Thomas Mayer, Chefökonom der Deutschen Bank, im Interview mit finews.ch über die Staatsverschuldung, den Franken und Währungskriege.
Herr Mayer, welche drei Themen beschäftigen den Chefökonomen der Deutschen Bank momentan am meisten?
Thomas Mayer: Erstens die Konjunktur: Kommt es zum einem Double Dip, oder hält sich die Wirtschaft? Zweitens das Trendwachstum nach der Banken- und Immobilienkrise, und drittens die Frage, wie wir die ausufernde Staatsverschuldung wieder in den Griff kriegen.
Die Überschuldung ist auch für Anleger eine besorgniserregende Entwicklung. Wie weit kann sie noch gehen?
Die Staatsverschuldung der grössten westlichen Industrienationen ist im Verlauf der letzten drei Jahre im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt von 80 auf 100 Prozent gestiegen. Sie dürfte in diesem Jahrzehnt nochmals um 38 Prozent zulegen. Im Gegensatz dazu beträgt dieser Wert in den Schwellenländern aktuell 40 Prozent und wird auf 38 Prozent sinken.
«Der schlauere Anleger sollte in die andere Richtung gehen»
Welchen Schluss ziehen Sie daraus?
Für die Industrieländer wird die Überschuldung das Thema in diesem Jahrzehnt sein, zumal es unmöglich sein wird, das Ruder in dieser Zeit nochmals herumzureissen. Selbst unter günstigsten Annahmen wird man es in den nächsten zehn Jahren nicht schaffen, unter 100 Prozent zu kommen. Im ungünstigsten Fall werden wir mehr als 150 Prozent sehen.
Wie sollten sich Anleger verhalten?
Heute ist es am besten, ein Contrarian zu sein, also gegen den Strom zu schwimmen. Wenn viele Investoren in die vermeintlich sicheren Obligationenmärkte fliehen und überhöhte Preise zahlen, nur um Volatilität zu meiden, sollte der schlauere Anleger in die andere Richtung gehen. Mit «risikoreicheren» Assets ist man besser bedient
Warum?
Privatanleger können eine gewisse Volatilität in Kauf nehmen. Sie müssen nicht jedes Quartal an irgendwelche Investoren berichten und zeigen, dass sie Zuwachs haben. Langfristig werfen Aktien eine höhere Rendite ab als Bonds. Bei den vermeintlich sicheren Obligationen könnte es angesichts der staatlichen Einflussnahme ein böses Erwachen geben.
«So besehen ist auch die Schweiz gut unterwegs»
Was wären «risikoreichere» Anlegen?
Aktien und Indizes von gut aufgestellten Firmen in Europa, zumal ich erwarte, dass die globale Wirtschaft weiter robust wachsen wird – ausgehend von den Schwellenländern. Bei einem breit gestreuten Aktienportefeuille ist viel Masse da, so dass die Volatilität begrenzt bleibt.
Wo findet der Anleger «gute» Unternehmen?
In Deutschland etwa, wo die Firmenwelt stark exportorientiert ist und sich bereits von langsamer wachsenden Volkswirtschaften abgewendet hat und in Asien gut positioniert ist, namentlich auch in China. Wer in Firmen mit einem hohen Exportanteil investiert, profitiert indirekt von den Schwellenländern und mit weniger Risiko als bei Direktanlagen. So besehen ist auch die Schweiz mit ihren global tätigen Unternehmen gut unterwegs. Da mache ich mir keine Sorgen.
«Ein Problem hat die Schweiz mit dem Franken»
Geniesst die Schweiz weiterhin eine Sonderrolle in der Schweiz?
Das Land steht im aktuellen Umfeld zweifellos gut da. Es gibt eine Reihe von Firmen, die weniger US-zentriert sind und stattdessen vom Wachstum in den Schwellenländern profitieren. Ein Problem hat die Schweiz mit dem Franken. Als Fluchtwährung ist er unerwünschten Aufwertungserscheinungen ausgesetzt, was die Konkurrenzfähigkeit des Landes belastet.
Die Schweizerische Nationalbank hat erfolglos gegen dieses Phänomen angekämpft.
Wie andere Länder auch. Das führt letztlich dazu, dass die Geldpolitik weltweit lockerer sein wird, was wiederum der Inflation zusätzlichen Auftrieb gibt.
Baut sich in den Schwellenländern eine neue Blase auf?
Das denke ich nicht. Wenn es eine Blase geben sollte, dann stehen wir erst ganz am Anfang. Die Schwellenländer setzen ihren Aufholprozess der letzten dreissig Jahre fort. Diese Entwicklung wird mindestens dieses und das nächste Jahrzehnt noch laufen. Dass manche Börsen, die eng und teilweise noch nicht gut reguliert sind, zwischenzeitlich korrigieren, ist unvermeidlich. Aber eine Blase sehe ich nicht.
«Es gibt ein ökonomisches Kalkül»
Droht ein Währungskrieg zwischen den USA und China?
Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass diese Länder eine aggressive Auseinandersetzung miteinander führen. Die Amerikaner argumentieren, dass es ihnen nicht darum geht, den Dollar abzuwerten, sondern die inländische Geldmenge zu erhöhen. Umgekehrt haben jene Länder, die sich negativ davon betroffen fühlen, bisher nur defensiv reagiert.
Trotzdem ergriffen gewisse Länder Massnahmen.
Es gab eine neue Steuer auf Kapitalimporte in Brasilien, und die Thailänder haben eine Quellensteuer für ausländische Anleger eingeführt. Das sind mässige Reaktionen. Ermutigend ist, dass die Chinesen keine aktive Abschottungspolitik betreiben Das ökonomische Kalkül aller legt wohl nahe, dass man in einer globalisierten Welt kooperieren muss. Wenn wir die Globalisierung rückabwickeln, wird das wirtschaftliche Wachstum mit einem Schlag weg sein. Dann würde ich auch nicht mehr in Aktien investieren.
Thomas Mayer ist seit 1. Januar 2010 Chefvolkswirt der Deutsche Bank Gruppe und Leiter von Deutsche Bank Research. Er folgte auf Norbert Walter (65), der Ende 2009 altersbedingt aus dem aktiven Dienst der Bank ausschied.
Von 2002 bis 2009 war Chief European Economist und Co-Head of Global Economics der Deutschen Bank in London. Zuvor war Thomas Mayer für Goldman Sachs (1991-2002) und Salomon Brothers (1990-1991) in London und Frankfurt tätig.
Bevor er in die Privatwirtschaft wechselte, bekleidete er verschiedene Funktionen beim Internationalen Währungsfonds in Washington (1983-1990) und beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel (1978-82). Der 1954 geborene Thomas Mayer promovierte 1982 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und trägt den Titel eines Chartered-Financial-Analyst (seit 2002).
Thomas Mayer hat zahlreiche Artikel zu internationalen und europäischen Wirtschaftsthemen in Fachzeitschriften veröffentlicht und in den Medien zu diesen Themen Stellung genommen.