Die «Suisse Secrets»-Enthüllungen erschüttern den Finanzplatz. Und wie sich zeigt, hat sich die Whistleblower-Thematik hierzulande noch verschärft. Höchste Zeit für die Branche, jene Kräfte in die richtige Bahn zu lenken, mahnen Experten gegenüber finews.ch.
Der «Soporific Debtor» hat es auf das Schweizer Bankgeheimnis abgesehen und findet, dieses sei bloss ein Vorwand, um Steuerhinterziehung zu vertuschen. «Ich glaube, dass das Schweizer Bankgeheimnis unmoralisch ist», wird ihm als Zitat zugeschrieben – seine wahre Identität ist unbekannt. Ganz im Gegensatz zu seiner Tat.
Dem Enthüllungs-Netzwerk «OCCRP» hat der unbekannte Whistleblower detaillierte Akten zu nicht weniger als 18'000 Konten bei der Credit Suisse (CS) zugespielt. Seit dem vergangenen Februar berichten Medien nun aus aller Welt über die «Suisse Secrets» und bezichtigen die Schweizer Grossbank, jahrzehntelang Kriminelle und korrupte Staatschefs als Kunden betreut zuhaben.
Ein empfindlicher Schlag
Für die bereits schwer gebeutelte CS ein empfindlicher Schlag; zumal sich Behörden, Anspruchsgruppen und NGO noch eingehend mit dem gewaltigen Datenleck befassen dürften. Dem Schweizer Finanzplatz sollten die «Suisse Secrets» ebenfalls eine Lektion sein – nicht zuletzt im richtigen Umgang mit Hinweisgebern aus seiner Mitte.
«Im digitalen Zeitalter mussten gerade Banken erleben, dass Mitarbeitende Daten in Massen abgriffen und damit an die Öffentlichkeit gingen. Die Unternehmen werden so zu Getriebenen», sagt Thomas Wittkopf zu finews.ch. Er ist Geschäftsführer der Firma Telag, die bereits seit 2004 Lösungen zum Schutz von Hinweisgebern und Hinweisgeberinnen anbietet.
In Zusammenarbeit mit Telag hat Patrick Krauskopf, Leiter des Zentrum für Wettbewerbsrecht und Compliance an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), eine Studie zum Stand des Whistleblowing hierzulande erarbeitet; diese wird am (heutigen) Freitag an einer Compliance-Tagung an der ZHAW in Winterthur erstmalig vorgestellt.
Unter den Teppich gekehrt
Den beiden Experten zufolge brennt das Thema, und nicht nur im Finanzwesen. «Die Zahl der Eingaben ist seit Beginn der Coronakrise um 60 Prozent gestiegen», berichtet Wittkopf über seine Erfahrungen bei den anonymisierten Diensten von Telag. Während früher vor allem Vorteilsnahme, Preisabsprachen, Spesen-, oder Lohnbetrug sowie Bevorteilung von Lieferanten gemeldet wurden, gehen jetzt häufiger Meldungen zu Übergriffen und Mobbing ein. Die Wahrscheinlichkeit peinlicher Lecks erhöht sich demnach dramatisch. Dies, während die Schweiz die Thematik offiziell unter den Teppich kehrt.
So hatte im Jahr 2020 eine Vorlage zu einer Whistleblower-Norm, die mehr Rechtssicherheit für Hinweisgeber hätte bringen sollen, im Nationalrat keine Chance. Weiterhin entscheiden hierzulande Gerichte, ob der «Verrat» von Firmeninterna rechtens ist. Ein hohes Risiko für Whistleblower.
Bewegung in Bundesbern
«Die Whistleblower-Thematik wurde vom Schweizer Gesetzgeber zwar vor eineinhalb Jahren beerdigt», urteilt Compliance-Experte Krauskopf. Doch das Land steht in der Sache nicht alleine da. Insbesondere der EU-Whistleblower-Richtlinie, die bis Ende 2021 von allen EU-Staaten ins Gesetz überführt werden sollte, können sich international tätige Schweizer Unternehmen mittelfristig kaum entziehen.
«Eine Art EU-Acquis würde im grenzüberschreitenden Geschäft das Problem von Rechtsunsicherheiten lösen», schlägt Krauskopf vor. Mittlerweile sei auch das Interesse im Parlament wieder gestiegen, wie er feststelle. Bereits im vergangenen Dezember hat EVP-Nationalrat Nik Gugger in der Sache eine Motion eingegeben.
Angst vor Missbrauch
Aus Firmensicht sei derweil klar, dass es eine einheitliche Regelung im Umgang mit der heiklen Thematik von Whistleblowern brauche, so Krauskopf weiter. «Wir raten dazu, eine auch für alle internationalen Töchter gültige Plattform aufzubauen.» Beide Experten stellen fest, dass das Interesse nach Beratung vonseiten der Firmen stark zugenommen hat. «Whitecollar Crime» werde auch mit Blick auf die Investoren und deren Anforderungen an die Governance immer weniger geduldet. «Allerdings sitzt auch die Angst tief, dass ein Whistleblower-System von Mitarbeitenden missbraucht werden könnte.»
Während gerade öffentlich-rechtliche Organisationen Hinweisgeber-Linien direkt zum Verwaltungsrat bauen, nimmt sich die Finanzbranche in Bezug auf die Thematik als «Buch mit sieben Siegeln» aus, wie Wittkopf beobachtet. Dennoch: «Zunehmend gelangt dieser Wirtschaftszweig hierzulande zur Erkenntnis, dass er nur schon zum Selbstschutz über Strukturen zum sicheren Umgang mit Hinweisgebern verfügen muss.»
«Täter können sich nicht mehr sicher sein»
Konkret zu den «Suisse Secrets» drängten sich zwei Fragen auf, gibt der Experte zu bedenken. «Wie rechtskonform verhält sich die Branche – und wie können Whistleblower rechtskonformes Verhalten verstärken?» Bestünden nämlich Schutzstrukturen sowie wirksame Mechanismen und würden diese auch intern propagiert, lasse sich die Whistleblower-Thematik lenken. Sinnigerweise liegen Normen, welche die gute Geschäftsführung im Unternehmen klar regeln, seit kurzem bereit.
In einem weiteren Schritt könnte sich dann eine selbstreinigende Wirkung einstellen, folgt man Wissenschafter Krauskopf. Die Hemmschwelle zu Rechtsverstössen steige, und die Unternehmenskultur werde offener und transparenter. «Täter und Täterinnen können sich nicht mehr sicher sein, unentdeckt zu bleiben – dies ist bei Firmen bedeutsam, weil Verstösse fast immer von mehreren Personen begangen werden.» Denn wer weiss, ob der «Soporific Debtor» in der Kantine gerade mit am Tisch sitzt.