Die Nachfrage nach Gold sinkt – dennoch klettert sein Preis auf neue Rekordhöhen. Was steckt hinter der seltsamen Entwicklung?
In Zeiten von Corona grassiert nicht nur der Virus, sondern auch ein regelrechtes Goldfieber. Seit Jahresbeginn ist der Unzenpreis des Edelmetalls um ein Drittel gestiegen. Bei aktuell 1'952 Dollar notiert der Preis ganz knapp unter der psychologisch bedeutsamen 2’000-Dollar-Marke.
Gold ist damit so teuer wie nie zuvor, und Analytiker wie jene der amerikanischen Grossbank Goldman Sachs haben das nächste Preisziel schon bei 2’300 Dollar angesetzt.
Hochzeiten ohne Goldschmuck
Umso überraschender ist die Tatsache, dass die Gesamtnachfrage nach dem gelben Metall im vergangenen Semester nicht etwa gestiegen, sondern gesunken ist. Wie die Lobby-Organisation World Gold Council in einer neuen Studie vorrechnet, hat die Nachfrage im Vergleich zum Vorjahr, als noch niemand von der Pandemie wusste, um 6 Prozent auf 2’076 Tonnen abgenommen.
Wie finews.ch im vergangenen März exklusiv berichtete, bildeten sich in der Schweiz vor Goldhändlern wie Degussa lange Schlangen von Goldkäufern, die sich mit Münzen und Barren eindecken wollten. Dennoch ist das Volumen dieser Art von Goldinvestments um 17 Prozent eingebrochen.
Noch dramatischer entwickelte sich die Nachfrage nach Schmuck, der gerade in Asien, vor allem in Indien, während der Heiratssaison rege gekauft wird. Dort nahmen die Volumen um 47 Prozent ab, nachdem aufgrund der Krise der Konsum darnieder lag und den Käufern weniger Einkommen für Goldkäufe übrig blieb.
Sogar Notenbanken hielten sich zurück
Die von der Industrie erworbene Menge reduzierte sich um 13 Prozent – sogar die Notenbanken kauften «nur» 233 Tonnen, 39 Prozent weniger als im Vorjahr.
Und dennoch kam der Goldboom zustande. Aber wie?
Getrieben wurde er durch die Finanzmärkte, genauer: durch börsengehandelte Indexfonds (ETF) und Produkte, die dem Goldpreis folgen und mit physischem Gold hinterlegt sind. Die Nachfrage nach diesem «Papiergold» kletterte auf 734 Tonnen, wobei sich die Kaufwelle im zweiten Jahresviertel noch verstärkte.
Gespaltene Gemeinde
Insgesamt haben sich die Gold-Investments gegenüber dem Vorjahr mit einer Zunahme von 90 Prozent beinahe verdoppelt, so der World Gold Council. Mit einigem Recht lässt sich also behaupten, dass die Goldhausse aus Papier ist.
Das könnte dem Preis auf die Länge nicht gut bekommen. Gold-ETF haben in der Vergangenheit die Bewegungen im Gold deutlich verstärkt – das gelbe Metall wird volatiler, erst recht in den nun erreichten luftigen Höhen. Die Investorengemeinde ist indes gespalten in der Ansicht, wie es weiter geht.
Sorgen um den Dollar
Wie unter anderem das deutsche «Handelsblatt» berichtete, macht sich die US-Bank Goldman Sachs inzwischen ernsthafte Sorgen um die Dauerhaftigkeit des Dollar als Reservewährung. Die Analysten dort denken darüber nach, ob Gold diese Rolle vom «Greenback» übernehmen wird – was wohl einen weiteren Preisanstieg zur Folge hätte.
Andere Experten erwarten, dass der Hausse des Edelmetalls schon bald der Schnauf ausgeht. Zu diesem Lager zählt etwa die Genfer Privatbank Lombard Odier: Wie auch finews.ch berichtete, hat das Institut jüngst die Hälfte seiner Gold-Investments unlängst verkauft.