Wer heute am Flughafen Zürich landet, kommt in einer anderen Welt an. Das findet der deutsche Ökonom und Bestseller-Autor Martin Hüfner.
Martin Hüfner ist Chefökonom der Schweizer Aquila-Gruppe, war früher Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. Er ist Autor des Bestsellers «Achtung: Geld in Gefahr!».
Überall auf der Erde reden die Menschen über ihre Sorgen zu Konjunktur, Inflation und Staatsverschuldung. Das gilt für Chinesen genauso wie für Amerikaner und Europäer. Nur die Schweiz scheint davon nicht betroffen zu sein. Sie mutet fast an wie eine Insel der Seligen an.
So eine Diskrepanz in der ökonomischen Entwicklung verschiedener Staaten habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Wenn es in der Schweiz ein Diskussionsthema gibt, dann ist es der Streit um Steuern und das Bankgeheimnis, nicht aber um die gesamtwirtschaftliche Lage.
Konjunktur geht aufwärts
Schauen wir uns das etwas genauer an. In der Schweizer Konjunktur geht es seit Mitte letzten Jahres wieder aufwärts. Zuletzt ist das reale Bruttoinlandprodukt um 0,7 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen. In Euroland belief sich die Expansion in dieser Zeit nur auf 0,1 Prozent, in Deutschland gab es sogar nur Stagnation. Der Geschäftsklimaindex der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, KOF, liegt inzwischen wieder deutlich über dem Niveau von vor der Krise.
Das ist weit besser als der deutsche Ifo-Index. Was besonders wichtig ist: Auch die Investitionen erhöhen sich wieder (im 4. Quartal um real 3,9 Prozent gegenüber Vorquartal). Das zeigt, dass die Unternehmen Mut fassen und neue Projekte angehen.
Damit sind die Voraussetzungen gegeben, dass sich die Konjunktur wieder selbst trägt. In Euroland gehen die Ausgaben für Maschinen und Ausrüstungen noch zurück, in Deutschland stagnieren sie auf niedrigem Niveau.
Staatsverschuldung lächerlich niedrig
Die Arbeitslosigkeit beläuft sich in der Schweiz auf 4,4 Prozent – das ist weniger als die Hälfte des Wertes in Euroland oder den USA. Die Inflation ist in den letzten Monaten trotz negativen Basiseffekts relativ niedrig geblieben. Sie liegt derzeit bei 1,4 Prozent, verglichen mit 1,5 Prozent in Euroland und 2,1 Prozent in den USA.
Die Notenbank-Geldmenge (also das Geld, das die Zentralbank den Banken zur Verfügung stellt) verringert sich, die Geldmenge bei Wirtschaft und Privaten steigt dagegen wieder an (M 3 plus 6,1 Prozent).
Damit haben sich – anders als in der EU und in den Vereinigten Staaten – die monetären Verhältnisse schon wieder einigermassen normalisiert. Eine Kreditklemme gibt es nicht. Die Staatsverschuldung ist, gemessen an den sonstigen europäischen Standards, lächerlich niedrig.
Aufnahme mit Handkuss
Die gesamte Schuldenlast beträgt 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Die Haushalte von Bund, Kantonen und Gemeinden weisen in diesem Jahr sogar einen Überschuss aus. Mit solchen Zahlen würde die Schweiz mit Handkuss in die Europäische Währungsunion aufgenommen.
Als Folge dieser guten Bedingungen entwickeln sich die Kapitalmärkte der Schweiz besser als die anderer Staaten. Die Aktien sind, gemessen am Swiss-Market-Index (SMI), seit Jahresbeginn um 5,5 Prozent gestiegen, verglichen mit gerade einmal 0,1 Prozent beim Euro-Stoxx-50. In letzter Zeit hat sich die Aufwärtsentwicklung etwas verlangsamt.
Die Zinsen für 10-jährige Staatspapiere sind in der Schweiz seit Mitte letzten Jahres um 50 Basispunkte gesunken. In Deutschland haben sie sich nur um 30 Basispunkte verringert. In den USA sind sie sogar gestiegen.
Attraktive Bonds
Trotz des niedrigen Ausgangsniveaus konnte man also auch mit Bonds in der Schweiz eine bessere Rendite erzielen als anderswo. Für Ausländer in der EU waren die Erträge in der Schweiz wegen der gleichzeitigen Aufwertung des Frankens (seit Jahresbeginn um 4 Prozent gegenüber dem Euro) besonders attraktiv.
All das legt drei Lehren nahe. Erstens: Trotz Finanz- und Wirtschaftskrise ist es möglich, wieder normale Verhältnisse zu erreichen. Die Dauerkrise ist nicht zwangsläufig. Natürlich ist in der Schweiz als einem relativ kleinen Land manches leichter. Die Eidgenossenschaft profitiert von den Konjunkturprogrammen ihrer Nachbarn.
Situation bei UBS bei weitem nicht normal
Man sollte aber nicht alles auf die Gunst der Verhältnisse schieben. Die Schweiz hatte gerade in der Bankenkrise mit der UBS und dem Steuerstreit besonders schwere Lasten zu tragen. Die Lage bei der UBS ist auch noch weit davon entfernt, normal zu sein.
Zweitens: Man sollte bei Geldanlagen in der Schweiz nicht nur an Steuern und Bankgeheimnis denken. In der Vergangenheit lag die Anziehungskraft der Schweiz immer in ihrer politischen Unabhängigkeit, in der gesellschaftlichen Stabilität und in den günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Dazu kamen die Expertise, das Langfristdenken und die geringere Spekulation bei den Vermögensverwaltern. Das gilt auch heute noch. Die Schweizer Finanzplätze spielen – Steuerstreit hin, Steuerstreit her – auch in Zukunft eine wichtige Rolle. Es ist nicht verwunderlich, dass grosse Geldhäuser aus London derzeit Büroräume in Zürich suchen.
Massive Franken-Aufwertung
Drittens freilich: So schön die traditionellen Tugenden für die Schweiz sind, so schwierige wirtschafts- und währungspolitische Probleme stellen sich in diesem Zusammenhang. Die günstige wirtschaftliche Entwicklung hat nämlich trotz der niedrigen Zinsen dazu geführt, dass sich der Schweizer Franken in den letzten Monaten massiv aufgewertet hat.
Seit Ende 2008, dem Höhepunkt der Wirtschafts- und Finanzkrise, ist der Wechselkurs gegenüber dem Euro um über 4 Prozent gestiegen.
Ausserordentliche Belastung
Das ist für eine so stark mit dem Welthandel verflochtene Wirtschaft eine ausserordentliche Belastung, die so nicht weitergehen kann. Die Notenbank steht hier aber zwischen Baum und Borke. Auf der einen Seite muss sie zum Schutz der Konjunktur die Aufwertung bremsen und dafür – wie sie das schon in den letzten Monaten getan hat – an den Devisenmärkten intervenieren.
Auf der anderen Seite muss sie zur Sicherung des Geldwerts im Inland Liquidität absaugen und auf eine Normalisierung des Zinsgefüges hinarbeiten. Beides passt nicht zusammen. Die Interventionen auf den Devisenmärkten schaffen – wenn sie nicht sterilisiert werden, was aber ihre Effektivität mindert – neue Liquidität.
Umgekehrt wird durch eine Verknappung der Liquidität neues Geld ins Land gelockt. Das treibt den Franken weiter nach oben. Die Notenbank muss hier einen pragmatischen Mittelweg finden.
Pragmatismus als Stärke
Pragmatismus war aber schon immer eine Stärke der Schweizer Geldpolitik. Sie wird die Aufwertung des Frankens so gut wie möglich zu bremsen versuchen und daher auch die Zinsen der günstigeren konjunkturellen Situation nicht früher als die Europäische Zentralbank erhöhen.
Für den Anleger: Die Schweiz erweist sich wieder einmal als sicherer Hafen in einer unsicheren Welt. Die Kurssteigerungen an den Aktienmärkten sind weniger von Liquidität als von guten Fundamentaldaten getrieben. Ausländische Anleger können darüber hinaus von einer weiteren Aufwertung des Frankens profitieren.