Bund und Behörden setzten sich beim Zwangsverkauf der Credit Suisse über diverse Regeln hinweg. Sie haben dabei Notrecht geltend gemacht – das nun aber von mehreren Seiten angefochten wird. Wie Recherchen zeigen, könnte der Rechtsstreit gar ins Ausland eskalieren.
Als die UBS dieser Tage die der Grossbank für die Übernahme der Credit Suisse (CS) zugesicherte Staatsgarantie zurückgab, verströmte Finanzministerin Karin Keller-Sutter Zuversicht. Dies auch, was die Beschwerden Hunderter Investoren betrifft, die mit Pflichtwandelanleihen der CS gegen 16 Milliarden Franken verloren haben.
Die Möglichkeit der Wertlosstellung bei diesen Titeln sei in den Verträgen klar geregelt gewesen, fand die Magistratin. Und belehrte die Geschädigten: «Es gibt kein Wirtschaften ohne Risiken.»
Unberechenbare Dimension
Wie sich zeigt, waren es aber der Bund respektive die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma), die sich über Vertragstext hinweggesetzt haben – vermittels Notrecht. Doch mit dessen Anwendung ist beileibe kein Strich gezogen. Erstens ist der Rechtsweg von Anfang offen gestanden; weiter war am handstreichartigen Abschreiber auf den so genannten AT1-Anleihen der CS so einiges auffällig.
Und schliesslich ist der Streitwert hoch genug, dass Investoren in der Sache sogar Gerichte im Ausland bemühen könnten. Die Frage nach dem rechtmässigen Einsatz heimischen Notrechts bekäme damit eine internationale – und damit für die Schweiz unberechenbare – Dimension. «Es ist durchaus möglich für die Halter von AT1-Anleihen der CS, in den USA zu klagen», sagt Thomas Werlen, Managing Partner der Anwaltskanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan in Zürich, zu finews.ch.
Über 1’000 Obligationärinnen und Obligationäre
Die Kanzlei hat im vergangenen April und Mai Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht in St.Gallen eingereicht. Dies, um die Rechtmässigkeit des von der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) per Notrecht verfügten Abschreibers zu prüfen. Nach eigenen Angaben vertreten Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan über 1’000 Obligationärinnen und Obligationäre, die rund einen Drittel des gesamten Nominalwerts der AT1-Papiere der CS halten. Schon jetzt haben sich der Beschwerdeführerin diverse Kanzleien aus dem Ausland angeschlossen.
Durch den Grossbanken-Zusammenschluss geschädigt fühlen sich nicht nur AT1-Anleihenhalter, sondern auch Aktionäre der übernommenen CS. Sie haben sich ebenfalls zu Hunderten vereinigt, um einen höheren Übernahmepreis von der UBS zu erstreiten. Wie auch finews.ch berichtete, sind zu Wochenanfang gleich drei Aktionärsklagen beim Zürcher Handelsgericht eingegangen.
Am meisten Aufsehen hat aber weltweit der Abschreiber auf den CS-Pflichtwandlern auf sich gezogen.
Eine Bananenrepublik?
In der viel beachteten britischen Zeitung «Financial Times» wurde die Schweiz deswegen schon mit einer Bananenrepublik verglichen. Tatsächlich setzte sich die Finma mit ihrer Anweisung zur Wertlosstellung der Pflichtwandelanleihen über mehrere Vorgaben hinweg – angefangen beim Prinzip, dass zuerst die Aktionäre «bluten» müssen, bevor der Einsatz der Anleihenhalter angetastet wird.
Laut der geltenden «Too big to fail»-Regulierung für die Abwicklung von Grossbanken brauchte es zudem zwei Vorbedingungen, um die AT1-Anleihen auszulösen: Eine Unterkapitalisierung der CS, kombiniert mit eine staatlichen Finanzspritze. Doch wie sowohl Finanzministerin Keller-Sutter wie die Finma-Führung bei der Rettungsaktion im März einräumten, war die CS nicht unterkapitalisiert. Sie hatte ein Liquiditätsproblem. Insofern war nur eine Vorbedingung, jene der Staatshilfe, erfüllt.
Kernkapital nie unter regulatorischem Minimum
Das am 19. März in Kraft gesetzte Notrecht änderte dies. Nun durfte die Finma die Pflichtwandelanleihen auch bei Liquiditätsproblemen und im Falle eines staatlichen Eingriffs abschreiben lassen. Was dann auch geschah. Aus Sicht der Investoren wie auch von ausländischer Kommentatoren sieht es aber danach aus, als hätte der Bund unvermittelt die Spielregeln geändert – und dies ihrer Meinung nach, ohne dass die erforderliche Dringlichkeit vorhanden gewesen wäre.
Tatsächlich sank die Kernkapital-Quote der CS auch während der heissen Phase im März nicht unter das regulatorische Minimum – und nach dem AT1-Abschreiber schnellte die Quote gar auf über 20 Prozent hoch, wie der Quartalsausweis später zeigte. Wie die «SonntagsZeitung» (Artikel bezahlpflichtig) kürzlich berichtete, soll die CS-Führung zudem noch kurz vor dem Verkauf an die UBS geplant haben, AT1-Anleihen an die Gläubiger zurückzuzahlen. Dies, um ein positives Signal an den Märkten zu verbreiten.
Für die Beschwerdeführer sind dies klare Anzeichen, dass es bei der CS anlässlich der Rettungsaktion eben gerade nicht an Eigenkapital fehlte.
Ausserhalb des erlaubten Rahmens
Ebenfalls lässt sich argumentieren, dass der AT1-Abschreiber vor allem der UBS genützt hat, die deswegen im ersten Halbjahr 2023 einen buchhalterischen Gewinn von rund 35 Milliarden Dollar ausweisen kann.
Es sei gerade das Wesen des Notrechts, dass es dann zur Anwendung kommt, wenn der Bundesrat ausserhalb des ihm erlaubten Rahmens handeln will: Dies sagt Raphael Brunner, Legal Partner bei der Zürcher Kanzlei MME, auf Anfrage. Als Experte für Handelsrecht setzt sich Brunner derzeit mit der Anwendung von Notrecht bei Sanktionen auseinander.
Frage nach der Verhältnismässigkeit
Das Notrecht ist dabei nicht per se in der Bundesverfassung verankert. Der Verfassungs-Artikel 185 erlaubt es dem Bundesrat aber, bei Notsituationen zeitlich begrenzte Verordnungen und Verfügungen zu erlassen, die seine rechtlich verankerten Kompetenzen überschreiten. Der Verfassungstext lässt dabei eine weit gefasste Interpretation zu.
Entsprechend zentral sei die Frage nach der Verhältnismässigkeit von Notrecht, gibt Brunner zu Bedenken. Und die Verhältnismässigkeit lasse sich durchaus im Nachhinein rechtlich prüfen. «Individuell konkrete Verfügungen von Behörden können gerichtlich angefochten werden», sagt der Jurist – was die CS-Investoren beim Bundesverwaltungsgericht bereits unternommen haben.
AT1 müssten wieder aktiviert werden
Die Beschwerdeführer werden dabei versuchen, das Notrecht beim Wort zu nehmen. So heisst es, dass die Finma AT1-Anleihen abschreiben lassen kann. Was aber nicht zwingend bedeutet, dass die Behörde das auch tun muss. Dies bietet einen Angriffspunkt, um die Verhältnismässigkeit der Vorgehens zu überprüfen. Das in der Bundesverfassung verankerte Prinzip sieht nämlich vor, dass eine Massnahme erforderlich und geeignet sein muss, um einen Zustand zu beheben. Da die CS zum Zeitpunkt des Abschreibers nicht unterkapitalisiert war, lässt sich darüber trefflich streiten.
Würde das Bundesverwaltungsgericht diese Sichtweise bestätigen, müssten der ordnungsgemässe Zustand wieder hergestellt werden und die AT1-Anleihen erneut aktiviert werden, diesmal aber in den Büchern der UBS. Die buchhalterischen Sondergewinne würden sich damit wohl in Luft auflösen.
Allerdings könnte die Finma gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht ins Feld führen, dass sie mit dem Abschreiber ein höheres Ziel verfolgte: Nämlich, die Stabilität des Schweizer – oder gar des weltweiten – Finanzsystems zu sichern.
Steuerzahler zur Kasse gebeten?
Doch die Beschwerdeführer hätten in diesem Fall ein weiteres Ass im Ärmel. Sie könnten etwa argumentieren, dass mit dem Abschreiber eine materielle Enteignung der AT1-Halter stattgefunden habe. Bestätigte das Gericht diesen Vorwurf, dann müsste der Staat für den entstandenen Schaden haften. Angesichts des Volumens, dass die in der Beschwerde vertretenen Investoren vereinigen, wird mit einer Entschädigung von bis zu 4 Milliarden Franken gerechnet. Diese wäre dann vom Steuerzahler zu leisten.
Und das ist nicht alles. Zu erwarten ist auch, dass über den Einsatz von Notrecht in der Schweiz an ausländischen Gerichten verhandelt wird. «Ausländische Geschädigte können versuchen, etwa ein Gericht in ihrer Heimat anrufen», bestätigt MME-Anwalt Brunner. Dieses könnte sich für zuständig erklären und könnte dann darüber urteilen, ob einer heimischen Partei ein Schaden durch ausländische Einwirkung entstanden ist. «Die Frage ist dann, ob ein solches ausländisches Urteil in der Schweiz vollstreckbar wäre», gibt Brunner zu bedenken.
Finma hat Replik eingereicht
Wenn etwa ein Gericht in Saudi-Arabien dies unternehmen würde, wäre die Wirkung dahingestellt. Würde aber der auch hierzulande gefürchtete New Yorker Southern District Court mit solch einer Forderung an die Schweiz gelangen, dann sähe die Angelegenheit wohl anders aus. Neun der 13 AT1-Emissionen waren in Dollar denominiert und wurden teils an institutionelle Investoren in den USA verkauft, wie zu vernehmen ist.
Anstatt des erhofften Schlussstrichs, so scheint es, steht Bund und Finma ein jahrelanges juristisches Tauziehen mit exorbitanten Einsatz ins Haus. Den nächsten Zug hat nun die Finma getan: Laut einer gut informierten Quelle hat die Behörde am 14. August eine Replik beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Die UBS, die sich ebenfalls äussern wird, hat dafür eine Fristverlängerung bis zum 13. Oktober erhalten.