Wenn der Euro unter die Marke von 1.05 Franken fällt, dann erregt das nicht nur an den Devisenmärkten Aufmerksamkeit.
Corona, Inflation und Zinsen: Das sind kurz zusammengefasst die Treiber der aktuellen Frankenstärke. Das dürfte auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) als Währungshüterin zusätzlich unter Druck setzen.
Am (gestrigen) Donnerstag notierte der Euro erstmals seit Juli 2015 wieder unter der Marke von 1.05 Franken. Nach einer zwischenzeitlichen Erholung ging es dann auch am Freitag deutlich bergab; derzeit kostet ein Euro nur noch 1.0455 Franken.
Schweizer Hafen lockt
Die Entwicklung folgt dabei dem klassischen Muster: In unsicheren Zeiten spielt der Franken seine Stärke als «sicherer Hafen» für Investoren aus. Und der Verlauf der jüngsten Corona-Welle in Deutschland und Österreich sorgt nun mal für reichlich Unabwägbarkeiten und Sorgen.
Aber auch die vergleichsweise niedrigere Inflation in der Schweiz ist ein Faktor: Im Euroraum lag die Inflationsrate im vergangenen Oktober bei 4,1 Prozent und in Deutschland bei 4,5 Prozent. In der Schweiz stand die Teuerung zuletzt bei 1,2 Prozent.
Ob die Nationalbanker angesichts der Frankenstärke am Devisenmarkt intervenieren, bleibt fraglich. Der nimmt allgemein an, dass die SNB ab 1.05 Franken zum Euro eingreift. Bisher reichte oft schon die Furcht der Händler, in eine solche Intervention hineinzulaufen, um bestimmte Marken zu verteidigen.
Ruf nach Zinserhöhung wird lauter
Erst wenn in Euroland die Zinsen steigen, wird auch die SNB wieder mehr Spielraum haben, um die Geldflut einzudämmen und von den Negativzinsen zu einer «normalen» Geldpolitik zurückzukehren. Die Stimmen, die genau das auch von EZB-Präsidentin Christine Lagarde fordern, werden zahlreicher und lauter.
Auch Schweizer Banker wollen nicht mehr so ganz an die Legende des vorübergehenden Phänomens glauben. Die Welt könnte in den nächsten ein bis drei Jahren «unangenehm hohe» Inflationsraten erleben, sagte Axel Weber, Verwaltungsratspräsident der UBS, am Mittwoch an einem Kongress in Singapur.
(Zentrale der EZB in Frankfurt; Bild: Shutterstock)
Einer der prominentesten Kritiker der vergangenen Wochen sitzt nur wenige Kilometer von der EZB-Zentrale entfernt in den Doppeltürmen der Deutschen Bank. Deren CEO Christian Sewing hatte angesichts steigender Inflationsraten ein Ende der ultralockeren Geldpolitik gefordert. «Das vermeintliche Allheilmittel in den vergangenen Jahren – niedrige Zinsen bei vermeintlich stabilen Preisen — hat seine Wirkung verloren. Denn jetzt kämpfen wir mit deren Nebenwirkungen», erklärte der Manager.
Zentralbanken sollen gegensteuern
Bereits in den Wochen davor hatte Sewing in seiner Einschätzung zur Inflation eine deutliche differenzierte Position als Lagarde eingenommen. «Auf mich persönlich macht mit Blick auf die Geldwert-Stabilität skeptisch, was ich in den Gesprächen mit unseren Kunden höre. Sie alle richten sich darauf ein, dass die hohen Inflationsraten länger andauern werden. Und wir wissen, was das heisst: Steigen die Inflationserwartungen, dann steigt in der Regel irgendwann auch die Inflation – und zwar längerfristig.»
Die Geldpolitik müsse gegensteuern, forderte Sewing, und das eher früher als später. «Die Folgen dieser ultralockeren Geldpolitik werden sich immer schwerer heilen lassen, je länger die Zentralbanken nicht gegensteuern.»
Konjunktur nicht abwürgen
Doch im EZB-Tower schätzt man die Risiken für die Konjunkturerholung durch steigende Zinsen weiterhin höher ein als die Gefahren der Inflation. «In einer Zeit, in der die Kaufkraft bereits durch höhere Energie- und Treibstoffkosten geschmälert wird, würde eine unangemessene Straffung einen ungerechtfertigten Gegenwind für den Aufschwung bedeuten», betonte EZB-Präsident Lagarde an einem Bankenkongress in Frankfurt am Freitag.
Die Notenbank dürfe «angesichts vorübergehender oder angebotsbedingter Inflationsschocks» nicht zu einer vorzeitigen Straffung der Geldpolitik übergehen». Sie verweist weiter auf Sonderfaktoren, Energiepreise und die Lieferengpässe und rechnen mittelfristig mit einer Normalisierung hin zur Zielmarke von 2 Prozent.