Über die vergangenen zehn Jahre haben zwei Manager massgeblich zur Umgestaltung der Schweizer Privatbanken-Szene beigetragen. Ihre Vorgehensweise könnte gegensätzlicher kaum sein.
Seit gut zehn Jahren steht der heute 52-jährige Zeno Staub an der operativen Spitze der Bank Vontobel. Als er seinen Job im Mai 2011 antrat galt er eine ganze Weile als staubtrockener Technokrat. Denn mit Vontobel geschah zunächst wenig.
Dies fiel umso mehr auf, da zu jener Zeit ein anderer Bank-CEO für Furore sorgte: Boris Collardi, damals Chef der Zürcher Traditionsbank Julius Bär. Ihm eilte der Ruf voraus, ein dynamischer Manager zu sein, der das Swiss (Private) Banking in neue Sphären katapultieren konnte, indem er mit spektakulären Ankündigungen und Übernahmen sozusagen eine Blaupause dafür lieferte, wie das Metier in der Zukunft aussehen würde.
Stoische Art
Er definierte Asien als zweiten Heimmarkt von Julius Bär und sorgte vor allem 2012 mit der Akquisition des internationalen Vermögensverwaltungsgeschäft von Merrill Lynch für einen Aktivismus auf dem Schweizer Finanzplatz, wie man ihn noch kaum je zuvor gesehen hatte.
Vor diesem Hintergrund musste sich Staub mehr als einmal den Vorwurf gefallen lassen, mit seiner stoischen Art wenig zu erreichen. Manche Leute bezeichneten ihn auch als unnahbar und sahen in ihm nur den Erbsenzähler, den er als früherer Finanzchef von Vontobel gegen hatte. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Staub ist recht eigentlich ein Schnelldenker, der Tatsachen in Sekundenschnelle analysieren und die Konsequenzen daraus schlüssig ableiten kann.
Marktführer in einem Nischengeschäft
Genau das hat Staub in all den Jahren mit einer grossen, aber unspektakulären Zielstrebigkeit getan, und was vergangene Woche in der Ankündigung kulminierte, wonach Vontobel das Geschäft mit US-Kunden der UBS ausserhalb der USA übernimmt, wie auch finews.ch berichtete. Mit verwalteten Kundengeldern von rund 7 Milliarden Franken ist das ein Klacks verglichen mit den 1'736 Milliarden Franken an Depots, welche die UBS mit US-Kunden insgesamt betreut.
Doch für Vontobel sind diese paar Milliarden Franken essenziell, denn sie ermöglichen es dem Unternehmen, mit nunmehr insgesamt mehr als 10 Milliarden Franken in diesem Nischengeschäft der Marktführer in der Schweiz sein. Dieser Deal illustriert sehr gut die Vorgehensweise Staubs: Er ist nicht auf spektakuläre Deals aus, wie das sein einstiger Kontrahent Collardi war, sondern er arbeitet in einzelnen Geschäftsbereichen entschlossen auf eine starke Marktposition hin.
Kritische Grösse
So bewies er bereit einiges Geschick, indem sich Vontobel an der britischen Investment-Boutique Twenty Four Asset Management beteiligte. Das inhabergeführte Unternehmen ist auf Investments in festverzinsliche Anlagen spezialisiert und hat es verstanden, selbst in einem Tief- oder gar Negativzinsumfeld attraktive Renditen zu erzielen. Mittlerweile hat Vontobel das gesamte Unternehmen übernommen und sichert sich so eine Expertise im Asset Management, die noch auf Jahre hinaus gefragt bleiben dürfte.
Mit der Akquisition der Privatbank Notenstein La Roche 2018 gelang es Vontobel wiederum, jene kritische Grösse zu auszubauen, die es heute braucht, um im Swiss Private Banking zu den relevanten Akteuren zu zählen. Selbst wenn die Akquisition in der Anfangsphase etwas holperig vonstatten ging und diverse Schlüsselpersonen von Notenstein La Roche absprangen, gelang es Staub, die Organisation zu stabilisieren und spätestens in diesem Jahr, in dem viele vermögende Privatkunden einen «sicheren Hafen» gesucht haben, ein beachtliches Wachstum hinzulegen.
Waghalsiges Unterfangen
Ähnlich verlief es mit der Finter Bank, einem Zürcher Institut mit einer starken Präsenz im Tessin. Was manche Beobachter damals 2015 als Verlegenheits-Akquisition Staubs bezeichneten, erwies sich in der Folge als wichtiges Standbein, um in der Südschweiz zu prosperieren und in der Folge mit einer Tochtergesellschaft in Mailand im norditalienischen Markt Fuss zu fassen.
Demgegenüber stellte sich der forsche Akquisitionskurs Collardis als waghalsiges Unterfangen heraus, das letztlich darauf hinauslief, dass die Bank Julius Bär in zahlreiche Verfahren und Skandale verwickelt wurde. Das Unternehmen musste eine Busse von mehr als einer halben Milliarde Franken in den USA wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung bezahlen, und die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) stellte darüber hinaus schwere Mängel in der Geldwäschereibekämpfung fest.
Auf dem Tiefpunkt
Collardi kümmerte dies alsbald kaum mehr, da er 2017 überraschend das Unternehmen verliess und als Partner zur Genfer Privatbank Pictet wechselte. Allerdings stellte sich schon bald heraus, dass er in diesem Finanzinstitut selbst in den obersten Chargen auf heftigen Widerstand stiess.
Die Verfahren, die Julius Bär in dieser Zeit durchmachte, färbten auf ihn ab, was seine Position innerhalb Pictet zusätzlich destabilisierte. Was man in Finanzkreisen kaum für möglich gehalten hätte, geschah 2021 tatsächlich: Collardi kündigte beim Institut, bei dem für Teilhaber sonst eigentlich lebenslanges Commitment die Regel ist. Imagemässig ein Tiefpunkt für die 216 Jahre alte Bank.
Als Investmenthaus in die Zukunft
So kam Collardis spektakuläre Karriere (vorläufig) zu einem unrühmlichen Ende. Gut möglich, dass der erst 47-jährige Westschweizer über kurz oder lang irgendwo wieder auftaucht. Doch sein Leistungsausweis wird getrübt bleiben, angesichts des Schadens, den er bei Julius Bär hinterliess. In der Zwischenzeit hat Philipp Rickenbacher die Führung der Bank übernommen und dieser einen neuen, stabilen Kurs verordnet, der die Ära Collardis vergessen macht.
Im Gegensatz dazu sitzt Zeno Staub bei Vontobel fest im Sattel. In den vergangenen zehn Jahren ist es ihm nicht nur gelungen, mit diversen Akquisitionen die Diversifikation der der Bank voranzutreiben, sondern auch ihre «raison d’être» zukunftsfähig zu machen, indem das Finanzinstitut heute als Investmenthaus firmiert, dessen wichtigste Aufgabe darin besteht, den Kundinnen und Kunden global die besten Anlagemöglichkeiten zu bieten, wie Staub unlängst an einem Mediengespräch in Genf erklärte.
Neues Sparen
Das ist insofern ein neuer Ansatz für eine Schweizer Bank, als sie sich nicht länger über ihre Herkunft Schweiz definiert, sondern über ihre Kompetenzen, die sie in Zürich, New York, Hongkong oder Singapur aufgebaut hat. Vor diesem Hintergrund passt auch die geschäftliche Zielsetzung Staubs, wenn er sagt: «Investieren ist das neue Sparen», selbst wenn dies einmal mehr gar nicht so spektakulär klingt – dafür aber durchaus zutreffend ist.