Im Boom um die nachhaltige Finanz blickt in der Schweiz alles auf die Vermögensverwaltung. Doch ein möglicherweise noch bedeutenderes Potenzial schlummert in einer anderen Banken-Disziplin.

Am Talacker 50 würde man nicht unbedingt den Knotenpunkt der nachhaltigen Finanz vermuten. Doch letzten Sommer war der nach aussen hin eher gesichtslose Büroturm im Zürcher Bankenviertel genau das.

Damals hatte das dort eingemietete Fintech Loanboox vom Energiekonzern Axpo den Auftrag erhalten, in einem Pilotprojekt einen börsengehandelten und digitalen «Green Bond» zu emittieren. Den Kotierungs-Partner dazu musste das Startup nicht lange suchen. Die Wahl fiel auf die Zürcher Filiale der französischen Grossbank Société Générale – die ebenfalls am Talacker ihr Domizil hat.

Etabliertes SIX-Segment

Der nachbarschaftliche «Pilot» hat seither Nachahmung gefunden. Mittlerweile sind «grüne» Anleihen, deren Erlöse für nachhaltige Vorhaben eingesetzt werden, an der Schweizer Börse SIX ein fest etabliertes Segment. Anfang Mai diesen Jahres wurden dort 46 verschiedene Green Bonds mit einem ausstehenden Volumen von 17,5 Milliarden Franken gehandelt; dies gegenüber einem weltweit geschätzten Emissionsvolumen von rund 1’000 Milliarden Dollar.

An den europäischen Kapitalmärkten konnten Green Bonds seit 2018 ein jährliches Wachstum von 80 Prozent verzeichnen – gegenüber 1 Prozent Wachstum bei herkömmlichen Anleihen-Emissionen. Natürlich kommt das rasante Wachstum von tiefer Basis hier; doch es genügt, um Beobachter hellhörig zu machen.

So sieht die Beratungsfirma Zeb, die im hiesigen Banking gut vernetzt ist, in nachhaltigen Firmenfinanzierungen massives Potenzial. Dies, während der Finanzplatz derzeit fast seine ganze Aufmerksamkeit auf ESG-Investments lenkt. Zu unrecht, glaubt man Zeb-Partner Norman Karrer: In neuen Berechnung schätzt er das zusätzliche Potenzial für die Schweizer Geldinstitute mit Firmenfinanzierungen für die nächsten drei Jahre auf bis zu 1 Milliarde Franken.

Schlechte Presse

«Im Firmenkunden-Geschäft bietet sich Schweizer Banken ausserhalb des Investment-Fonds-Bereichs das grösste Potenzial, um vom Wandel zu einer nachhaltigeren Wirtschaft zu profitieren», sagt der Berater und Ex-Banker im Gespräch mit finews.ch. Es seien vor allem die bei Unternehmen gut vernetzten grösseren Banken, die am meisten zu gewinnen haben.

Dabei haben die hiesigen Akteure just in diesem Segment immer wieder mit schlechter Presse zu kämpfen. Insbesondere den Grossbanken wird von Umweltaktivisten vorgeworfen, Unternehmen zu alimentieren, die den Raubbau an der Umwelt vorantreiben. 2017 kam es bei der Credit Suisse (CS) deswegen zum Fanal, als sich Greenpeace-Aktivisten von der Saaldecke auf die Generalversammlung abseilten; sowohl bei der CS wie auch bei der UBS ereigneten sich wiederholt Sit-ins und Blockaden von Filialen, die im Nachgang teils die Gerichte beschäftigten.

Am Pranger wegen des Amazonas

Dieses Tage standen die beiden Schweizer Marktführer erneut am Pranger der Umweltorganisation Amazon Watch. Dies ungeachtet des Vesprechens etwa der CS, in den nächsten zehn Jahren mindestens 300 Milliarden Franken an nachhaltigen Finanzierungen zur Unterstützung von Transformations-Strategien bereitzustellen.

Wie sich zeigt, lauern in der potenziell einträglichen und für Umwelt und Gesellschaft erstrebenswerten nachhaltigen Firmenfinanzierungen weitere Fallstricke. Das meiste Potenzial ist für Banken im Transitions-Geschäft zu erwarten, also mit Finanzierungen für Firmenaktivitäten, die noch nicht «grün» sind, aber in den Wandel dorthin investieren. Diese Finanzierungen machen laut Zeb aktuell rund 90 Prozent der Kredit-Portefeuilles aus, und es bieten sich dort hohe Volumen und relativ hohe Margen.

Lukratives «braunes» Geschäft

Noch bessere Margen sind indes im «braunen» Geschäft zu holen – also in der Finanzierung von Ölmultis, Minen und Kohlekraftwerken, denen es zunehmend schwerfällt, an Kredite zu kommen. «Da dort zunehmend Stranded Assets drohen, werden sich nur wenige Banken darauf spezialisieren», schätzt Karrer. Im Gegensatz dazu drohen im «dunkelgrünen» Geschäft mit Nachhaltigkeit-Produkten wie grünen Anleihen oder Investments in erneuerbare Energie ein verstärkter Wettbewerb und gedrückte Margen. Anders gesagt: die Anreize gehen damit für die Banken teils in die falsche Richtung.

Ebenfalls ist es für das Risikomanagement der Corporate-Bankern ungünstig, dass es für nachhaltige Finanzierungen nach wie vor keinen etablierten Standard gibt. Das macht das Pricing von Krediten knifflig. Eine grosse Schweizer Bank geht aber mittlerweile davon aus, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit ihres Portefeuilles von Firmenkrediten wegen des Klimawandels um bis zu 14 Prozentpunkte steigen könnte.

Enormes Potenzial

Behörden und Bankenaufsicht sind ebenfalls in Bewegung. Währen die Schweiz bei der Bankregulierung ausser Offenlegungspflichten zu Klimarisiken noch auf Selbstregulierung setzt, geht die Diskussion in der EU dahin, Kapitalaufschläge und -Erleichterungen in der Finanzierung festzulegen.

Diesen Risiken und Fallstricken gegenüber steht das mutmassliche Potenzial, das der Wandel zu einer nachhaltigeren Wirtschaft bietet. Allein für die von der EU bis 2030 angestrebten Emissions-Ziele wird eine Finanzierungsbedarf von jährlich 1’100 Milliarden angenommen – pro Jahr. Hinzu kommen auch weniger greifbare Werte, wie Zeb-Partner Karrer zu bedenken gibt: «Die Beratung für nachhaltige Finanzierungen bietet Banken auch eine gute Gelegenheit, enger mit Firmenkunden zusammenzuarbeiten und damit die Kundenschnittstelle zu verteidigen.»