Am kommenden Samstag treten hierzulande mehr als 1'600 Berufsleute an, um den begehrten CFA-Titel zu erlangen. Frauen werden dabei massiv untervertreten sein – ganz anders bei den härtesten Konkurrenten des Schweizer Finanzplatzes.
Am 6. Juni 2015 beginnt rund um den Globus das grosse Schwitzen: 160'000 Kandidaten werden weltweit zum Examen antreten, um den begehrten Titel des Chartered Financial Analyst (CFA) zu erringen – eine Tortur, wie die Teilnehmenden schon jetzt wissen.
Allein das erste «Level» der Ausbildung erfordert eine sechsstündige Prüfung. Eine Pause gibt es dabei erst nach drei Stunden. Und die ganze Zeit über ist Hochkonzentration gefragt. Aufpasser in Leuchtwesten stehen Wache. Wer länger als 90 Sekunden pro Frage benötigt, hat ein Problem.
Und doch haben sich auch heuer allein in der Schweiz wieder 1'640 Probanden für die in Genf sowie in der Messehalle in Zürich-Oerlikon durchgeführten Prüfungen gemeldet. Das sind 83 oder 4 Prozent mehr als im vergangenen Jahr.
Ein Gradmesser für den Druck
Christian Dreyer, seit 2013 Geschäftsführer der CFA Society Switzerland, weiss, warum sich junge Berufsleute auch diesen Juni so etwas antun. Einerseits, so Dreyer, kehre die Finanzindustrie nach den Krisenjahren wenigstens zum Anschein der Normalität zurück.
Zum andern sieht er den Anstieg bei den CFA-Kandidaten auch als eine Folge des enormen Drucks, der weiter auf der Branche lastet. «Der härter gewordene Stellenmarkt verlangt nach besseren, global anerkannten Qualifikationen», so Dreyer, «mit dem CFA wollen junge Berufsleute ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit steigern.»
Wo Frauenquoten kein Thema sind
Allerdings: Nicht alle jungen Schweizer Berufsleute wollen dies gleichermassen. Laut den Erhebungen des CFA Institute nehmen an den Prüfungen dieses Jahr nur rund 20 Prozent Frauen teil. Bei den CFA-Mitgliedern ist das Verhältnis gar noch «männerlastiger»; dort beträgt der Frauenanteil nur noch 15 Prozent.
Die Anzahl der Schweizer Probandinnen entspricht laut der Standesorganisation zwar in etwa dem Durschnitt in Europa und Amerika. International liegt der Frauenanteil aber bei mehr als 30 Prozent – und in Asien, wo das Banking massiv wächst, herrscht zwischen den Geschlechtern an der CFA Prüfungen gar Parität.
Vorbilder zuhauf
«Die Branche ist in Asien viel durchlässiger für Frauen», deutet Dreyer die enorme Diskrepanz zwischen den verschiedenen Weltregionen. «In Asien ist das Banking keine Männerbastion wie in der Schweiz oder in anderen Ländern mit einem seit vielen Jahrzehnten etablierten Finanzsektor.»
Tatsächlich können die jungen CFA-Absolventinnen in Asien auf Vorbilder zuhauf blicken: Gerade in der Vermögensverwaltung haben es Asiatinnen bis ganz an die Spitze gebracht – nicht zuletzt bei der Schweizer UBS.
Und noch etwas spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle: Ein globaler Standard wie jener des CFA Institute geniesst in Asien hohes Prestige, wie Dreyer bestätigt. Das habe zur Folge, dass ein CFA-Titel auch bei der Entlöhnung entsprechend honoriert werde.
Ungebremste Dynamik
Ganz zu schweigen davon, dass die CFA-Ausbildung insgesamt von der hohen Dynamik der aufstrebenden asiatischen Finanzplätze profitiert. In China meldeten sich dieses Jahr mit knapp 30'000 Probanden nur 8'000 Kandidaten weniger zu den Prüfungen an als in den USA, woher der Standard ursprünglich stammt (siehe Bild unten: CFA-Prüfungen in China). Gegenüber dem Vorjahr entspricht das in China einer Zunahme von 16 Prozent – ein viermal höheres Wachstum als in Amerika.
Hoch sind die Wachstumsraten auch in den Private-Banking-Hochburgen Singapur und Hongkong. Dort meldeten sich heuer 11 Prozent respektive 15 Prozent mehr Kandidaten zur Prüfung an als im Jahr zuvor. Eine schnell wachsende Know-how-Quelle, die auch Schweizer Banken anzapfen können – wohl zulasten hiesiger Arbeitsplätze.
Umso mehr wären Frauen als wichtiges Reservoir für die Finanz-Expertise in der Schweiz gefragt. Doch deren Zurückhaltung lässt auch das CFA Institute ratlos. «Wir können nichts dazu tun, dass sich Frauen vermehrt für einen CFA anmelden», sagt Dreyer.
Know-how und Freibier
Dabei, findet Dreyer, würde speziell weibliches Investment-Know-how in der Branche dringend gebraucht. «Es gibt diverse akademische Studien, die belegen, dass das Anlegerverhalten von Frauen deutlich risikoaverser ist als das ihrer männlichen Kollegen.»
Es bleibt also auch nach den Prüfungen noch einiges zu tun, um Schweizerinnen für die nächste Examens-Runde im Jahr 2016 zu begeistern. Der Jahrgang 2015 hingegen wird am Samstagnachmittag wohl nur noch dem Vergessen frönen wollen: Beim traditionellen «beer bash» – dem Freibier nach absolviertem Examen.