Gute Geschichten sind zeitlos, vor allem zum Jahresanfang. Man liest sie immer gern. Das 1972 erschienene Asterix-Abenteuer «Der Seher» ist ein solches Werk.
Von Bernd Kramer*
In dem Comic geht es um den immerwährenden Wunsch der Menschen, die Zukunft schon im Voraus zu kennen und dessen unliebsamen Konsequenzen. Dieses Verlangen ist zum Jahreswechsel besonders ausgeprägt.
René Goscinnys und Albert Uderzos Werk zeigt, wie leicht das gallische Dorf auf die Prognosen des Betrügers Lügfix hereinfällt. Und wie wenig Asterix' Skepsis inmitten der aufgeregten Menge Gewicht hat.
Nun trauen heute die meisten Leute keinem, der wie Lügfix vorgibt, aus toten Fischen die Zukunft herauslesen zu können. Die Nachfrage nach Vorhersagen, insbesondere was die wirtschaftliche Entwicklung anbelangt, ist aber ungebrochen. Entsprechend hat sich eine Prognoseindustrie entwickelt, die dieses Bedürfnis nach vollkommener Voraussicht befriedigt.
Forschungsinstitute, Banken und Regierungen beschäftigen Heerscharen von Ökonomen und Mathematikern, die mittels komplizierter Modelle Wachstumsraten und die Arbeitslosenquoten für das kommende Jahr berechnen. Die Medien veröffentlichen die Zahlen, oft aus der Furcht heraus, etwas Bedeutsames zu verpassen.
Ein wenig realistisches Menschenbild
Ein bisschen mehr von Asterix' Skepsis ist jedoch angebracht. Zwar beruhen die Modelle nicht auf den Eingeweiden toter Tiere, sondern auf den Erfahrungen aus der Vergangenheit. Die Forscher fragen sich dabei, wie wirtschaftliche Grössen zusammenhängen. Also zum Beispiel, welchen Anteil seines Einkommens ein Bürger für seine Einkäufe ausgibt.
Diese Relationen können sich aber im Laufe der Zeit ändern. Andere Modelle gehen von Menschen aus, die Computern gleich optimale Entscheidungen treffen. Also jene Güter wählen, die ihnen unter Berücksichtigung des eigenen Einkommens stets den höchsten Nutzen bringen – ein wenig realistisches Menschenbild.
Anmassend und unglaubwürdig
Die Modelle bilden auch nicht die gesamte wirtschaftliche Realität ab. So fehlte lange Zeit das Eigenleben des Finanzsektors in den Gleichungen der Ökonomen. Dies war ein Grund, weshalb kaum jemand die Finanzkrise 2008/2009 kommen sah.
Die wirtschaftliche Entwicklung hängt von den Entscheidungen von Milliarden Menschen und deren Begleitumständen ab. Diese lassen sich kaum in ein Formelgerüst pressen. Wer vorgaukelt, das Wachstum auf die zweite Stelle hinter dem Komma zuverlässig voraussagen zu können, ist deshalb anmassend und unglaubwürdig. Allenfalls Tendenzen oder bestimmte Muster lassen sich zutreffend ableiten – vorausgesetzt es tritt kein gänzlich unerwartetes Ereignis ein.
Mehrere Szenarien gefordert
Angesichts dieser Unzulänglichkeiten fällt ein Ausblick auf die wirtschaftliche Entwicklung schwer. Werden die Investoren Vertrauen in die Sparpolitik des italienischen Regierungschefs Monti haben und so den Euro vor dem Kollaps bewahren?
Man weiss es nicht. Ist die Wachstumsabschwächung in China nur eine Konjunkturdelle oder der Anfang einer Krise? Keiner kann es genau sagen. Oder läuft es wie 2010, als die deutsche Wirtschaft so stark wuchs, wie es keiner für möglich gehalten hatte?
Wie aufgeschreckte Hühner
Die beste Antwort auf solch unsichere Zeiten ist, verschiedene Zukunftsszenarien zu entwickeln und sich zu überlegen, was man in dem einen oder anderen Fall tut. Das gilt für Unternehmenschefs wie für Privatverbraucher.
Der Vorteil: Kommt die böse Überraschung oder das unverhoffte Glück, muss man nicht wie ein aufgeschrecktes Huhn hektisch nach Lösungen suchen. Sie sind in Grundzügen vorhanden.
Ebenso helfen hohe Reserven. Mit ihnen lässt sich eine Krise meistern. Auf Miraculix' Zaubertrank können nur die Bewohner des unbeugsamen gallischen Dorfes bauen.
Bernd Kramer ist Wirtschaftsredaktor bei der «Badischen Zeitung».