Viele Anlegerinnen und Anleger denken inzwischen, dass Gold nicht mehr den gleichen Status als sicherer Hafen hat wie noch vor zwanzig Jahren, sagt Andreas Hablützel, CEO der Degussa Goldhandel in der Schweiz, in Interview mit finews.ch


Herr Hablützel, die westlichen Sanktionen gegen Russland umfassen nun auch den Goldhandel und die Goldbestände der russischen Zentralbank. Was bedeutet dies für den Goldmarkt?

Russland liefert etwa 10 Prozent des physischen Golds. Dieser Anteil bricht jetzt am Goldmarkt weg. Für Degussa spielt der Wegfall nicht so eine grosse Rolle, auch wenn wir die Verknappung spüren. Es stellt eher für Raffinerien ein Problem dar. Physisches Gold kann man aber auch verleihen – und wie bei einem Franken-Kredit Zinsen dafür erhalten. Dieser Zinssatz hat sich jetzt verdoppelt. Das hat teilweise Stress verursacht.

Die Schweiz ist eine der grössten Drehscheiben für den Import und Export von Gold. Wie wichtig ist russisches Gold für die Schweizer Raffinerien?

Für Schweizer Raffinerien ist der Wegfall des russischen Goldes nicht so einschneidend, als dass sie jetzt ein grösseres Problem hätten. Bei Palladium dagegen ist Russland ein sehr starker Partner.

Die Versorgungsketten der Goldindustrie sind in den letzten Jahren öfters in die Kritik geraten. Der World Gold Council und die London Bullion Market Association starten zusammen mit wichtigen Goldakteuren ein «Integritätsprogramm» auf Basis der Blockchain-Technologie, das Marktteilnehmern helfen soll, die Echtheit ihrer Goldbarren zu überprüfen. Was genau steht hinter diesem Programm?

Der internationale Grosshandel mit physischem Gold fusst auf Vertrauen. Mit Hilfe des «Integritätsprogramm», das jetzt in eine Testphase gestartet ist, können Goldbarren registriert und die gesamte Lieferkette und Transaktions-geschichte erfasst werden. Die Degussa Schweiz war hier für die Degussa-Gruppe federführend und wird nun in der Testphase sehr eng mit der Schweizer Firma Axedras zusammenarbeiten.

«Institutionelle haben aufgrund der russischen Invasion nicht gross aufgestockt.»

Die Grundidee hinter dem Programm ist, dass sich kein zweiter Barren herstellen lässt, den es bereits gibt. Das «Integritätsprogramm» soll Anlegern helfen, darauf zu vertrauen, dass ihr Gold echt ist und auf verantwortungsvolle und nachhaltige Weise beschafft wurde, also nicht aus dubiosen Quellen stammt.

Wenn ich einen Goldbarren kaufe, taucht dann künftig mein Name als Käufer auf der Blockchain auf?

Nein, die Anonymität des privaten Endkäufers bleibt gewahrt. Das Programm bezieht sich auch nur auf Barren mit einer Barren-Nummer. Kleinere Barren ohne Nummer, beispielsweise 10- oder 50-Gramm-Barren, werden auf der Blockchain nicht erfasst.

Haben Schweizer Anleger im Zuge des Ukraine-Kriegs vermehrt physisches Gold gekauft?

Seit Ausbruch der Corona-Krise im Frühling 2020 ist die Nachfrage für physisches Golds konstant hoch. Gegen Ende letzten Jahres hat sie im Zuge der Normalisierung etwas nachgelassen. Mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat das Interesse aber wieder deutlich zugenommen. Es sind vor allem Privatanleger, die jetzt verstärkt Gold kaufen. Dagegen haben Institutionelle aufgrund der russischen Invasion nicht gross aufgestockt, weil sie schon seit längerem in Gold investiert sind.

Trotz rekordhoher Inflationszahlen und dem Krieg in der Ukraine kommt der Goldpreis nicht so richtig in Fahrt. Seit letztem Sommer pendelt er seitwärts. Warum reagiert der Goldpreis nicht stärker?

Grosskunden stehen in den letzten drei, vier Monaten bei Gold eher auf der Verkäuferseite. Viele Anleger denken inzwischen auch, dass Gold nicht mehr den gleichen Status als sicherer Hafen hat wie noch vor zwanzig Jahren. Zulasten von anderen Vermögenswerten fliesst inzwischen auch reichlich Kapital in Kryptowährungen. Nicht zuletzt positionieren sich Marktteilnehmer aufgrund der restriktiveren Geldpolitik wieder in Zinspapieren. All diese Faktoren hemmen den Goldpreis.

Die US-Notenbank will ihre Zinsen 2022 kräftig anheben. Dies dürfte den Goldpreis belasten?

Die US-Notenbank hat sechs weitere Zinserhöhungen auf ihrer diesjährigen Agenda. Die Fed wird aber die Zinsen wahrscheinlich nicht so oft und stark anheben, allein schon wegen der hohen Verschuldung in den Vereinigten Staaten nicht.

«Der Silberpreis könnte sich längerfristig verdoppeln.»

Bei einer zu forschen Zinspolitik läuft sie auch Gefahr, den Wirtschaftsmotor abzuwürgen. Ich rechne daher mit weit weniger Zinsschritten als derzeit signalisiert. Auf Sicht von zwölf Monaten sehe ich einen stabilen Unzenpreis um die 2000 Dollar herum.

Laufen Kryptowährungen Gold den Rang als Inflationsschutz ab?

Gold erfüllt weiterhin seine Rolle als langfristiger Schutz gegen die Teuerung. Aber mit dem Aufkommen der Kryptowährungen entsteht eine neue Anlageklasse, die bei Institutionellen zunehmend Akzeptanz findet.

Gold gehört also weiterhin als Absicherung ins Depot?

Ja. Der Goldanteil sollte je nach Marktumfeld (Risk-on oder Risk-off) zwischen 10 und 20 Prozent im Portfolio gewichtet sein, sowie nach Altersklasse des Anlegers.

Wie sollte ein Edelmetall-Portfolio ausschauen? Wie werden sich Silber, Platin oder Palladium entwickeln?

Gold und Silber bilden weiterhin den Kern eines Edelmetall-Portfolios. Silber offeriert im Vergleich zu Gold ein massives Nachholpotenzial. Der Silberpreis könnte sich längerfristig durchaus verdoppeln. Engagements in Platin und Palladium würde ich derzeit dagegen nicht empfehlen. Beide Edelmetalle sind nicht sehr liquide, sie werden auch stärker von der Industrie- als von der Investment-Nachfrage getrieben.


Andreas Hablützel ist seit gut zehn Jahren CEO der in Zürich ansässigen Firma Degussa Goldhandel. Zudem ist er zuständig für alle Degussa-Firmen ausserhalb Deutschlands. Zuvor war er vorwiegend im Devisenhandel für die Banken Leu, Clariden Leu und die Zürcher Kantonalbank tätig.