagen die Antithese zu Hildebrand – was vermutlich gar nicht so schlecht war, angesichts der zahlreichen Aufgaben, die über die folgenden Jahre auf ihn hereinprasselten, wie finews.ch ebenfalls berichtete. So wurde Jordan als stiller, zuverlässiger, hoch kompetenter Schaffer dem Bild der Schweiz mehr als gerecht. Ebenso den Ansprüchen an dieses hohe Amt, das sich allein aufgrund der Themen Franken, Zinsen und Credit-Suisse-Debakel als enorm belastend erweisen sollte.
Schlegel steht von seiner Art her zwischen seinen beiden Vorgängern: offen, zugänglich, aber ohne allzu überbordende Allüren wie Hildebrand, gleichwohl lockerer und schlagfertiger als Jordan. Das macht ihn auch intern beliebt, so dass er für seinen steilen Werdegang viel Unterstützung findet und die Tatsache, dass seinerzeit er und nicht erstmals eine Frau in den Vizeposten ernannt wurde, am Ende des Tages nur für wenig Aufhebens sorgte.
Schweiz auf dem Radar
Dank seiner Auslandserfahrung namentlich in der Wachstumsregion Asien ist er – genauso wie Hildebrand bezogen auf die USA – auf dem internationalen Parkett schrittsicher; dank seiner diversen nationalen Funktionen etwa bei der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, im Vorstand der Schweizerischen Gesellschaft für Konjunkturforschung (SGK) oder als Präsident des Stiftungsrats des Studienzentrums Gerzensee hat er den Bezug zur Schweiz klar auf dem Radar.
Somit spricht viel für Schlegel als Jordan-Nachfolger, zumal sein Direktoriumskollege Antoine Martin erst seit diesem Jahr im Amt ist. Die drei Mitglieder dieses Gremiums werden auf Vorschlag des Bankrats für die Dauer von sechs Jahren durch den Bundesrat gewählt. Theoretisch kann auch eine Person aus dem erweiterten, vierköpfigen Direktorium oder gar von aussen ins Präsidium gewählt werden, wie auf Anfrage zu vernehmen war.
Übernähme im Herbst tatsächlich Schlegel den Präsidentenposten, warteten Aufgaben auf ihn, denen sich Jordan ganz offensichtlich nicht mehr stellen wollte, wie finews.ch am Freitag ebenfalls festgestellt hat.