CS und UBS müssen ihre Eigenmittel massiv aufstocken. Gut so, findet Maurice Pedergnana. Aber der Parabankenbereich soll auch stärker reguliert werden.
Herr Pedergnana, gehen die Vorschläge der Expertenkommission genug weit oder ist es ein erneuter Kompromiss?
Es braucht Regelungen, die wirklich umsetzbar und verkraftbar sind, weshalb in der Kommission auch die Grossbanken vertreten waren. Das Sagen hatten aber die Finanzmarktaufsicht und die Nationalbank, die mit Weitsicht argumentiert haben werden. Es grenzt an ein Kunststück, was Kommissionspräsident Peter Siegenthaler geschafft hat. Das war zum Schluss bestimmt ein Ringen um jedes Wort.
Weshalb?
Noch im April 2010 votierte eine Mehrheit von Politik und Bevölkerung für Sondersteuern, hat sich über überrissene Boni geärgert und wollte den Eigenhandel per Gesetz verbieten. Vor diesem Hintergrund ist es trotzdem gelungen, adäquate Vorschläge mit einem klaren Anreizsystem zu erarbeiten und sich nicht von der Tagespolitik ablenken zu lassen.
«Ansteckungsgefahr noch nicht gebannt»
Das Systemrisiko wird also durch diese Vorschläge reduziert?
Davon bin ich überzeugt. Allerdings wird es dazu notwendig sein, dass die Vorschläge, die kompatibel sind mit jenen des Financial Stability Board der G20, auch in anderen Ländern übernommen werden. Das Systemrisiko (vgl. Hellwig Weder zur Systemrelevanz) beinhaltet ja unter anderem die Ansteckungsgefahr, und diese ist nicht durch zwei Gesunde und mehreren Kranken unter den rund 25 systemisch wirklich relevanten, globalen Banken verbessert.
Weshalb?
Es soll ein Markt für bedingte Pflichtwandelanleihen geschaffen werden. Sinkt die Eigenmittelquote einer Bank unter ein bestimmtes Niveau, wird die Anleihe in Eigenkapital gewandelt. Das ist neben dem harten Kernkapital eine sinnvolle Massnahme.
Funktioniert ein Markt für ein Papier, das in normalen Zeiten ein begrenztes Ertrags- und in Krisenzeiten ein hohes Verlustpotenzial ausweist?
Rabobank, d.h. die niederländische Raiffeisen Bankgruppe, hat vor einem Jahr 750 Millionen Franken als Pflichtwandelanleihe aufgenommen, die Nachfrage war also da. Es ist aber natürlich eine Frage des Zinses. Die Rabobank zahlt dafür 6,875 Prozent Zins; der stark gestiegene Kurs seit der Emission zeigt die starke Nachfrage nach solchen Anleihen. Private Kundschaft und institutionelle Investoren wie Pensionskassen sind dankbar, dass sie in eine relativ sichere Anlage investieren können, deren Zins grösser wie 1 oder 2 Prozent ist.
«Kein Wettbewerbsnachteil»
Je besser die Organisation einer Bank für den Krisenfall ausgelegt ist, desto grösser ist die Chance eines Rabatts. Das heisst: Der Eigenmittelzuschlag fällt weniger hoch aus. Ist die Umsetzung realistisch?
Das ist ein massdisziplinierendes Element, das ich innovativ finde und absolut gut heisse. An einer Umsetzung zweifle ich nicht. Wir pflegen somit weiterhin kein Trennbankensystem, aber es gibt fortan klare Anreize, dass Qualität und nicht Grösse im Vordergrund des Investment Bankings stehen, d.h. es geht sozusagen um qualitatives Investment Banking. Geschickt umgesetzt ist dies nicht nur kein kompetitiver Nachteil; im Gegenteil, es lässt sich sogar ein Wettbewerbsvorteil erzielen. Auch im übrigen Teil der Vorschläge ist die Expertenkommission liberal: Eine Bank kann in Abhängigkeit von Geschäftsmodell und Grösse die Kapitalstruktur optimieren.
Kommt es nicht einer behördlichen Illusion gleich, dass sich eine Grossbank im Krisenfall aufteilen kann?
Deshalb wurde die Übergangsfrist bis Ende 2018 relativ langfristig angesetzt. Bedeutungsvolle Elemente sollen sauber abgetrennt und die volkswirtschaftlich wichtigen Bereiche weitergeführt werden. Die Banken sind heute nicht nur «too big to fail», sondern auch “too interconnected to fail” und «too complex to fail». Die Banken sind zu vernetzt und zu komplex aufgestellt; ein Konkurs wäre im gegenwärtigen System ohne immense Kollateralschäden gar nicht möglich.
«Schweizer Geschäft nicht konkursfester als Auslandsgeschäft»
Die SVP wollte die Grossbanken aufteilen in eine ausländische und inländische Einheit. Das ist nicht gelungen.
Das ist wichtig, dass dies nicht gelungen ist: Es bleibt zentral, dass das Schweizer Geschäft nicht konkursfester ist als das Auslandsgeschäft. Würde jede Nation das Inlandgeschäft der Banken konkursfester ausstatten als das Auslandgeschäft, würde der globale Kapitalmarkt enorm darunter leiden, der Wettbewerb würde verzerrt, Länderrisikoprämien für jeden einzelnen Staat und jede Ländergesellschaft müssten geschaffen werden. Heute und morgen soll aber weiterhin von einem Konzernvertrauen ausgegangen werden, d.h. es spielt für die Kundinnen und Kunden keine Rolle, ob sie der UBS in Zürich, Frankfurt oder London Geld anvertrauen resp. ob das Produkt der UBS in Zürich, Luxemburg oder Guernsey emittiert wird.
Schon im Bundesgerichtsentscheid BGE 116 Ib 337 wird klar festgehalten: «Der Bankkonzern wird nämlich stärker als der Industrie- oder Handelskonzern als wirtschaftliche Einheit wahrgenommen. Wie die Eidgenössische Bankenkommission hervorhebt, stellt der Bankkonzern ein empfindlich reagierendes Verbundsystem dar, in welchem die Insolvenz eines Gliedes zum Vertrauensentzug gegenüber den anderen Gliedern führt.»
UBS und Credit Suisse brauchen mit dem neuen Regime je 75 Milliarden Franken Kapital. Zu wenig, sagen Experten mit Verweis auf die Hypothekenkrise der 90er Jahre. Damals verlor der Bankensektor etwa die von der Expertenkommission geforderte Summe.
Das ist nicht korrekt. Im Nachgang an die Hypothekenkrise wurden wesentliche Rückstellungen aufgelöst, die effektiven Verluste waren daher viel kleiner. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass die Schweiz wesentliche Lehren daraus gezogen hat. Zentral ist aber auch, dass nicht nur das Bankensystem reguliert wird, sondern das gesamte Finanzsystem im Auge behalten wird.
«Auch Postfinance regulieren»
Wie meinen Sie das?
Das Parabankensystem, also Finanzinstitute wie Postfinance, die nicht unter den Bankenstatus fallen, müssen ebenfalls reguliert werden. In den USA werden derzeit mit rund 16‘000 Milliarden Dollar mehr Kredite in diesem Schattenbanksystem als im regulären Bankensystem mit circa 13‘000 Milliarden Dollara gehalten Jede stärkere Regulierung im Bankensystem hat zur Folge, dass Risiken ins Schattenbankensystem verlagert werden.
Kritiker sagen, risikogewichtete Aktiven, jenes Kapital, mit dem Banken risikoreich investieren, seien die falsche Messgrösse, die Risikomessung versage im entscheidenden Moment per se.
Das ist eine Glaubensdiskussion. Bei der UBS führt der Wechsel von Basel II auf Basel III aber zu einer Verdoppelung der risikogewichteten Aktiven. Nach den Berechnungen (vgl. Präsentation UBS) , welche John Cryan, CFO der UBS, am letzten Donnerstag in London vorgestellt hat (vgl. Folie 8), erhöhen sich die risikogewichteten Aktiven auf 400 Milliarden Franken. Der Effekt ist also massiv. Die UBS wird diesen Wert deshalb in den kommenden Jahren um einen Viertel auf rund 300 Milliarden Franken reduzieren. Nochmals: Das führt dazu, dass die Risiken zu anderen Finanzakteuren transferiert werden. Ich bin mir nicht sicher, ob das Sinn und Zweck eines gesunden Banksystems ist. Mindestens sollte gesichert sein, dass jene, welche Risiken im Finanzsystem übernehmen, diese auch verstehen. Das war in der Vergangenheit offensichtlich nicht immer der Fall.
«Mehr Sicherheit auch für Schweizer Wirtschaft»
Wird die Schweizer Wirtschaft mit den Vorschlägen der Expertenkommission sicherer?
Meines Erachtens ja, zumal auch Schweizer KMU und grössere Unternehmen von einem Universalbankensystem profitieren, das die ganze Wertschöpfungskette anbietet. Ausserdem glaube ich, dass UBS wie auch Credit Suisse die Auflagen bereits bis Ende 2014 beziehungsweise 2013 erfüllen werden, mit der Zurückhaltung von Dividenden und der Reduktion der risikogewichteten Aktiven. Auch verzichtet die Credit Suisse bereits heute in der Investmentbank fast komplett auf den Eigenhandel, wie dies CS-Konzernchef Brady Dougan (vgl. Präsentation Credit Suisse) letzte Woche in London vorgetragen hat (vgl. Folie 16). Die beiden Grossbanken werden mit diesem Regime neue, risikoärmere Aktionärskreise sowie stabilitätsliebende Kundinnen und Kunden gewinnen können. Vielleicht werden die beiden Grossbanken damit etwas langweiliger, aber solide und interessant für wirklich langfristig orientierte Investoren.
Ein gekürzte Version dieses Interviews erschien heute in der Neuen Luzerner Zeitung unter dem Titel «Banken: Langweilig aber solide».
Maurice Pedergnana (46) ist Professor am Institut für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern – Wirtschaft sowie Mitglied des Bankrates der Zürcher Kantonalbank und Verwaltungsratspräsident der Zugerberg Finanz AG.