Nur zu gerne pflegen angelsächsische Kommentatoren das Bild von der Schweiz als Schwarzgeld-Hafen. Mit dem Brexit droht das Klischee bald Grossbritannien selber.
Das James-Bond-Image des Schweizer Finanzplatzes sitzt. Wenn es darum geht, Koffer voller Scheine zu verstecken, dann sind Genf und Zürich für jeden Regisseur unverzichtbare Kulisse. Die Fiktion wird dabei von durchaus realen Skandalen stets aufs Neue bestätigt – zuletzt etwa von den Enthüllungen um die «Panama Papers» oder vom Untergang der Tessiner Privatbank BSI.
Grossbritannien, dank der Londoner «City» grösster Finanzplatz Europas, konnte sich dabei stets diskret im Hintergrund halten. Noch mehr: Mit viel Lust zeichnen gerade angelsächsische Medien das Bild von der Schweiz als Schwarzgeld-Oase.
Angst im Inselreich
Das die Dinge indes ganz anders liegen können, liess sich aus einer Fussnote im letzten Report der Organisation Tax Justice Network herauslesen. Würden nämlich die Kronkolonien in der Karibik und die Kanalinseln mit eingerechnet, so die Steuergerechtigkeits-Verfechter, müsste die Schweiz Grossritannien glatt den ersten Platz als undurchsichtigster Finanzstandort überlassen.
Der Brexit, der nun beschlossene Austritt Grossbritanniens aus der EU, schürt im Inselreich nun die Angst, in Sachen Schwarzgeld vollends zur «neuen Schweiz» zu avancieren. In diese Richtung weist jedenfalls ein in der britischen Zeitung «Guardian» erschienener Kommentar des italienischen Mafiakenners und Bestseller-Autors Roberto Saviano (siehe Bild unten).
Schlüssig folgert der Italiener nämlich, dass der Verbund mit der EU bisher die beste Verteidigung Grossbritanniens gewesen sei, um den Schwarzgeld-Strömen und dem organisierten Verbrechen zu widerstehen. Wie sonst, fragt Saviano, könne sich ein einzelner Staat heute noch gegen Drogenhandel, Geldwäscher und Terroristen wehren, die per se weltweit agieren?
Schwache Polizei
Wie schwach Grossbritannien diesbezüglich dasteht, wissen auch die höchsten Stellen im Land ganz genau. Eine Risiko-Beurteilung des britischen Innenministeriums vom letzten Jahr legte die blinden Flecken nämlich schonungslos offen.
Die Grösse und Komplexität des britischen Finanzsektors führen dazu, dass er durch kriminelle Machenschaften stärker gefährdet ist als viele andere Finanzplätze weltweit, stellte die offizielle Untersuchung fest. Und: Das Vorgehen der britischen Polizei insbesondere gegen Geldwäscherei sei «schwach».
Anfällig gerade für Geldwäscherei sind dabei nicht nur die Banken der «City», sondern London selber. Laut einer Studie des Antikorruptions-Netzwerks Transparency International von 2015 ist gerade der Häusermarkt der Themsestadt die «Heimat des korrupten Geldes». 36'342 Liegenschaften in der Hauptstadt befänden sich in Besitz intransparenter Offshore-Vehikel. Und Medienberichten zufolge ermittelte die Londoner Polizei in den letzten elf Jahren bei Grundbesitz im Wert von 160 Millionen Pfund wegen Geldwäscherei.
Der Mafiaboss aus Aberdeen
Die Machenschaften ausländischer Krimineller entgehen den britischen Behörden dabei oftmals, wie Saviano weiss. So konnte der italienische Mafioso Antonio La Torre in Aberdeen unbehelligt von Auslieferungsgesuchen aus der Heimat geschäften.
Dass er in der schottischen Stadt dann doch noch verhaftet wurde, war allein darauf zurückzuführen, dass ein Gesuch eintraf, auf das die Polizei dort reagieren musste – eines auf europäischer Ebene nämlich.