Bis vor wenigen Jahren bestand kein Zweifel, dass Hongkong mittelfristig Singapur als Finanzplatz überrunden würde. Das schiere Potenzial an Marktvolumen angesichts der Nähe zu China war Grund genug dafür. Doch diese Selbstverständlichkeit hat sich in wenigen Wochen im Nichts aufgelöst.
Die dramatische Eskalation in Hongkong verunsichert die Geschäftswelt zunehmend. Bilder von einem Mob in weissen Hemden, der willkürlich auf Passanten in der U-Bahn einschlägt, haben die ganze Welt aufgewühlt.
Dies umso mehr, als ein Szenario, bei dem sich die Situation wieder entschärfen könnte, immer unwahrscheinlicher wird. Zu gross wäre der Gesichtsverlust Chinas, sollten sich die vorwiegend jungen Demonstranten in der einstigen britischen Kronkolonie in ihren Demokratiebestrebungen durchsetzen. Darum wird jetzt auch schon darüber spekuliert, ob und wann die chinesische Volksarmee in Hongkong einmarschieren könnte.
«Paradies» in vierstündiger Flugdistanz
Grosser Nutzniesser dieser Entwicklung ist – wie sich immer deutlicher zeigt – der knapp vier Flugstunden entfernte Stadtstaat Singapur. Seit ungefähr vierzig Jahren existiert dort ebenfalls ein internationales Finanzzentrum, das vor allem auf die Vermögensverwaltung (Wealth Management) für Private und Familien ausgerichtet ist.
Mittlerweile gibt es eine Handvoll guter Gründe, weshalb die Löwenstadt am Äquator definitiv die Oberhand in Asien gewinnen könnte – insbesondere gegenüber Hongkong.
1. Die Kunden sind älter und reifer
Diejenigen Kunden, die in Singapur buchen, sind in der Regel anspruchsvoller und damit auch lukrativer. Das ist auf ihr Alter und vor allem auf den Umstand zurückzuführen, dass es sich dabei um Familienvermögen aus ganz Asien handelt, namentlich aus Indonesien, Indien oder aus dem Nahen Osten. Dies ist der Schlüssel zum Erfolg. Denn vor dem Hintergrund der zunehmend unsicheren Situation in Hongkong, werden noch mehr wohlhabende Leute Singapur als «sicheren Hafen» aufsuchen.
Hongkong mag zwar den Vorteil haben, zum Teil enorme Vermögen aus China zu beherbergen, doch die Qualität dieses Geld ist – gelinde gesagt – heikel und zumeist auch unrentabel. Denn viele Chinesen haben ihre Vermögen in relativ einfachen Finanzprodukten investiert, zumal sie am liebsten selber handeln.
Ausserdem nutzen sie ausländische Finanzinstitute oftmals bloss als Depotbanken oder parken ihr Geld in langfristige strategische Beteiligungen, mit denen die Banken selber nicht viel verdienen können – selbst wenn sie inzwischen alles anderen setzen, diese Vermögenswerte aktiver zu bewirtschaften.
2. Der Nachschub aus China ist versiegt
Hongkongs Trumpf gegenüber Singapur war bislang die Nähe zu China und der Status als bevorzugtes Ziel für Offshore-Vermögen, also für Geld, das Chinesen aus ihrer Heimat ausschaffen wollen. Doch mit der jüngsten Eskalation in Hongkong ist dieser Zufluss aus dem Reich der Mitte versiegt. «Wir haben in den vergangenen Wochen vermehrt Kundenanfragen zur Situation in Hongkong erhalten», bestätigt denn auch Lawrence Lua, stellvertretender Leiter im Private Banking der führenden Singapurer Bank DBS.
Obschon die Singapurer Finanzaufsichtsbehörde, die Monetary Authority of Singapore (MAS), die Banken explizit angewiesen hat, die dramatische Situation in Hongkong nicht für eigene Zwecke, sprich kommerzielle Zwecke, auszuschlachten, sondern zurückhaltend zu agieren, streitet mittlerweile kaum ein grösseres Institut mehr ab, von bisherigen Hongkong-Kunden regelrecht überrannt zu werden.
Dies gilt übrigens auch für taiwanesische Kunden, die ihr Geld aufgrund der Unberechenbarkeit Chinas ebenfalls nach Singapur verlagern. Die UBS hat bereits vor einigen Jahren ihre Aktivitäten in Taiwan ausgebaut und könnte von dieser Entwicklung besonders profitieren, da sie in Singapur ihre grösste Wealth-Management-Präsenz in Asien unterhält.
Last but not least, asiatische – wie wohl alle – Geschäftsleute lieben Ordnung, Rechtsstaatlichkeit und Ruhe. Das alles finden sie in Singapur.
3. Wie man neue Kunden gewinnt
Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen einer Onshore-Strategie, also mit einer Niederlassung in einem Land, und einer Offshore-Strategie, sind die Kosten bei der Gewinnung neuer Kunden.
Ohne Onshore-Präsenz wird es für Banken immer schwieriger, an neue Kunden mit internationalen Bedürfnissen zu kommen, zumal diese nun häufiger auch im eigenen Land investiert sind. Vor diesem Hintergrund ist Singapur ein idealer Dreh- und Angelpunkt, um in Südostasien in andere, vielversprechende Länder zu expandieren.
Sei es mit einer eigenen Onshore-Präsenz, wie die Credit Suisse in Thailand, oder über eine Kooperation mit einem lokalen Partner, wie das Lombard Odier auf den Philippinen mit der Union Bank oder in Indonesien mit der Bank Mandiri macht. Dieser Trumpf als Expansions-Hub im wachstumsstarken Asien bleibt Hongkong verwehrt.
4. Ein Regulator der Zukunft
Die MAS gilt aufgrund ihres umsichtigen, modernen und technisch hoch kompetenten Vorgehens als die führende Finanzaufsichtsbehörde in Asien. Als jüngstes Beispiel, das diese These bestätigt, gilt der Umgang mit dem virtuellen Bankwesen – ein sehr wichtiger Bereich für die Vermögensverwaltung der Zukunft.
Obwohl Hongkong als erstes Land einschlägige Lizenzen erteilte, legte es gleichzeitig Wert darauf, dass unter diesen Empfängern nur etablierte Kreditinstitute waren. Im Gegensatz dazu schreckte die MAS nicht davor zurück, auch reine Internetbanken zu berücksichtigen.
Die Zeit wird zeigen, wer diese Wette gewinnt. Es wird aber derzeit deutlich, dass in Singapur ein Regulator am Werk ist, der die Zukunft stärker gewichtet als die Vergangenheit.
5. Proaktiv Wachstumsmärkte erschlossen
Im Gegensatz zu Hongkong haben es die Regierungsvertreter in Singapur seit Jahren verstanden, neue (Finanz-)Bereiche aus- und aufzubauen. Im Banking ist dies zum Beispiel das Geschäft mit unabhängigen Vermögensverwaltern (External Asset Managers EAM) oder die Ansiedelung von Family Offices. Für solche Institute hat die MAS proaktiv die nötigen rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen geschaffen – damit Sicherheit und Verbindlichkeit bestehen.
So findet indirekt eine langfristige Standortförderung statt, die von der Branche umso mehr geschätzt wird. In Hongkong müssen EAM diverse Lizenzen lösen, um ihre verschiedenen Tätigkeiten, wie Brokerage, Advisory, Asset Management, ausüben zu können.