Angesichts der überschiessenden Teuerung macht nun auch das Schreckgespenst der «Greenflation» an den Finanzmärkten die Runde. Muss der Nachhaltigkeit-Trend abgebremst werden?
Auch Diana van der Watt, Ökonomin des grössten Schweizer Rückversicherers Swiss Re, hat sich schon über die Thematik gebeugt. In einem Report vom vergangenen Mai kam sie zum Schluss, dass etwa der Übergang zu erneuerbaren Energieträgern über die nächsten zehn Jahre zu einer strukturellen Inflation beitragen werde.
Für sie ist die «Greenflation», die grüne Inflation, eine Realität. Und je schneller die Transformation zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft vonstatten gehe, desto mehr werde diese Teuerung befeuert.
Rufschädigend für die Nachhaltige Finanz?
Auch Jeremy Lawson, Chefökonom des in Schottland verwurzelten europäischen Fondsriesen Abrdn, konzediert, dass es die grüne Inflation gibt. Am Markt werde diese definiert als der Einfluss der Umweltpolitik auf die Kosten der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die sich dann über die Lieferketten in den Verbraucherpreisen niederschlagen.
«Manche Beobachter verweisen auf die Energiewende als inflationäre Kraft, da sich Unternehmen trotz der weiterhin erhöhten Kosten für Strom aus erneuerbaren Energien genötigt sehen, weniger in fossile Energien zu investieren», erklärt Lawson in einem aktuellen Kommentar.
Angesichts der ausufernden Inflation in den USA und der Eurozone und der Zinswende in den westlichen Industriestaaten sind solche Befürchtungen dazu angetan, den Kampf gegen den Klimawandel und auch die Bemühungen um die Nachhaltige Finanz in Misskredit zu bringen. Letzteres Geschäft wird derzeit gerade mit Vorwürfen des Etikettenschwindels mit der Nachhaltigkeit, dem so genannten Greenwashing, eingedeckt. Solche Kritik könnte nicht zuletzt den Aufstieg der Schweiz zum internationalen Hub für der Nachhaltigen Finanz behindern.
Andere Schuldige
Doch Abrdn-Ökonom Lawson hällt in seinem Report auch fest, dass er die Befürchtungen rund um die grüne Inflation für überzogen hält. Ursache für das Inflationsproblem etwa in den USA sei nicht die Klimapolitik – sondern das Übermass an Konjunkturmassnahmen im Nachgang der Pandemie. Zu lange habe das Land an seiner entgegenkommenden Geld- und Haushaltspolitik festgehalten, und jetzt herrsche auf dem US-Arbeitsmarkt Hochkonjunktur.
Sowieso sei das Narrativ der grünen Inflationvon der Entwicklung im Westen getrieben, stellt Lawson fest. Die Inflation sei in der Region Asien-Pazifik, wo die Klimapolitik weit hinterher hinkt und der Sektor der fossilen Energie weniger beschränkt wird, erheblich niedriger.
Augen zu und durch
Dass die westlichen Notenbanken nun endlich die Zinsen erhöhten, wertet der Volkswirtschaftler mit Blick auf die Greenflation als positiv. Es sei nicht damit zu rechnen, dass die Gesamtinflation längere Zeit über den Notenbankzielen bleibe.
«In zwei Jahren wird die grüne Inflation unseres Erachtens kein Thema mehr sein», gibt sich Lawson optimistisch. Stattdessen werde sich die Debatte wohl eher um die Folgen einer Rezession drehen, die zumindest in den USA mit dem Auftritt von US-Notenbank-Chef Jerome Powell am (gestrigen) Dienstag defintiv eingesetzt hat.
Bei diesem Ausblick schwingt wohl eine gute Portion Hoffnung mit, welche Lawsons Kollegin van der Watt bei der Swiss Re nicht unbedingt zu teilen scheint. Vielmehr mahnt sie zum Durchhalten. Wenn jetzt kräftig in die Technologien für die Transition investiert werden, würden deren Kosten eher sinken und die Konjunktur entlasten. Für sie ist bezüglich der Greenflation klar: «Wir können es uns nicht leisten können, sie nicht zu erdulden.»