Die Kapitalschwäche der Credit Suisse ist ein Synonym für das verlorene Jahrzehnt unter Präsident Urs Rohner. Während seiner Amtszeit musste die CS im Durchschnitt alle zweieinhalb Jahre bei den Aktionären die hohle Hand machen. CEO Thomas Gottstein blickt schwierigen Zeiten entgegen.
«Das Thema Eigenkapital ist nun vom Tisch», sagte Credit-Suisse-CEO Thomas Gottstein am Donnerstag, nachdem die Bank in einer Feuerwehrübung knapp 2 Milliarden Franken von Aktionären und anderen Investoren einsammeln konnte.
Gottstein sagte das so, als ob die CS den Spekulationen um eine neuerliche Kapitalschwäche habe den Riegel schieben wollen, nachdem die Bank mit Archego Capital gesamthaft 5 Milliarden Franken verloren hat und weitere Abschreiber aus dem Greensill-Debakel drohen.
Eigenkapital als Dauerthema
Doch das Thema Eigenkapital ist nicht vom Tisch: Es ist bei der CS ein Dauerthema, das den Grund im Anspruch findet, eine global wettbewerbsfähige Investmentbank zu betreiben.
Fakt ist: Die Aufnahme der 2 Milliarden Franken ist aus regulatorischen Gründen notwendig. Die CS hat im ersten Quartal 2021 mit ihrer Investmentbank so hohe Risiken aufgebaut, dass sie ihre Eigenkapitalquote auf die angestrebten 13 Prozent heben musste.
Höchstes Risikoniveau seit 2017
Deutlich macht dies die Entwicklung der risikogewichteten Aktiven (Risk-Weighted Assets), kurz RWA. Sie stiegen im ersten Quartal 2021 in der Investmentbank um knapp 12 Prozent auf 93 Milliarden Franken. In der ganzen CS nahm der Wert um 10 Prozent auf 303 Milliarden Franken zu. Es ist das höchste RWA-Niveau seit 2017, nachdem die Positionen unter CEO Tidjane Thiam massiv zurückgefahren worden waren.
Die regulatorischen Vorgaben sind klar: Je höher die RWA, umso mehr Eigenkapital muss eine Bank haben, um die aufgebauten Risiken zu absorbieren.
Im Quartalsbericht schreibt die CS, der Anstieg der RWA sei eine Folge des höheren Geschäftsvolumens. CEO Gottstein ergänzte dazu, die Kapitalerhöhung diene, um das Geschäft am Laufen zu halten.
Absurd: Geldbeschaffung nach Rekordquartal
Das ist entlarvend: Die Geldbeschaffung und das Rekordresultat in der Investmentbank (den Archegos-Verlust ausgeklammert) offenbaren erstens, dass die CS das Gegenteil eines nachhaltigen Geschäftsmodells betreibt und dass sie zweitens schlicht zu schmalbrüstig ist, um ihre vom Investmentbanking geprägte Strategie aufrecht erhalten zu können.
Geradezu absurd erscheint die Notwendigkeit dieser Kapitalerhöhung in Anbetracht der mit sturer Beharrlichkeit geäusserten Statements von Gottstein, die CS habe sehr gut performt und könne auf einer soliden Basis aufbauen.
Finma könnte nochmals einschreiten
Dabei betreibt die CS an ihrer Basis Raubbau: Der 5-Milliarden-Verlust mit Archegos verhindert einmal mehr, dass die Bank Rücklagen bilden kann. Die Situation der CS ist nach wie vor ungemütlich: Sie steht wegen des Greensill-Fiaskos, für welches die CS bereits 1,9 Milliarden Franken Kapitalpuffer bilden musste, weiterhin unter Beobachtung der Finma.
Ausserdem muss die CS im laufenden zweiten Quartal weitere RWA in der Höhe von 6,5 Milliarden Franken klassifizieren, weil sie Ende 2020 Rückstellungen für einen US-Hypotheken-Streitfall gebildet hatte.
Nüchterner Ausblick
In diesem Zusammenhang ist auch der nüchterne Ausblick auf die weitere Geschäftsentwicklung der CS in diesem Jahr zu sehen: In der Investmentbank werde eine Verlangsamung stattfinden, sagte CEO Gottstein, weil auch die Märkte ruhiger würden.
Er hätte auch sagen können, die CS sei nicht in der Lage, mit ihrer Eigenkapitalquote das derzeitige Risikoniveau in der Investmentbank zu halten. Tatsächlich muss die Investmentbank ihre RWA um mindestens 35 Milliarden Dollar reduzieren, wie die Bank im Quartalsbericht festhält.
Vier Kapitalerhöhungen unter Urs Rohner
Die Kapitalschwäche der CS ist ein Synonym für das verlorene Jahrzehnt der zweitgrössten Schweizer Bank unter ihrem Verwaltungsratspräsidenten Urs Rohner. Unter seiner Regentschaft musste die CS viermal bei den Aktionären die hohle Hand machen – im Durchschnitt alle zweieinhalb Jahre.
Gottstein reagiert, wie jeder andere Banken-CEO auch, eher allergisch auf Berichte bezüglich Eigenkapitalquote. Als finews.ch im Sommer 2020 kritische Analysten-Stimmen zum Anlass für einen Artikel nahm, die vermeintliche Kapitalstärke der CS zu hinterfragen, liess es sich der CS-CEO nicht nehmen, den Journalisten persönlich darauf hinzuweisen, dass er völlig falsch liege.
Die Furcht vor dem «Spillover»-Effekt
Die Empfindlichkeit ist nachvollziehbar: Mit einer schmalbrüstigen Bank will man als (Firmen-)Kunde eher keine Geschäfte machen. Dicke Kapitalpolster gelten insbesondere im Private Banking als wichtiges Argument, um Kunden zu gewinnen – und auch zu halten.
Die Bonität der CS steht jetzt unter genauer Beobachtung. Die Ratingagentur Moody's hat ihre Bedenken: Die CS müsse beweisen, dass die Vorkommnisse mit Archegos und Greensill keinen weiteren negativen Einfluss auf ihr Eigenkapital hätten – ebenso auf ihr gesamtes Geschäft. Ob Vermögensverwaltungskunden aus Sicherheits- oder aus Reputationsgründen ihr Geld von der CS abziehen werden, wird sich Ende des zweiten Quartals 2021 zeigen.
Business as usual?
Ob Gottstein dann noch CEO der CS ist, hängt von Ergebnissen der laufenden internen und externen Untersuchungen zu den Vorfällen ab – und von Antonio Horta-Osorio. Der Portugiese wird am 1. Mai als Verwaltungsratspräsident für die CS tätig. Gottstein sieht die Zukunft der CS klar vor sich: «Business as usual» nach einigen «Adjustierungen». Ob Horta-Osorio das auch so sieht, ist offen.