Für Schweizer Retailbanken muss der anstehende Zinsschock nicht negativ sein. Wie Banken davon sogar profitieren können, Zeb-Berater Daniel Geissmann erklärt im Interview mit finews.ch.
Herr Geissmann, wie muss eine Bank aufgestellt sein, damit sie bei einem Zinsanstieg unter den Gewinnern ist?
Um von einem Zinsanstieg zu profitieren, müsste eine Bank spekulieren und auf steigende Zinsen wetten. Im aktuellen Negativzinsumfeld sind jedoch sich parallel bewegende Zinsen das Risikoszenario. Deshalb sollten sich die Banken so positionieren, dass sie sowohl bei einer seitlichen Zinsbewegung als auch bei steigenden Zinsen ein stabiles Zinsergebnis erwirtschaften können – kein leichtes Unterfangen.
Wie sähe eine solche Positionierung aus?
Eine entsprechende Positionierung beinhaltet eine adäquate positive Fristentransformation. Die Bank muss also ihre Ausleihungen mit einer längeren Zinsbindung tätigen, als sie auf ihrer Refinanzierung eingeht. Dadurch kann sie den Zinsertrag im Risikoszenario tief bleibender Zinsen erhöhen. Steigen hingegen die Zinsen, erhöht sich die Zinsspanne aufgrund der Mindestzinsgrenze auf Kundeneinlagen ebenfalls, jedoch nicht so stark wie bei einer negativen Fristentransformation.
Aufgrund der Nullzinsen auf Kundeneinlagen würde der Zinsertrag der Banken bei einer plötzlichen Wende also steigen?
Absolut – gerade weil (Retail-)Banken den meisten Kunden auf Privat- und Sparkonti keine Negativzinsen verrechnen, erwirtschaften sie aktuell eine negative Bruttomarge auf diesen Produkten.
«Rund zwei Milliarden Franken Mehrertrag für die grössten Retailbanken»
Aus diesem Grund werden die Banken bei einem Anstieg der Marktzinsen die Kundenzinsen erst erhöhen, wenn sie mit der Produktmarge ihre Vertriebs- und Fixkosten wieder einspielen – also mit einer deutlichen Verzögerung auf der Zeitachse.
Wie viel Mehrertrag wäre denn bei einem Zinsanstieg möglich?
Würden sich die Marktzinsen auf ein ähnliches Niveau der Hochzinsphase 2007 entwickeln, stiege gemäss unseren Simulationen die Zinsspanne für eine Regionalbank trotz positiver Fristentransformation innerhalb der nächsten zehn Jahre von aktuell 1,08 Prozent auf rund 1,27 Prozent. Das wäre für die rund 100 grössten Regionalbanken zusammen (ohne UBS und Credit Suisse) ein jährlicher Mehrertrag von rund 2 Milliarden Franken verbunden.
Können sich Banken so positionieren, dass sie langfristig wieder in den Bereich von vor 2007 kommen?
Das ist theoretisch möglich, hängt jedoch weniger von deren Zinsrisikopositionierung als vielmehr von der Marktzinsentwicklung und dem Kundenverhalten ab.
Wie stark werden die Institute von den konjunkturellen Effekten eines Zinsanstieges betroffen sein?
Das hängt vom Geschäftsmodell der einzelnen Bank ab. Die Effekte sind für die Geschäftsfelder Privatkunden, Immobiliengesellschaften und Firmenkunden unterschiedlich. Für das Privatkundengeschäft dürften die Ausfallquoten weiterhin tief bleiben, da diese eher mit einer plötzlichen Arbeitslosigkeit als mit dem Zinsniveau zusammenhängt.
«Banken sollten Zinsergebnis über mindestens zehn Jahre simulieren»
Anders sieht es bei den Immobiliengesellschaften aus, die aktuell hohe Leerbestände im Mietwohnungsbereich zu vergegenwärtigen haben. Bei steigenden Zinsen dürften deren Ausfallquoten zunehmen und die Banken in der Tat negativ treffen. Firmenkunden sind zwar von höheren Kreditzinsen ebenfalls betroffen, profitieren aber erst noch vom konjunkturellen Wachstum und von höheren Preisen. Erst bei einer Stagnation des Wachstums werden bei den üblichen Firmenkunden höhere Ausfallquoten erwartet.
Wie weit in die Zukunft sollten Banken ihre Zinsstrategie planen, um Herausforderungen gut zu meistern?
Die sogenannte Zinsfristentransformation wird in der Schweiz üblicherweise in den langfristigen Zinsen zwischen fünf und zehn Jahren Laufzeit betrieben. Daher sollten die Banken bei der Wahl der Zinsrisikostrategie entsprechend über mindestens zehn Jahre das Zinsergebnis simulieren.
«Die meisten Banken verzichten auf Szenarien über einen derart langen Zeithorizont»
Eine Simulation über diesen Zeitraum erfordert jedoch Szenarien sowohl für die Zins-, als auch die Konditions- sowie die Bilanzstrukturentwicklung, die über den Zinsanstieg hinausgehen. Meines Wissens verzichten allerdings die meisten Banken auf die Entwicklung von Szenarien über einen derart langen Zeithorizont, was zur Wahl suboptimaler Zinsrisikostrategien führen kann.
Daniel Geissmann ist Autor der Studie «Ableitung optimaler Zinsrisikostrategien im Negativzinsumfeld in der Schweiz» und Consultant für Financial Services. Sein beruflicher Werdegang führte den studierten Volkswirt zu seinem heutigen Arbeitgeber, der Strategie- und Managementberatungsgesellschaft Zeb, wo er Banken in Zinsrisikofragen berät. Mehr zur Studie von Daniel Geissmann finden Sie hier.