Vor der Pandemie galten digitale Vermögensverwalter in der Schweiz als angezählt. Doch nun zeigt sich: die Marktturbulenzen seit Jahresbeginn haben bei den Robo-Advisor kaum Spuren hinterlassen. Recherchen von finews.ch zufolge wittert die Branche Morgenluft.
«Anlegerinnen und Anleger sind in turbulenten Zeiten technologisch agnostisch», sagt Adriano Lucatelli, Chef des digitalen Vermögensverwalters Descartes Finance. «Ob sie ein analoges Mandat bei einer Bank oder eine Anlage bei einem Robo-Advisor haben, spielt in der Situation von sehr hoher Volatilität weniger eine Rolle», sagt der Fintech-Pionier und früherer Banker im Gespräch mit finews.ch.
Die Robo-Advisor würden jedoch mit ihrem regelbasierten, emotionslosen Ansatz klare Vorteile bieten. «Das kann helfen, auf Kurs zu bleiben und keine irrationalen Entscheidungen zu treffen.» Lucatelli erwartet, dass sich die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz nachhaltig erhöhen kann, wenn Robos eine gute Performance erzielen. Dadurch werde die Nachfrage steigen.
Beinahe abgeschrieben
Damit bieten die jetzigen Verwerfungen eine echte Chance für einen auftstrebenden Branchenzweig, der 2019 nach diversen Schliessungen schon beinahe abgeschrieben gewesen war. Ende 2021 und diesen Anfang Jahres ereilte dann dasselbe Schicksal zwei Schweizer Apps zum Vorsorgesparen. Gelingt den «Robos» inmitten der Zinswenden und den Erschütterungen des Ukraine-Kriegs das Comeback?
Christian Mathis, der Mitgründer der auf Anlagesparlösungen spezialisierten Basler Viac, verweist darauf, dass die Finanzmärkte als Effekt der Corona-Krise schon seit längerer Zeit überdurchschnittlich starken Kursschwankungen ausgesetzt sind. «In der ersten Phase – nach der Korrektur durch die Corona-Krise – haben wir eine erhöhte Nachfrage festgestellt», sagte Mathis. In der aktuellen Situation sieht er bei den Anlegern etwas mehr Zurückhaltung. «Die Nachfrage hat sich in dieser zweiten Periode leicht unterdurchschnittlich entwickelt.»
Erstanleger mobilisiert
Das auf Impact-Investment fokussierte Fintech Inyova hat bei seinen Kunden zumindest keinen Anstieg der Rücktrittsanträge festgestellt, seit der Markt so stark nachgegeben hat. «Wir nehmen uns viel Zeit für die Kommunikation mit unseren Impact-Investoren, und das zahlt sich aus, wenn der Markt schwankt», sagt CEO und Co-Gründer Tillmann Lang. Alle Impact-Investoren von Inyova seien in Strategien investiert, die auf Langfristigkeit ausgelegt seien. «Daher ist es wichtig, dass sie nicht in Panik geraten und verkaufen, sobald es einen Einbruch gibt.»
Dennoch: Robo-Advisor werden laut dem Inyova-Chef immer beliebter. «Damit kann der Anlageansatz digitalisiert und automatisiert werden. Das bedeute, dass jede und jeder auch ohne grosse Anlagesumme eine professionelle Anlagestrategie erhalte. Zudem seien bei Inyova durch die digitale Anlagestrategie keine finanziellen Vorkenntnisse notwendig. «Über 80 Prozent der Inyova-Anlegerinnen und Anleger sind aktuell Erstanleger bei Aktien.»
Klare Abgrenzung
Als wichtig erachtet wird in der Kommunikation die klare Abgrenzung zu den traditionellen Anbietern. Viac versuche den Kunden die Tragweite von tieferen Kosten deutlich zu machen, etwa über einen Gebührenrechner. Unterschiede von einem Viertel- oder einem halben Prozent könnten über einen langen Anlagehorizont mehrere Zehntausend Franken ausmachen, gibt Chef Mathis zu bedenken.
Neugeld in unruhigen Zeiten
Während sich bei Privatbanken wie Julius Bär nun erste Bremsspuren und Mittelablüsse im Ausweis zeigen, wir beim Pionier True Wealth der Einfluss des Markgeschehens auf das Wachstum in der Sparte als eher gering bewertet. «Die Börsenturbulenzen der vergangenen Tage haben sich bei uns bislang nicht bemerkbar gemacht», sagt CEO Felix Niederer. «Portfolioschliessungen sind unverändert auf sehr niedrigem Niveau und die Kontoeröffnungen befinden sich auf dem Niveau der Vorwochen, weit über den Schliessungen.» Auch in diesen unruhigen Zeiten verzeichne man somit netto Mittelzuflüsse und Kundengewinne.
Als Faktor verweist Niederer dabei darauf, dass die Portfolien über verschiedene Anlageklassen gut diversifiziert sind und die Kunden im Schnitt von der Performance her weiterhin stark im Plus liegen.
Geld braucht ein Zuhause
«Robo-Advisory ist in der Schweiz immer noch ein Nischen-Produkt» betont Lucatelli. «Die Wachstumszahlen sind hoch, aber auf einer niedrigen Basis.» Er rechnet aber damit, dass die Beliebtheit weiter zunehmen wird, insbesondere bei der jüngeren Kundschaft, für welche ein Gang zu einer Babkfiliale schlicht «undenkbar» sei.
Bei den Banken rechnet Lucatelli weiter nur mit kleinen Schritten. «Sie fangen mit Produkten an, die sich leicht digitalisieren lassen, wie zum Beispiel die Säule 3a, einfachere Musterportfolios für Aktiensparpläne oder Trading-Möglichkeiten mit Fractionals.» Das eigentliche Private Banking stehe noch am Anfang der Digitalisierung. Dort werde sich wahrscheinlich das hybride Modell durchsetzen.
«Im oberen Segment ist es auch wichtig, dass das investierte Geld ein Zuhause hat. Die Anlegerinnen und Anleger wollen wissen, mit wem sie es zu tun haben und wer das Geld schliesslich verwaltet.»
Banken haben ein Netz zu bespielen
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Viac-Chef Mathis. «Die Banken positionieren sich bekanntlich mit ihrer gelebten Kundennähe, indem sie das bestehende Vertriebsnetz an Kundenberatern optimal einsetzen und weniger durch automatisiertes Anlegen obsolet machen.» Digitalisierung werde da nur als «nützliches Instrument» gesehen. Damit soll wiederum die Beratung unterstützt werden, um eine effizientere Arbeitsweise zu ermöglichen und den Kunden ein moderneres Nutzererlebnis zu bieten.
Wenn aber nur digitalisiert und nicht automatisiert wurde, würden solche Projekte «schief in der Landschaft stehen». Dann brächten die hohen Investitionskosten keine Einsparungen im Betrieb, so der Viac-Lenker, der das Unternehmen in Kooperation mit der schweizweit tätigen WIR Bank betreibt.
Wer innoviert?
«Die Finanzindustrie gehört zu den Branchen, die an ihren Modellen überwiegend festhalten und sich nur langsam auf die Digitalisierung einlassen, obwohl es natürlich auch Ausnahmen gibt», heisst es bei Inyova. Vor allem die Grossbanken würden sich schwer damit tun, agil und flexibel zu sein, und Innovation Raum zu geben. «Innovationen kommen vor allem von den technologiestarken Anbietern und oft auch von Start- und Scaleups», findet Lang.