Seit fast einem Vierteljahrhundert ist Raoul Oliver Würgler für den Verband der Auslandsbanken in der Schweiz tätig. Vor fünf Jahren hat er die Leitung übernommen. Im Gespräch mit finews.ch äussert sich der Verbandsdirektor zu den neuen Marktchancen nach dem Ende der Credit Suisse, seinen Kontakten zu Swissmem und zur ungebrochenen internationalen Strahlkraft des Schweizer Bankenplatzes.


Herr Würgler, gemeinsam mit dem gesamten Finanzplatz haben auch die Auslandsbanken turbulente Jahrzehnte hinter sich. Welche Zyklen lassen sich bei Ihren Mitgliedern beobachten?

Ja das stimmt. Um die Jahrtausendwende unterhielten sehr viele Banken eine manchmal auch nur sehr kleine Tochter in der Schweiz – die Betreuung vermögender Privatkunden spielte eine wichtige Rolle. Dann kam die Zäsur mit der internationalen Steuertransparenz, die begleitet war von einer gesteigerten regulatorischen Komplexität. Das waren wichtige Kostentreiber für alle Banken in der Schweiz und hat das Geschäftsmodell beeinträchtigt. Auch an den Auslandbanken ist das nicht spurlos vorbeigegangen. Im Grossen und Ganzen stellen wir aber einen positiven Trend fest.

Das verbreitete Bild, wonach das Bankensterben vor allem bei den Auslandsbanken stattgefunden habe, ist also falsch?

Ja. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Banken hat sogar zugenommen, von etwa einem Viertel auf einen Drittel.

Woher kommt denn dieser Eindruck?

Wenn eine Bank, und sei sie noch so klein, verschwindet, sorgt das für Schlagzeilen. Verlagert hingegen ein grosser Konzern eine Einheit mit mehreren hundert Mitarbeitern von der Schweiz in ein anderes Land, wird davon weniger Notiz genommen, denn die Bank ist ja immer noch vor Ort.

Wann würden Sie den historischen Scheitelpunkt verorten, an dem sich die Auslandsbanken neu orientierten?

Das war sicher unterschiedlich. Wir als Verband haben jedenfalls 2013 in Zusammenarbeit mit Capgemini eine Studie über die Frage realisiert: Wie sieht das Private Banking der Zukunft aus? Dafür wurde die Perspektive aller relevanten Akteure erhoben, von den Bankern zu den Ultra-High-Net-Worth-Individuals, anderen Kundengruppen, Rechtsexperten und so weiter. Die Erkenntnis daraus war, dass der Kunde sich für seine komplexen Bedürfnisse in unterschiedlichen Disziplinen wie Anlage, Hypotheken, Kredit- und Firmengeschäft oder Altersvorsorge und Finanzierung der Ausbildung für die Kinder gerne von einem vertrauten Partner begleiten lässt.

«Die grossen Auslandsbanken haben realisiert, dass die Schweiz ein hoch attraktiver Standort für das Corporate Banking ist»

Dieser Partner lenkt den Kunden, der ja auch eine komplexe Struktur sein kann, für die jeweilige Dienstleistung zum geeigneten Anbieter. Eine Entwicklung, die von den Banken Spezialisierung verlangt. Gleichzeitig haben insbesondere die grossen Auslandsbanken realisiert, dass die Schweiz ein hoch attraktiver Standort für das Corporate Banking ist. Die Schweizer Wirtschaft ist sehr international, es gibt viele komplexe internationale Strukturen mit Finanzierungsbedarf in einem internationalen Netzwerk. Bilanzgrösse und Netzwerk, darum geht es.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen Sie die Bank of China. Sie hat vor drei Jahren eine Zweigniederlassung in der Schweiz eröffnet und fokussiert auf Trade Finance und Firmenkundengeschäft. Sie kann der Schweizer Industrie viel bieten. Nicht nur in China, sondern auch in Weltgegenden, die wirtschaftlich stark chinesisch beeinflusst sind, wie manche Märkte Afrikas oder Lateinamerikas. Die Firmen haben ihr Headquarter in der Schweiz, also muss man sie hier betreuen. Viele dieser Firmen finden in einer Auslandsbank einen wertvollen Partner, insbesondere auch dank deren globalem Netzwerk.

Hat sich der Wandel hin zum Firmenkundengeschäft mit dem Wegfall der Credit Suisse als traditionelle Schweizer Unternehmerbank noch akzentuiert?

Dieses Ereignis hat sicherlich bei unseren Mitgliedern zu einem noch stärkeren Bewusstsein dafür geführt, dass sie der Schweizer Wirtschaft mehr zu bieten haben als Vermögensverwaltung. Kürzlich waren wir mit einer Bank bei Swissmem, dem Verband der Schweizer Maschinenindustrie…

… teilen Sie die Kritik von Swissmem an der UBS, wonach die Finanzierungsmöglichkeiten für die Schweizer Industrie durch die Notübernahme der CS durch die UBS schwieriger geworden seien? Was beobachten Sie am Markt?

Die genauen Interaktionen unserer Mitglieder mit ihren Kunden kenne ich nicht. Aber ich beobachte die Tatsache, dass viele Auslandsbanken – die einen mehr, die anderen weniger prominent in der Öffentlichkeit – ein klares Interesse für diesen Markt signalisieren, und dort Wachstumschancen sehen. Dies ist wohl auch eine Konsequenz aus dem reduzierten Angebot.

«Die UBS war klassischerweise ja nicht als Firmenkundenbank positioniert»

Die UBS war klassischerweise ja nicht als Firmenkundenbank positioniert. Es spielen auch kulturelle Fragen hinein. Wenn ein Firmenkunde über die ganze Welt verteilt Produktionsanlagen oder Absatzmärkte hat, ist eine internationale Vernetzung und die Präsenz der Bank vor Ort attraktiv.

Sie haben sich vor zehn Tagen mit einer Medienmitteilung an die Öffentlichkeit gewandt, wo sie verstärkte Bemühungen der Auslandsbanken um die Firmenkunden, insbesondere der UBS, in Aussicht gestellt haben (finews.ch berichtete).

Das wurde teilweise etwas überspitzt weitergegeben. Wir wollen einfach herausstellen, welche attraktiven Optionen die Auslandsbanken für Firmenkunden bieten und wie sie als Partner die Schweizer Wirtschaft unterstützen können.

Täuscht der Eindruck, oder wollen Sie in Zukunft aktiver kommunizieren?

Ich würde eher sagen: Wir haben entschieden, überhaupt zu kommunizieren.

Warum gerade jetzt?

Die Situation mit der UBS hat sicherlich dazu beigetragen. Aber es gab allgemein einen Wandel hin zu mehr Transparenz im Bankgeschäft. Dazu gehört auch die öffentliche Kommunikation der Akteure.

«Gerade die neueste Auslandsbank, die sich letztes Jahr in der Schweiz angesiedelt hat, widerspiegelt den Wunsch der Kunden, einen Teil ihres Vermögens in der Schweiz zu deponieren»

Wir haben jetzt viel über das Firmenkundengeschäft gesprochen. Sind die Auslandsbanken im Private Banking ein Auslaufmodell?

Keineswegs. Gerade in geopolitisch unsicheren Zeiten – Stichwort Ukraine-Krieg – sind stabile Länder wie die Schweiz für die internationale Vermögensverwaltung und -diversifizierung sehr gefragt. Gerade die neueste Auslandsbank, die sich letztes Jahr in der Schweiz angesiedelt hat, widerspiegelt den Wunsch der Kunden, einen Teil ihres Vermögens in der Schweiz zu deponieren.

Wie viele Mitglieder haben Sie derzeit?

Rund 100. Das bedeutet, dass praktisch alle ausländisch beherrschten Banken in der Schweiz bei uns Mitglied sind. Und sogar einige schweizerischen. Wir hatten auch schon 150 Mitglieder, aber damals gab es auch noch 600 Banken in der Schweiz.

Was bieten Sie Ihren Mitgliedern?

Wir sehen uns in erster Linie als Informations-Broker und Schnittstelle im regulatorischen Bereich. Im Rahmen von bewusst sehr kompakten Zusammenfassungen informieren wir unsere Mitglieder über laufende, aufsichtsrechtliche oder steuerliche Vorhaben. Ausserdem stehen wir im Rahmen jährlicher Aussprachen mit den wichtigen Finanzplatz-Institutionen im Kontakt: Finma, SNB, SIF oder Seco.

«Unser Interesse als Verband  ist es, die Attraktivität der Schweiz als Bankenstandort im internationalen Kontext hochzuhalten»

Dort vertreten wir die Anliegen unserer Mitglieder. Das Gleiche machen wir auch in der Bankiervereinigung und zwar auf allen Ebenen, vom Verwaltungsrat, in dem wir drei Mitglieder stellen, bis in den Ausschuss, wo einer unserer Vertreter am Tisch sitzt, bis zum Sekretariat und den Fachgremien.

Sind Sie zufrieden mit Ihrem Einfluss in der Bankiervereinigung?

Ja, ich würde sagen, er ist eine proportionale Vertretung unseres Gewichts auf dem Finanzplatz.

Sie fühlen sich nicht stiefmütterlich behandelt?

Keineswegs. Wir stossen auf ein offenes Ohr. Natürlich gibt es immer Abwägungsfragen und teilweise divergierende Interessen. Unser konsolidiertes Interesse als Verband der Auslandsbanken ist es, die Attraktivität der Schweiz als Bankenstandort im internationalen Kontext hochzuhalten.

Wie gut gelingt das?

In vielen Bereichen gelingt es sehr gut. Zum Beispiel bei der Digitalisierung geniesst die Schweiz einen hervorragenden Ruf. Die Finma hat hier eine sehr hohe Kompetenz und Offenheit aufgebaut und die DLT-Gesetzgebung sehr schnell zur Anwendung gebracht. Richtigerweise, aus meiner Sicht, hat man auf eine Spezialgesetzgebung für digitale Finanzgeschäfte verzichtet, sondern die bestehende Gesetzgebung an die neue digitale Situation angepasst. Das hat auch die SIX mit ihrer digitalen Börse sehr gut gemacht.

Es war im Nachhinein betrachtet auch klug, dass die Schweizer ESG-Regulierung eher abwartend war und den Themen Selbstregulierung und automatische Konformität bei Einhaltung der internationalen Standards viel Raum gelassen hat.

«Bei internationalen Sanktionen kann man nicht die Diskretion wahren, die man vielleicht gerne hätte»

Wie sehen Sie den Umgang der Schweiz mit den Sanktionen?

Regulierung ist eine hoheitliche Aufgabe. Bei internationalen Sanktionen kann man nicht die Diskretion wahren, die man vielleicht gerne hätte. Es war klar, dass die Schweiz sich der westlichen Welt angleichen muss, zu der sie wirtschaftlich, kulturell und historisch gehört. Da konnte sie keinen Sonderzug fahren.

Es gibt immer wieder Zukunftsängste auf dem Schweizer Bankenplatz. Zahlreiche Mitbewerber, etwa in Südostasien oder im Mittleren Osten, bringen sich in Stellung.

Ja, es gibt durchaus gewisse Anstrengungen beim Standortmarketing für Finanzplätze. Die Finanzplätze des Mittleren Ostens betreiben dies derzeit gerade im Rohstoffbereich, offenbar mit einigem Erfolg. Der Schweizer redet weniger, dafür handelt er eher. Kürzlich habe ich mein Portemonnaie ausgeräumt und dabei ein Frankenstück aus dem Jahr 1909 gefunden. Es sieht immer noch gleich aus, abgesehen von der Farbe. 25 Prozent der privaten Vermögen werden bis heute in der Schweiz verwahrt.

Es ist also insgesamt schon auch eine hohe Kontinuität vorhanden. Wir dürfen zwar nicht in dieser Kontinuität einschlafen, aber drängen lassen müssen wir uns auch nicht. Was die Schweiz von vielen anderen Finanzplätzen unterscheidet, ist, dass es sehr viele kleine Banken gibt. Das bewirkt eine hohe Kundennähe, eine schöne Vielfalt von Kulturen und Geschäftsmodellen. Das trifft auch auf die Auslandsbanken zu: Jordanier, Kuwaiti, Saudis - alle sind sie hier. Aus Asien, Pakistan, verschiedenen Ländern Lateinamerikas. Dem müssen wir Sorge tragen.


Raoul Oliver Würgler leitet seit dem 1. Januar 2020 die Geschäftsstelle des Verbands der Auslandsbanken in der Schweiz (Association of Foreign Banks in Switzerland, AFBS). Zuvor war er zwanzig Jahre lang für den Verband tätig.