Er trat als erfolgsgewohnter Manager an, um seine Karriere in einer Schweizer Grossbank zu krönen. Nun tritt Urs Rohner unter heftiger Kritik zurück und hinterlässt eine Bank, die destabilisiert ist und vorläufig keinerlei Perspektiven hat. Wie es dazu gekommen ist.
April 2009
Der Wirtschaftsjurist und Manager Urs Rohner wird als hauptamtlicher Vizepräsident in den Verwaltungsrat der Credit Suisse (CS) gewählt, nachdem er von 2004 bis 2009 Chefjurist (General Counsel) der zweitgrössten Schweizer Bank gewesen war; zusätzlich amtete er von 2006 bis 2009 als Chief Operating Officer der Bank. Zu der Zeit präsidiert Walter Kielholz das Aufsichtsgremium.
April 2010
An einer Fachtagung in Rüschlikon bei Zürich rechnet Rohner mit dem Schweizer Bankgeheimnis ab. Er sagt damals unter anderem, dass die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und -hinterziehung «wenn wir ehrlich sind, nie viel Sinn gemacht hat». Anfang 2017 führt die Schweiz den Automatischen Informationsaustausch (von Bankdaten) mit zunächst 38 Ländern ein.
April 2011
Rohner rückt zum Verwaltungsratspräsidenten der CS auf, nachdem die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) ein Jahr zuvor verlangt hatte, dass er noch mindestens ein Jahr mehr als Vizepräsident im Dienst ist. In dieser Zeit, also von 2010 bis 2011 übernimmt Hans-Ulrich Doerig (Bild oben) das Präsidium.
April 2012
Rohner wird mit lediglich 90 Prozent der Aktionärsstimmen wiedergewählt. Es ist das mit Abstand schlechteste Ergebnis unter seinen Verwaltungsratskollegen.
Juni 2012
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) weist die Credit Suisse an, die Ausschüttungen an die Aktionäre zu kürzen, um das Eigenkapital aufzustocken.
Juli 2012
Die Credit Suisse beschafft sich weiteres Kapital, indem sie bedingte Pflichtwandelanleihen an Ankerinvestoren ausgibt. Ausserdem verkauft sie in mehreren Etappen erstklassige Immobilien in Zürich, darunter das Metropol-Haus, den Leuenhof, das Grieder-Haus (Bild oben) sowie den Üetlihof. Ausserdem fordert sie ihre Kaderleute auf, mehr Aktien anstatt Bargeld-Boni zu beziehen.
Oktober 2013
In einem Interview mit dem CS-Kundenmagazin «bulletin» verrät Rohner, dass er nach seiner Zeit bei der CS gerne Drehbücher schreiben und Filme produzieren möchte. Er outet sich als Amerika-Fan und sagt unter anderem auch: In der Schweiz vermisse er manchmal eine innere Grosszügigkeit, jemandem eine zweite Chance zu geben. Das sei ein fundamentaler Unterschied zu den USA. «Bei uns wird nicht so leicht vergeben – das schafft Angst vor Fehlern und hemmt den Mut, etwas zu wagen.»
Mai 2014
Kielholz (Bild unten), Rohners grösster Förderer, verlässt nach zwölf Jahren den Verwaltungsrat der Credit Suisse. Kielholz hat immer verhindert, dass der frühere CS-Konzernchef Oswald J. Grübel in den Verwaltungsrat der CS nachrückt oder gar deren Präsident wird. Entsprechend hat er Rohner umso mehr gestützt.
Zehn Tage nach dem Abgang von Kielholz bekennt sich die CS in den USA der «Verschwörung» respektive der Beihilfe zur Steuerhinterziehung bei Kunden für schuldig und zahlt 2,6 Milliarden Dollar zur Beilegung dieses Strafverfahrens. Rohner versteigt sich am Schweizer Fernsehen SRG zur Aussage: Auch wenn die Bank einen hohen Preis für die Einigung bezahlen müsse, er habe eine weisse Weste.
Zwei Tage nach dem Vergleich kritisiert der stellvertretende US-Generalstaatsanwalt den «Ton an der Spitze» der CS und beschuldigt die Bank der «unzureichenden Kooperation» vor.
März 2015
Rohner ist die treibende Kraft hinter der Anstellung des französisch-ivorischen Managers Tdjane Thiam (Bild unten) als neuen CEO der CS im Juni 2015; der bisherige Amtsinhaber, der Amerikaner Brady Dougan, muss nach acht Jahren gehen.
April 2015
Rohner wird von mehr als 96 Prozent der Aktionärinnen und Aktionäre der CS wiedergewählt.
Oktober 2015
CEO Thiam führt eine Kapitalerhöhung in Höhe von 6 Milliarden Franken durch, um die knappen Eigenmittel der Grossbank zu äufnen. Gleichzeitig startet er eine weitreichende Restrukturierung, einschliesslich der Absicht, die Schweizer Bank (Swiss Universal Bank, SUB) an die Börse zu bringen.
Februar 2016
Die CS gibt eine Abschreibung in Höhe von einer Milliarde Dollar auf illiquide Positionen bekannt. Der Grossteil davon betrifft verbriefte Produkte wie Collateralized Loan Obligations und notleidende Kredite. Nach drei Verlusten in Folge wird die Bank erst 2018 wieder einen Jahresgewinn erzielen.
März 2017
Die CS zahlt Rohner fast 4 Millionen Franken an Gehalt sowie 11,9 Millionen Franken an CEO Thiam – dies in einem Jahr, in dem der Aktienkurs der Bank um rund ein Drittel gefallen ist. Zudem kündigt sie an, auf sogenannte Scrip-Dividenden (aktienbasierte Dividenden) zugunsten von Bargeld zu verzichten.
April 2017
Die CS verwirft ihren Plan, ihre Schweizer Einheit an die Börse zu bringen, und zapft aufgrund der guten Entwicklung an den Finanzmärkten stattdessen die Aktionäre für eine Kapitalerhöhung in Höhe von 4 Milliarden Franken an. Im selben Monat fordert die Schweizer Investorenberatung Ethos den Rücktritt von Rohner, da er der «falsche Mann» sei, um die CS in eine neue Ära zu führen.
Einige Wochen später erhält Rohner wiederum nur 90 Prozent der Aktienstimmen zu seiner Wiederwahl.
Februar 2019
Die CS schliesst unter der Ägide Thiams eine dreijährige Restrukturierung ab und erzielt einen Gewinn von 2,02 Milliarden Franken.
Oktober 2019
Das Topmanagement der CS muss öffentlich einräumen, ihren eigenen Kadermann und Chef der Vermögensverwaltung, Iqbal Khan (Bild unten), bespitzelt zu haben, nachdem bekannt geworden war, dass er zur Erzrivalin UBS wechselt. Die Verantwortlichen der CS bezeichnen das Ereignis als Einzelfall, Allerdings erweist sich das später als Lüge, weil sich herausstellt, dass mindestens ein weiterer Topmanager, Peter Goerke, ebenfalls beschattet worden ist.
Der als «Spygate» in die Geschichte eingehende Skandal schadet der Reputation der Bank erheblich und verzögert letztlich den ursprünglich schon 2018 geplanten Rücktritt Rohners an der Spitze der CS.
Februar 2020
Der damals zweitgrösste Aktionär der Credit Suisse, Harris Associates, startet eine internationale Kampagne, um Rohner als Präsidenten abzusetzen. Der Versuch, der Rohner massiv unter Druck setzt, scheitert jedoch. Die notirische Kritik aus dem Hause Harris Associates ebbt allerdings nicht mehr ab.
Aufgrund der Querelen rund um die «Spygate»-Affäre trennt sich die CS von CEO Thiam. Rohner gewinnt den Machtkampf und nominiert den Schweizer CS-Banker Thomas Gottstein zun neuen Konzernchef. Rohner kündigt an, im Jahr 2021 von seinem Amt zurückzutreten.
April 2020
Rohner erhält an der Generalversammlung nur 77,50 Prozent der Aktionärsstimmen. Damit hat seine Popularität ein Rekordtief erreicht.
Oktober 2020
Einige Medien berichten von Rohners Party zu einem 60. Geburtstag, bei der es offenbar einen rassistisch motivierten Auftritt eines schwarzen Künstlers gegeben haben soll. Die Meinungen der Anwesenden gehen diesbezüglich weit auseinander. Trotzdem entschuldigt sich Rohner öffentlich für diesen Vorfall. Vor allem die US-Medien, die vermutlich vom früheren CS-Chef Thiam alimentiert worden sind, schiessen scharf auf Rohner und die CS.
Dezember 2020
Die CS designiert den Portugiesen António Horta-Osório (Bild oben) als ihren nächsten Präsidenten. Er hat die britische Bank Lloyds nach der Finanzkrise von 2008/09 aus den Turbulenzen geholt. Bei der Suche nach einem Nachfolger Rohners war CS-Vizepräsident und Roche-CEO Severin Schwan die treibende Kraft.
Im selben Monat gibt die Finma bekannt, dass sie die Unternehmensführung (Corporate Governance) der CS im Zusammenhang mit der «Spygate»-Affäre untersuchen wird. Rohner leitet im Verwaltungsrat seit 2011 das Governance- und Nominationskomitee der Bank.
März 2021
Die CS schliesst mehrere sogenannte Lieferketten-Fonds der Firma Greensill Capital im Gesamtwert von mehr als 10 Milliarden Dollar. Dies, nachdem sie diese Spekulations-Vehikel noch drei Monate zuvor als vielversprechende Investitionen gepriesen hatte.
Die Bank bemüht sich daraufhin um Schadensbegrenzung in anderen Geschäftsbereichen, zumal die CS-Investmentbank gehofft hatte, den britischen Greensill-Ableger an die Börse zu bringen, während die Vermögensverwaltungssparte den Unternehmer Lex Greensill (Bild oben) als Privatkunden betreute. Die geschäftlichen Verstrickungen im Fall Greensill stellen das CS-Geschäftsmodell der One-Bank in Frage.
Zwei Wochen später muss die CS einräumen, dass sie aufgrund des Zusammenbruchs des US-Hedgefonds Archegos einen Verlust von 4,4 Milliarden Franken erlitten hat. Die Skandale rund um Archegos und Greensil stürzen die CS in eine Krise; der Kurs der CS fällt unter die Marke von 10 Franken. Die CS-Verantwortlichen leiten umfangreiche Untersuchungen ein, allerdings bleiben auch die Aufsichtsbehörden in verschiedenen Ländern (Schweiz, USA, Grossbritannien) nicht untätig.
April 2021
Grosse Fragezeichen wirft unter anderem der Umstand auf, weshalb die CS einem einzigen Kunden, Archegos, so viel Geld geliehen hat, zumal der eingetretene Verlust an die Substanz der Bank geht. Die CS trennt sich von ihrem Investmentbanking-Chef Brian Chin sowie von ihrer Riskmanagement- und Compliance-Chefin Lara Warner (Bild unten). Gehörige Kritik muss auch CEO Gottstein einstecken, nachdem er im Sommer 2020 beschlossen hatte, angeblich aus Effizienzgründen die beiden Verantwortungsbereiche Riskmanagement und Compliance einer einzigen Person, Warner, zu übertragen.
Die CS kürzt kurzfristig die geplante Dividende für 2020 um zwei Drittel und stoppt einen Aktienrückkauf in Höhe von 1,5 Milliarden Franken. Weder Rohner noch Gottstein beweisen in dieser Zeit viel Sensibilität, sondern versuchen, die beiden Skandal als «Ausrutscher» abzutun, was in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stösst.
Rohner ist Berichten zufolge tief erschüttert über die Vorfälle und befürchtet, wie seinerzeit UBS-Präsident Marcel Ospel, in der Finanzbranche, aber letztlich auch in der Öffentlichkeit einen irreparablen Reputationsschaden zu erleiden. Er verzichtet auf einen Teil seines Gehalts und entzieht sich der «Décharge» durch die Aktionärinnen und Aktionäre.
Kurz vor der Generalversammlung vom 30. April 2021 zapft die CS erneut ihre Ankeraktionäre sowie weitere sehr vermögende Investoren für eine Kapitalspritze im Gesamtwert von 1,9 Milliarden Dollar an.
Rohner (Bild oben) übergibt an der Generalversammlung 2021 das Zepter an seinen Nachfolger Horta-Osório. Die Bilanz des Schweizers an der Spitze der CS ist desolat und steht in krassem Gegensatz zum Gehalt von mehr als 40 Millionen Franken, das er in den zehn Jahren in dieser Funktion bezogen hat. Selbst ohne die jüngsten Skandale ist es ihm nie gelungen, die zweitgrösste Bank der Schweiz vorausschauend weiterzubringen. Der Kurs der CS-Aktien ist in dieser Zeit um 70 Prozent gesunken.
Mitarbeit: Claude Baumann