Die Häufung katastrophaler Fehltritte und die absehbaren Milliardenverluste bei der Credit Suisse lassen nur einen Schluss zu: Mit dem Wechsel im Präsidium muss für die Grossbank eine radikal andere Strategie her.
Die gegenwärtige Situation in der Credit Suisse (CS) ist prekär: Verwaltungsrat, Management und Krisenausschüsse müssen gleich zwei Brandherde mit potenziellem Milliardenschaden bekämpfen, nach Ursachen und Schuldigen für die desaströsen Vorgänge und Auswirkungen suchen – sowie Investoren, Regulatoren und Mitarbeiter beruhigen.
Doch mit der Eingrenzung des Schadens – über das Ausmass herrscht nach wie vor keine Klarheit – ist es bei der CS nicht getan. Das Debakel um die Greensill-Fonds ist ein Schlag ins Gesicht der Kunden im Asset Management und im Private Banking. Die stümperhafte Handhabung des Margin Calls bei Archegos Capital Management löst bezüglich der Fähigkeiten innerhalb CS-Investmentbank Zweifel aus.
Das offensichtlich überforderte Risikomanagement der zweitgrössten Schweizer Bank ist bei Rating-Agenturen wie auch Regulatoren zum Thema geworden.
CEO-Wechsel nützt nichts
Kurzum: Die Reputation der CS hat enormen Schaden genommen, was zu Geldabflüssen führen dürfte, das Neugeschäft erschweren wird, den Frust bei den Angestellten steigen lässt und neues talentiertes Personal von der Bank fernhält.
Das «Tollhaus am Paradeplatz», wie finews.ch kürzlich angesichts der Handhabung des Greensill-Fiaskos in einem Artikel titelte, wird die in den vergangenen zwölf Monaten zu Tage gekommenen Fehltritte – Luckin Coffee, Wirecard, Softbank, York Capital, Greensill, Archegos – durch einen CEO-Wechsel oder gleich mehrere Manager-Abgänge sowie ein paar Retuschen im Risikomanagement und in der Investmentbank allerdings nicht ausbügeln können.
Heftige Warnung der Nationalbank
Trifft die Redewendung auch für die CS zu, dass der Fisch vom Kopf her stinkt, ist der geplante Abgang von Verwaltungsrats-Präsident Urs Rohner im kommenden Monat erst der Anfang.
Am 61-jährigen Anwalt wird das Attribut hängen bleiben, für ein verlorenes Jahrzehnt der einst so stolzen CS verantwortlich zu sein. Die Strategie unter Brady Dougan war bereits nach der Finanzkrise überholt gewesen. Aber Rohner und der schwache Verwaltungsrat liessen den amerikanischen Investmentbanker so lange gewähren, bis die chronische Kapitalknappheit der Schweizerischen Nationalbank (SNB) sauer aufstiess.
Meisterstratege Tidjane Thiam?
Tidjane Thiam, vom Branchenmagazin «Euromoney» einst als Meisterstrategie gefeiert, tat nicht mehr, als der CS eine neue divisionale Struktur zu verpassen, die Kosten radikal zu senken und die überdimensionierte Investmentbank zu verkleinern. Immerhin gelang es Thiam, innerhalb von 18 Monaten von den CS-Aktionären knapp 10 Milliarden Franken an frischem Kapital einzusammeln.
Doch seine Strategie eines Vermögensverwalters mit «starker Investmentbank» – so hatte es Thiam im Oktober 2015 angekündigt –, muss auch ad acta gelegt werden.
Das Fazit nach zehn Jahren mit Rohner als CS-Lenker und fünf Jahre nach dem vermeintlichen Strategiewechsel ist sehr ernüchternd: Der Aktienkurs liegt mehr als 70 Prozent tiefer als 2011. Das vollmundige Versprechen Rohners im Jahr 2018, die CS werde nun aktionärsfreundlich, nachdem die Dividende zuvor jahrelang aus neu herausgegebenen Aktien bestanden hatte, erweist sich als Rohrkrepierer.
Gespenst der Kapitalerhöhung
Analysten gehen davon aus, dass die CS ihr angekündigtes Aktienrückkaufprogramm über 1,5 Milliarden Franken stoppen muss. Der voraussichtlich mehrfache Milliardenverlust aus dem Greensill- und dem Archegos-Debakel stellt die Dividendenzahlung für 2021 ernsthaft in Frage. Die Eigenkapital-Quote der CS droht unter die Marke von 12,5 Prozent zu fallen – bereits macht das Gespenst einer neuerlichen Kapitalerhöhung die Runde.
Auf den Ende April antretenden neuen Präsidenten Antonio Horta-Osorio – aktuell noch CEO der britischen Lloyds Bank – wartet nicht eine CS als Restrukturierungsfall. Vielmehr muss der Portugiese die zweitgrösste Schweizer Bank regelrecht neu erfinden.
Wolkiges «One Bank»-Prinzip
In aller Deutlichkeit hat sich gezeigt, dass die gegenwärtige CS-Strategie keinen Mehrwert bringt: Dem wolkigen «One Bank»-Prinzip mit Dienstleistungen für einzelne Grosskunden aus Investmentbank und Vermögensverwaltung hat der Greensill-Fall die Grenzen aufgezeigt. Die Investmentbank für sich ist zu leichtgewichtig, um konkurrenzfähig zu sein. Dem Wealth- und dem Asset Management fehlt es an kritischer Grösse.
Insofern muss die CS eine fundamentale Transformation und einen Kulturwandel erfahren. Nur so kann sie angesichts des rasanten technologischen Wandels in der Finanzwelt der kommenden Jahre in ihren Zielmärkten relevant zu bleiben.
Es wäre schwer nachvollziehbar, wenn nun nicht auch die Grossaktionäre der CS auf einen radikaleren Strategiewechsel pochen würden.
Nüchtern rechnende Grossaktionäre
Horta-Osorio wird sich dem Hauptproblem stellen müssen, dass der CS schlicht die Mittel fehlen, um in dem von US-Banken angeführten Technologie-Wettrüsten mitzumachen. Diese Einschränkung wird zu einer strategischen Fokussierung auf weniger Geschäftsfelder führen – oder zu Teilverkäufen. Im Asset Management werden bereits die entsprechenden Weichen gestellt. Die anderen Divisionen, angefangen bei der Investmentbank, werden ebenfalls auf den Prüfstand kommen.
Horta-Osorio und nüchtern rechnende Grossaktionäre könnten sogar zum Schluss gelangen, dass eine Zerlegung der CS mit einer Abspaltung der gesunden Schweizer Bank (SUB) den grössten Mehrwert bringen könnte, und auf den die Aktionärinnen und Aktionäre bisher vergeblich gewartet haben.