Unsere Strategie bis 2022 sieht wie gesagt primär organisches Wachstum vor. Allerdings hätten wir genügend Kapital, um ergänzende Akquisitionen zu tätigen. Mit den jüngsten Übernahmen der Tessiner BSI Bank und des australischen Vermögensverwalters Shaw and Partners haben wir bewiesen, dass wir Akquisitionen durchaus bewältigen können.

«In diesem Jahr haben wir die Wende vollzogen»

Unsere Devise lautet: Wir wollen Goodwill kreieren und nicht zu viel für Goodwill bezahlen. Wir sehen uns entsprechend um, stehen aber nicht unter Zugzwang.

Wo halten Sie Ausschau, eher in der Schweiz oder im Ausland?

Für uns ist die Schweiz der grösste Markt und daher sehr wichtig. Ich würde gerne die kritische Masse hierzulande ausbauen. Nach dem Kauf der BSI haben wir auch eine Onshore-Strategie entwickelt, die wir jetzt umsetzen.

Was waren 2019 die Milestones von EFG International?

In diesem Jahr haben wir die Wende vollzogen. Nach der Akquisition der BSI Ende 2016 gaben wir uns zwei Jahre für deren Integration, die für uns sehr erfolgreich und rasch erfolgt ist – selbst wenn alles höchst intensiv war. Wir hatten beispielsweise neun IT-Migrationen in 13 Monaten. Das Jahr 2019 steht für einen Neuanfang. Wir haben uns wieder verstärkt nach vorn ausgerichtet.

«Wir erwarten, dass ein Kundenberater Ende des zweiten Jahres nach seiner Anstellung ‹breakeven› ist»

Vor diesem Hintergrund haben wir noch nie so viele neue Kundenberater (Client Relationship Officers, CROs) wie 2019 engagiert – rund 150; das ist doppelt so viel wie wir ursprünglich geplant hatten. Das zeugt vom Aufbruch, der in unserem Hause dieses Jahr Einzug gehalten hat. Die Qualität dieser neuen Teams ist sehr hoch.

Das können Sie jetzt schon sagen?

Ich bin davon überzeugt, und nun müssen sie sich bei uns beweisen. Zu uns kommen Kundenberater, die unternehmerisch denken und einen klaren Businessplan vorlegen.

Wann muss ein sogenannter CRO die Gewinnschwelle erreichen?

Nach unserem Modell erwarten wir, dass jemand Ende des zweiten Jahres nach seiner Anstellung «breakeven» und im dritten Jahr profitabel ist und darüber hinaus die weitere Entwicklung stimmt.

Das ist recht ambitioniert.

Ja, früher ging man von fünf Jahren aus. Doch die Welt hat sich verändert. Drei Jahre ist heute schon mehr als genug.

Leute, die nicht «performen» sind dann auch schnell wieder weg.

Wir wollen beidseitig keine Überraschungen haben. Stellt sich der Erfolg nicht ein, trennen wir uns «in gegenseitigem Einvernehmen», wie es heisst.

Wie hat sich 2019 das Geschäft in Hongkong entwickelt, nachdem es ab Mitte Jahr permanent zu Protestkundgebungen und teilweise blutigen Ausschreitungen zwischen der Demokratie-Bewegung und der Polizei kam?

Die Situation ist für uns alle etwas völlig Neues, mit der wir zurechtkommen müssen. Letztmals war ich im vergangenen August in Hongkong, als sich die Situation wieder verhärtete.

«Allerdings bleibt diese Unsicherheit, die niemand mag»

Ich muss meinen Leuten vor Ort ein Kompliment aussprechen, weil sie es geschafft haben, das Geschäft ungeachtet aller Widrigkeiten weiterzuführen. Allerdings bleibt diese Unsicherheit, die niemand mag, weder die Bevölkerung noch die Investoren und Kunden.

Hat der Finanzplatz Hongkong so gesehen noch eine Zukunft?

Ich denke schon. Die Nähe zu China wird aus wirtschaftlicher Sicht wichtig bleiben, und die grossen internationalen Firmen haben keine Abwanderungspläne angekündigt. Die Aktivitäten an der Hongkonger Börse, darunter ein Börsengang des chinesischen Alibaba-Konzerns, unterstreichen die anhaltende Bedeutung dieses Finanzzentrums.

Wird EFG International Kapazitäten nach Singapur verlagern?

Nein, wir bleiben in Hongkong und bauen beide Standorte weiter aus. Wir sehen im Moment keine Notwendigkeit, unsere Wachstumsstrategie zu ändern. Aber natürlich würden wir es begrüssen, wenn sich die Lage wieder beruhigt.

Haben die Kunden ihr Geld ins sichere Singapur verlagert?

Anekdotisch ist davon die Rede. Konkret sind mir solche Fälle zumindest aus unserem Haus aber nicht bekannt. Im Vergleich dazu waren die Auswirkungen der Eurokrise in den Jahren 2011 und 2012 stärker. Die Kunden haben damals wesentlich heftiger reagiert.

Apropos Europa, wie haben Sie sich auf den Brexit eingestellt?

Für das Vermögensverwaltungs-Geschäft ist der Brexit weniger ein Problem als für andere Bereiche der Finanzindustrie. Der Anteil an EU-Kunden in London respektive in Grossbritannien ist bei uns relativ bescheiden. Die grosse Mehrheit unserer Klientel stammt entweder aus Grossbritannien selber, ist also onshore, oder aber, sie ist im Nahen Osten, Osteuropa oder Asien, inklusive Indien, domiziliert. Vom Brexit ist diese Kundschaft kaum betroffen.

«Etwas komplizierter ist die Entwicklung in Lugano»

Wir haben in London in diesem Jahr ein neues Management-Team eingesetzt und werden 2019, wie auch in den vergangenen sieben Jahren, ein sehr gutes Wachstum ausweisen.

Kann man das auch von der Schweiz behaupten?

Wie gesagt, die Schweiz ist unser grösster Markt und hier heisst die Devise nach der vollzogenen BSI-Integration «Back to Growth». Wir sind jetzt stärker nach aussen orientiert. Zürich und Genf entwickeln sich gut, on- wie offshore. Etwas komplizierter ist die Entwicklung in Lugano. Das Wachstum ist noch nicht da, wo wir es gerne hätten. Der Zugang nach Italien ist uns aufgrund der Regelungen mit der EU praktisch verwehrt.

Hat der Schweizer Finanzplatz langfristig eine Überlebenschance?

Wenn man sich vergegenwärtig, was geopolitisch derzeit in der Welt geschieht, hat der Schweizer Finanzplatz sogar sehr gute Karten. Ich sage immer, Private Banking ist am Ende des Tages auch eine Diversifikation von Risiken aus Ländern, die politisch unsicher und instabil sind.

Wie lange leben Sie schon in der Schweiz?

Siebeneinhalb Jahre, in der Nähe von Zürich.

Wollen Sie hier bleiben?

Ja, meiner Familie und mir gefällt es in der Schweiz sehr gut. Meine drei Kinder sind hier geboren. Ich halte Zürich nach London für die internationalste Stadt in Europa.

«Rückblickend waren wir die ‹Techies› von heute»

Neben den oft erwähnten Vorzügen der Schweiz scheint mir vor allem auch die digitale Infrastruktur ein wichtiger Standortfaktor zu sein, genauso wie die liberale Weltanschauung, die hierzulande vorherrscht.

Wollten Sie immer Banker werden?

Sagen wir es so: Ich wollte immer ein internationaler Manager werden. Vor meinem Studium war die Bankbranche für mich zunächst nicht sonderlich reizvoll. Das hat sich dann aber Mitte der 1980er-Jahre geändert, als die Amerikanisierung der Finanzwelt einsetzte. Das interessierte mich. Rückblickend waren wir die «Techies» von heute. Oder anders gesagt: Der Finanzsektor übte damals eine Faszination aus, wie es heute die Technologie-Branche auf die jungen Leute tut.

Vielleicht schlägt das Pendel wieder einmal zurück. Jedenfalls sind die Finanzmärkte bis heute eine intellektuelle Herausforderung geblieben. Sie sind einerseits sehr abstrakt, andererseits aber auch sehr konkret, weil sich die meisten Menschen am Ende des Tages vor allem mit zwei «Grundbedürfnissen» befassen: Wealth und Health, also Geld und Gesundheit.


Der 52-jährige Piergiorgio Pradelli ist seit Anfang 2018 CEO von EFG International und von der EFG Bank. Er ist zudem Verwaltungsrat der Tochtergesellschaften EFG Bank (Monaco), EFG Investment and Wealth Solutions und Patrimony 1873 von EFG International. Vor seiner Ernennung zum CEO war er ab 2014 stellvertretender CEO und ab Juni 2012 Finanzchef von EFG. Zum Unternehmen stiess er bereits 2003 und hatte in der Folge verschiedene Funktionen inne und spielte eine wichtige Rolle beim Börsengang der Bank im Jahr 2005. Seine Karriere begann der Turiner bei der Deutschen Bank, wo er von 1991 bis 2003 diverse leitende Positionen in Frankfurt und London hatte. Er besitzt einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Universität Turin, Italien.