Der Inflationsschock in diesem Jahr trifft die Schweizer Löhne hart und führt zum stärksten Reallohnverlust seit 80 Jahren. Wie geht es weiter?
Dieses Jahr haben die Schweizer Lohnabschlüsse den Arbeitnehmern eine Lohnerhöhung von 1,1 Prozent beschert. Bei einer von den UBS-Ökonomen prognostizierten Inflation von 2,9 Prozent sind die Reallöhne jedoch um 1,8 Prozent gesunken, was laut einer Lohnstudie der UBS der stärkste Rückgang seit 1942 ist.
Inflation teilweise ausgeglichen
Von den von der UBS befragten Unternehmen kommen rund 75 Prozent den Forderungen nach einem Inflationsausgleich nach, aber nur 20 Prozent gleichen diesen vollständig aus.
Für das nächste Jahr rechnen die UBS-Ökonomen mit einer Abschwächung der Inflation auf 2,1 Prozent pro Jahr, und bei einem nominalen Anstieg der Lohnabschlüsse von 2,2 Prozent im nächsten Jahr werden die durchschnittlichen Reallöhne im Schnitt stagnieren.
Wenn es einen Silberstreif am Horizont gibt, dann wird die Lohnzurückhaltung dazu beitragen, die Gesamtinflation zu bremsen.
«Die Arbeitnehmer werden sich wohl kaum über Lohnerhöhungen von knapp über 2 Prozent freuen, was deutlich unter dem derzeitigen Inflationsniveau liegt. Der verhaltene Lohnanstieg dürfte jedoch dazu beitragen, eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern und die Inflation nicht weiter anheizen», so UBS-Chefökonom Daniel Kalt.
Finanzsektor im Schnitt
Der Finanzdienstleistungssektor liegt weitgehend im Schweizer Durchschnitt. In diesem Jahr lag der effektive Lohnanstieg bei 1,0 Prozent und damit leicht unter dem Schnitt von 1,1 Prozent. Für das Jahr 2023 wird in der Branche mit einer Lohnerhöhung von 2,2 Prozent gerechnet, was dem Durchschnitt aller Branchen entspricht.
Die Lohnzurückhaltung ist zum einen ein Hinweis darauf, dass die Unternehmen im nächsten Jahr mit einer moderaten Inflation rechnen. Bremsend wirken zum andern die Aussichten auf eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums.
Die höchsten Erhöhungen für das nächste Jahr werden mit 3,0 Prozent für den Grosshandel, die Uhren- und Schmuckindustrie sowie die IT- und Telekommunikationsbranche erwartet. Das untere Ende des Spektrums kann mit einem Nominallohnanstieg von 2,0 Prozent rechnen. Es umfasst Branchen wie die Unternehmensdienstleistungen, zu denen unter anderem das Immobilienwesen, das Baugewerbe und die Mediendienste gehören.
Personalmangel verschärft sich
Aufwärtsdruck auf die Löhne wird wahrscheinlich von der Personalknappheit ausgehen. Jedenfalls geben vier von fünf Unternehmen an, dass sie Schwierigkeiten haben, Mitarbeitende zu rekrutieren. Der Mangel verschärft sich: Im Jahr 2016 berichteten 17 Prozent der Befragten über Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen, während es in diesem Jahr bereits 50 Prozent sind.
Die Mehrheit der Unternehmen führt den demografischen Wandel als Grund für den zunehmenden Personalmangel an. Dies deutet darauf hin, dass die Personalbeschaffung eine Herausforderung bleiben wird. Während die Reallöhne kurzfristig unter Druck stehen, wird erwartet, dass sie langfristig steigen werden, da sich der Arbeitskräftemangel verschärft, heisst es in dem Bericht.
«Wir sehen nicht nur einen zunehmenden Mangel an Fachkräften, sondern einen Mangel an Arbeitskräften im Allgemeinen», sagt UBS-Ökonom Florian Germanier.
Rezession unwahrscheinlich
Die UBS-Ökonomen rechnen weder in diesem noch im nächsten Jahr mit einer Rezession. Für 2022 wird ein BIP-Wachstum von 2,1 Prozent und für 2023 von 0,4 Prozent prognostiziert. Es bestehe eine gewisse Widerstandsfähigkeit, da die Haushalte während der Corona-Pandemie auf die angesammelten Ersparnisse zurückgreifen konnten, um einen Kaufkraftverlust auszugleichen.
Darüber hinaus stütze auch ein robuster Arbeitsmarkt die Wirtschaft. Allerdings würde die Schweizer Wirtschaft im Falle einer Energieknappheit wahrscheinlich deutlich schrumpfen.