Die Exzesse in der Schweizer Bankbranche der letzten Jahre werden jetzt korrigiert – mit Folgen. Das sagt Max Cotting, CEO der Aquila Group, im Gespräch mit finews.ch.

Max-Cotting

Herr Cotting, der Vermögensverwaltungsbranche in der Schweiz werden unruhige Zeiten mit einschneidenden Veränderungen prophezeit. Und das, obschon die Vermögen weltweit steigen und in China, Indien und Lateinamerika neue Vermögen entstehen. Was läuft falsch in unserem Land?

Durch das von den konkurrenzierenden Finanzplätzen und den von maroden Staaten entfachte Trommelfeuer gegen unseren Finanzplatz sind wir in den letzten Jahren praktisch nie mehr mit positiven Vorzeichen in der Wahrnehmung des Auslandes aufgefallen. Allerdings sehen wir uns selber in einem viel schlechteren Licht als das im Ausland der Fall ist.

Kommt aber dazu, dass unsere grossen Banken in letzter Zeit fast keine Gelegenheit verpasst haben, negativ aufzufallen. Weiter ist es auch so, dass sich im letzten Jahrzehnt Schweizer Banken gegenseitig Beratungsteams abgeworben haben und sich so die Lohnspirale immer weiter nach oben gedreht hat. Diese Exzesse werden jetzt korrigiert. Im Vergleich mit anderen Branchen sind die Saläre im Finanzbereich aber immer noch zu hoch.   


«Unabhängige Vermögensverwaltung liegt im Trend»


Wie stark trägt die Unterstellung der Vermögensverwalter unter die Aufsicht der Finma «schuld» an der sich abzeichnenden Strukturveränderung?

Was heisst da «schuld»? Die Unterstellung ist logisch und notwendig. Die Schweiz ist das einzige Land in dem die Vermögensverwalter noch nicht reguliert sind, wir befinden uns also lediglich im Nachvollzug. Wie dann die Regulierung genau definiert wird, ist ja noch offen.

Es ist aber wichtig, dass grössere Vermögensverwalter, die Anlagefonds verwalten, und kleinere Einheiten differenziert behandelt werden. So erachte ich die strikte Trennung zwischen Verwaltungsrat und Management für eigentümergeführte unabhängige Vermögensverwalter unnötig.

Trotz regulatorischen Veränderungen und Auflagen liegt die unabhängige Vermögensverwaltung aber im Trend. Sie wird weiter wachsen und den Marktanteil als Gesamtes steigern. Die Anzahl der Marktteilnehmer wird sich aber reduzieren.


 «Einpersonen-Gesellschaften werden wohl nicht mehr möglich sein»


Haben kleinere Vermögensverwalter überhaupt noch eine Überlebenschance? Wie lässt sich diese verbessern?

Es wird Mindestanforderungen an die Ausbildung, die Organisation, also Prozesse und Risk Management, sowie die Kapitalausstattung geben. Ich sehe die Mindestgrösse pro Gesellschaft bei etwa drei Personen. Einpersonen Gesellschaften werden wohl nicht mehr möglich sein. Also wird es Zusammenschlüsse zu grösseren Einheiten geben. Zudem ist der Anschluss an eine Plattform, wie wir sie in der Aquila-Gruppe bieten, eine echte Alternative für kleinere Vermögensverwalter.

Gibt es für Vermögensverwalter eine so genannt kritische Grösse?

Wirtschaftlich liegt die kritische Grösse wohl etwa bei 50 Millionen Franken an verwalteten Vermögen. Organisatorisch, wie gesagt, bei etwa drei Personen, damit vorgeschriebene Prozesse über mehrere Köpfe verteilt werden können.

Kostendruck, Margenerosion, Stellenabbau – wahrlich keine sonderlich guten Perspektiven für die Branche. Wo bleibt der Reiz aus Sicht der in dieser Branche Beschäftigten mit Blick in die Zukunft?

Die Freiheit, sich als Unternehmer im Markt zu behaupten. Weg vom Befehlsempfänger übergeordneter Strukturen. Konzentration auf die Bedürfnisse der Kundschaft ohne Rücksicht auf anders gesteuerte Vorgaben wie beispielsweise Budgetdruck, Verkaufsdruck, hierarchischer Druck und so weiter.


«Überkapazitäten an der Kundenfront müssen abgebaut werden»


Steht die Schweiz vor einer bislang nicht bekannten Erscheinung: Arbeitslose aus dem Finanzsektor?

Ja, ich denke schon. Einerseits müssen die Überkapazitäten an der Kundenfront , die in den letzten Jahren geschaffen wurden, wieder abgebaut werden. Andererseits werden in der Logistik, also Backoffice, IT, usw., künftig wohl wesentliche Aufgaben an spezialisierte Einheiten ausgelagert. Damit wird die Wertschöpfungskette aufgespalten, was zwangsläufig zu einem Stellenabbau führt.

Was empfehlen Sie Bankmitarbeitern, die ihre Stelle aufgrund der Strukturveränderung verlieren?

Backoffice Mitarbeiter sollten eigentlich in einer anderen Branche unterkommen, wenn ihre bisherige Tätigkeit nicht zu bankspezifisch war. Frontmitarbeiter werden es schwerer haben, wenn sie nicht über eine gewisse Kundenbasis verfügen, um sich selbständig, allenfalls mit anderen Kollegen, zu machen.


«Der Wegfall von Retros beschleunigt die Strukturbereinigung»


Welche Bedeutung messen Sie dem Wegfall der Retrozessionen zu? Wie weit beschleunigt dies die Strukturbereinigung?

Der Wegfall von Retrozessionen wird etliche Akteure, Banken und Vermögensverwalter, hart treffen und die Strukturbereinigung beschleunigen. Der Kunde hat Anspruch auf volle Transparenz in der Frage der Entschädigung, das ist unbestritten. Der Kunde ist aber bereit, eine angemessene Management Fee und allenfalls eine Performance Fee für einen guten Service und eine überdurchschnittliche Performance zu bezahlen.

Weiter wird der Wegfall von Retrozessionen  mittelfristig zu höheren Gebühren führen und Banken werden in der Vermögensverwaltung Drittfonds wohl durch eigene Produkte ersetzen.

Mit den von den beiden Grossbanken angekündigten Massnahmen resp. Redimensionierung verliert das Investmentbanking an Bedeutung, die Vermögensverwaltung und das Retailbanking gewinnt an Gewicht. Wie schätzen Sie diese Verschiebung aus volkswirtschaftlicher Sicht ein?

Dies ist keine schlechte Entwicklung a priori. Das klassische Investment Banking, also das Emissionsgeschäft –Anleihen, Aktienemissionen usw. – wird weiterhin wichtig bleiben. Das «Selbstzweck-Investmentbanking», also die Begebung von allerlei intransparenten und unnötigen Produkten wird zurückgefahren. Es ist zu hoffen, dass sich damit der Fokus wieder auf die Bedürfnisse der Kunden verschiebt. 


«Die Abgeltungssteuer ist gut, um die Vergangenheit zu regeln»


Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass der automatische Informationsaustausch kommt und die Abgeltungssteuer auf der Strecke bleibt?

Die Abgeltungssteuer ist ein gutes Instrument um die Vergangenheit zu regeln und wir sollten jetzt mal abwarten und Erfahrungen damit sammeln. Der automatische Informationsaustausch ist nicht internationaler Standard und wir sollten uns jetzt nicht selber kannibalisieren und Terrain preisgeben, ohne einen realen Gegenwert einzuhandeln.     

Was würde die Einführung des automatischen Informationsaustausches für den Finanzplatz Schweiz aus Sicht eines Vermögensverwalters und für die Aquila Group bedeuten?

Der automatische Informationsaustausch in Europa gilt ja nur für Privatkunden, nicht aber für Gesellschaften, Trusts und Stiftungen. Grössere Kunden aus Europa haben die Schweiz wohl  längst verlassen und dem Informationsaustausch entsprechende Strukturen geschaffen.

Auf der Welt gibt es aber Regionen, in welchen vermögende und steuerkonforme Personen an Leib und Leben bedroht sind, wenn Bankdaten öffentlich werden.  Ein automatischer Informationsaustausch mit solchen Ländern hätte dramatische Folgen, diese – legalen – Vermögen würden mit Sicherheit sofort abgezogen und nicht mehr zurückkommen. Davon wäre natürlich auch unsere Gruppe betroffen. 


«Die Welt bewegt sich in eine gefährliche Richtung»


Ist das Schweizer Bankgeheimnis faktisch bereits «tot»?

In Bezug auf die Steuertransparenz bestimmt angezählt. Wenn dem auch nicht so ist, es wird zumindest so gesehen. Das Bankgeheimnis darf aber nicht mehr auf die Steuerfrage reduziert werden. Wichtiger ist der Schutz des Eigentums und der Schutz der persönlichen Daten.

Die Welt bewegt sich in eine gefährliche Richtung. Vermögende Personen werden öffentlich angegriffen und diffamiert. Enteignung, Reichensteuer usw. sind Schlagworte, die täglich in den Medien kursieren und welche eine Institution wie das Bankgeheimnis erst recht legitimieren.   

Die SVP möchte das Bankkundengeheimnis in der Verfassung verankern und so Bankkunden mit Wohnsitz in der Schweiz vor dem «Schnüffelstaat» schützen. Was ist Ihre Meinung dazu?

Grundsätzlich einverstanden, vielleicht mit Ausnahme des Einbezugs von Gesellschaften. In der Schweiz ist der Staat für die Bürger da. Im Ausland meistens umgekehrt. Wir sind mit diesem Vertrauensverhältnis sehr gut gefahren. Der Anreiz, den Staat, also uns selbst, zu hintergehen ist viel tiefer als im Ausland. Wenn wir dieses Verhältnis umkehren, also weg vom Vertrauensverhältnis der Selbstdeklaration, so werden wir in das unselige Fahrwasser der Austrixerei des Staates einbiegen.


«Das wird die Chance für kleinere Vermögensverwalter»


Ihre Prognose: Wie präsentiert sich der Schweizer Bankenplatz in fünf bis zehn Jahren – Struktur, Stellenwert, internationale Positionierung usw.?

Der internationale Stellenwert wird möglicherweise etwas tiefer sein. Die grossen Banken etablieren sich ja vermehrt in den aufkommenden Finanzzentren in Asien. Grosse Schweizer Banken werden  weiterhin eine wichtige Rolle spielen, nicht unbedingt aber aus der Schweiz heraus.  

Der heimische Finanzplatz wird sich auf etwas tieferem Niveau einpendeln. Privatbanken mit einem eigenständigen Auftritt, der sich von der Konkurrenz abhebt, werden sich behaupten. Dazu gehört auch, dass sich Schlüssel-Mitarbeiter am Unternehmen beteiligen können.

MiFid II wird dazu führen, dass die Bedeutung der Anlageberatung zu Gunsten der Vermögensverwaltung sinken wird. Weiter werden die grossen Banken die Vermögensverwaltung noch mehr standardisieren und genau das wird dann die Chance für kleinere Vermögensverwalter sein, unzufriedene Individualkunden aufzunehmen.


Max-Cotting_qMax Cotting ist Gründer und CEO der Aquila Group. Der eidg. dipl. Bankfachmann mit Zusatzausbildung in New York hat eine Karriere im Private Banking hinter sich. Er war Vorsitzender der zur CS Group gehörenden Privatbank Heusser und nach Integration der Bank in die Zürcher Clariden Bank Mitglied der Clariden-Geschäftsleitung.

Ende 1999 machte er sich mit der Gründung der Aquila Group selbständig. Die Spezialisten im Advisory & Support Center der Gruppe stellen gegen eine ertragsabhängige, nach oben begrenzte Gebühr für die angeschlossenen Vermögensverwalter Research zur Verfügung, erarbeiten die Anlagepolitik, erstellen Fonds-Analysen, befassen sich mit Produkten, sind für Rechtsfragen und die Compliance veranwortlich, erledigen das Rechnungswesen und betreiben die Informatik der Gruppe. 

Der 56-jährige Max Cotting ist mit Vrony Julen verheiratet, deren Schwester Moni mit Pirmin Zurbriggen. Auf Findelen ob Zermatt betreiben Max und Vrony Cotting-Julen die Skihütte «Chez Vrony».