Sergio Ermotti kämpft mit seiner Entscheidung, als CEO der UBS zurückzutreten. Eine von finews.ch recherchierte Episode zeigt das: Als Andrea Orcel die UBS 2018 für Santander verlassen wollte, hielt Ermotti diese Information zurück.

UBS-Verwaltungsratspräsident Axel Weber stand Anfang 2019 plötzlich im Mittelpunkt einer viel Schaden anrichtenden und öffentlich geführten Debatte über die Nachfolgeplanung bei der grössten Schweizer Bank. Weber hatte in einem Interview die Diskussion um eine geplante Ablösung von Sergio Ermotti lanciert – und der UBS-CEO hatte darauf säuerlich reagiert.

Dabei war es Ermotti gewesen, der den Zwist verursacht hatte, wie Recherchen von finews.ch zeigen. Der UBS-CEO hatte nämlich weder Präsident Weber noch den Verwaltungsrat über Andrea Orcels Vorhaben orientiert, die UBS in Richtung der spanischen Grossbank Santander zu verlassen.

Ermotti hielt die Information mehr als zehn Tage zurück

Als der Investmentbank-Chef seinen CEO in der ersten Woche im September über das Angebot von Santander informierte, wartete Ermotti über zehn Tage lang, bis er Weber darüber in Kenntnis setzte. Dies bestätigen drei mit den Vorgängen vertraute Personen gegenüber finews.ch. Ermotti habe den Präsidenten erst kurz vor einer ordentlichen Sitzung des Verwaltungsrates in Singapur informiert.

Das lange Zuwarten Ermottis, den Verwaltungsrat über die Abgangspläne des Konzernleitungsmitgliedes Orcel zu informieren, stiess dem Gremium sauer auf: Namentlich Ann Godbehere, sie ist inzwischen nicht mehr im UBS-Verwaltungsrat, David Sidwell sowie Robert Scully sollen sehr verärgert gewesen sein. Jetzt, wo sie mit Verspätung von Orcels geplantem Wechsel zu Santander erfahren hatten, war ihr Spielraum stark eingeschränkt, den Investmentbank-Chef doch noch zu halten.

Gespräche sollen explizit vertraulich gewesen sein

Tatsächlich würde Santander bereits eine Woche später die Ernennung Orcels bekannt geben. Die Würfel waren eigentlich schon gefallen, als der UBS-Verwaltungsrat vom Wechsel erfuhr – und dies kurz vor der mit einer bereits dichten Agenda besetzten Sitzung.

Die UBS kommentierte die Recherchen wie folgt: «Die ersten Gespräche waren zu dieser Zeit noch unverbindlich, privat und wurden auf expliziten Wunsch vertraulich behandelt. Später, als klar wurde, dass eine Kündigung sehr wahrscheinlich, aber noch nicht definitiv war, wurden der Verwaltungsratspräsident und als Folge der Verwaltungsrat umgehend informiert – dies mindestens eine Woche vor der öffentlichen Kündigung. Andeutungen, wonach der Verwaltungsrat nicht genügend Zeit gehabt hätte, um zu reagieren, sind bewusst irreführend oder beruhen auf falschen Informationen.»

Orcel wusste nicht, dass er ein Nachfolge-Kandidat war

Der gemäss finews.ch-Informationen offen geäusserte Ärger über die scheinbar von Ermotti zurückgehaltene Information hat einen speziellen Grund: Investmentbank-Chef Orcel war im Verwaltungsrat ein Favorit als Nachfolger von Ermotti gewesen.

Der italienische Star-Banker wusste davon aber nichts. Stattdessen habe ihm Ermotti – die beiden galten seit ihren gemeinsamen Zeiten bei der US-Investmentbank Merrill Lynch als Freunde – über die Jahre zu verstehen gegeben, er habe keine Chance auf den CEO-Posten bei der UBS, wie die mit der Sache vertrauten Personen weiter sagten, was die Grossbank selber aber dementiert.

Versprechungen prallten ab 

Das war schlicht falsch, wie die anschliessenden Versuche des UBS-Verwaltungsrates, Orcel doch noch zu halten, gezeigt haben. So versprach man dem Investmentbanker beispielsweise, ihn öffentlich als Nachfolge-Kandidat Ermottis zu benennen, sollte er bei der UBS bleiben. Aber er liess sich nicht mehr umstimmen.

Am 25. September veröffentlichen sowohl Santander als auch UBS ihre Statements zu Orcels Karrierewechsel.

Von diesem Zeitpunkt an begann sich auch die Kritik gegen Ermotti zu richten, er habe in der Planung seiner Nachfolge versagt. Denn neun Monate vor Orcels Weggang bei der UBS hatte auch Jürg Zeltner, der Chef Wealth Management, die Schweizer Grossbank verlassen. Auch Zeltner hätte sich Chancen auf den CEO-Posten ausrechnen können.

Die vermeintlich gut besetzte Ersatzbank

Die gut besetzte Ersatzbank, von der Ermotti regelmässig schwärmte, war innert kurzer Zeit um zwei Kandidaten ärmer geworden. Der in seinem siebten Jahr als UBS-CEO stehende Tessiner machte im engen Kreis auch mehrfach deutlich, dass er ein ganzes Jahrzehnt an der Spitze der UBS zu verbleiben gedenke.

Die entstandenen Lücken unter den Nachfolge-Kandidaten, plötzlich sprach man nur noch von Americas-Chef Tom Naratil und COO Sabine Keller-Busse, hätte Ermotti möglicherweise verhindern können. Doch zog er es der dieses Jahr 60 werdende UBS-Chef offenbar vor, das Nomination Committee im Verwaltungsrat erstmal zehn Tage lang nicht über Orcels Abgang zu informieren.

Eine eigene Agenda?

Ein Grund dafür könnte die eigene Agenda sein, die Ermotti im Hinblick auf den Ende Oktober 2018 folgenden Investorentag der UBS verfolgt hatte. Es war immerhin der erste solche Anlass seit vier Jahren und Investoren und Aktionäre warteten auf Antworten, wie die UBS ihren Aktienkurs wiederbeleben würde.

Ermotti wollte klaren Tisch und bereits einige Woche vor dem Investorentag die Nachfolge an der Spitze der Investmentbank geregelt haben.

Bis vor Gericht

Was dann geschah, ist bekannt: Orcel ging doch nicht als Santander-Chef nach Madrid und er klagt nun gegen die spanische Grossbank wegen entgangener Zahlungen von über 100 Millionen Euro. Im kommenden April kommt der Fall in Madrid vor ein Gericht.

Bei der UBS rauften sich Ermotti und Weber rasch wieder zusammen. Und mit Iqbal Khan gelang Ermotti im Sommer 2019 ein Personalcoup, der vorerst etwas Ruhe in die Nachfolge-Diskussion brachte. Allerdings: Mit dem 43-jährigen Khan alleine hat die UBS weiterhin keine starke Ersatzbank mit frischen Kandidaten.

Ermottis nächster Coup

Und Ermotti gibt bezüglich seiner eigenen Planung weiterhin Rätsel auf. Wie auch finews.ch vergangene Woche berichtete, hat der UBS-CEO wohl vor, bereits in diesem Jahr zurückzutreten, statt wie bisher erwartet erst 2021. Dieser Tage vermeldete der Schweizer «Tagesanzeiger» (Artikel bezahlpflichtig) auch wieso: Ermotti wolle einerseits den Ausgang des Prozesses in Frankreich abwarten, um danach seinen Laden «besenrein» abgeben zu können.

Ausserdem sei ein diesjähriger Abgang auch Voraussetzung für Ermottis nächsten Karriereschritt: So wolle der Tessiner 2022, wenn UBS-Präsident Axel Weber zurücktritt, selber den Vorsitz des Verwaltungsrats übernehmen. Da dieser aber auf eine zweijährige Cooloff-Phase bestehe, bevor Ermotti den Schritt vom CEO zum Präsident gehen kann, müsste dieser noch in diesem Jahr zurücktreten.