Thomas Borer zu neuen Nazi-Vorwürfen: «Credit Suisse hat falsch reagiert»

Gehen wir an den Ursprung der neuen Affäre: Im März 2020 konfrontierte das Simon Wiesenthal Center, eine Lobby-Organisation, die Credit Suisse mit einer Liste von 12’000 gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern deutscher Firmen in Argentinien nach dem Zweiten Weltkrieg.

Das Simon Wiesenthal Center ist bekannt dafür, dass es sich intensiv der Verfolgung von Nationalsozialisten widmet. Es hat schon in der Auseinandersetzung 1996 bis 1999 auf unrühmliche Art und Weise auf sich aufmerksam gemacht, indem es historische Berichte veröffentlicht hat, die ungeheuerliche, aber völlig falsche Vorwürfe gegen die Schweiz erhoben haben.

Neu stellte es nun die Behauptung auf, dass es sich bei den Namen auf der Argentinien-Liste um Nazis handelte. Viele von ihnen hätten sich während der NS-Zeit an jüdischen Vermögen bereichert und später diese Gelder auf Konten der Schweizerischen Kreditanstalt überwiesen.

Diese argentinischen Listen habe ich selber noch nicht gesehen. Aber es ist bekannt, dass sehr viele Nationalsozialisten nicht in die Schweiz sondern nach Argentinien geflohen sind und wohl auch Gelder dorthin transferiert haben. Dies allerdings nicht über die Schweiz, da diese eben gerade kein «Safe Haven» für Nazis war. In Deutschland wusste man, dass wir keinerlei Sympathien für den Nationalsozialismus und die Hitler-Schergen hatten. Entsprechende Listen lagen teilweise schon der Bergier-Kommission und dem Volcker-Komitee vor und wurden analysiert. Es wurde dazu sogar eine ausführliche Spezialstudie verfasst, die zu wenig konkreten Ergebnissen kam, obwohl die Autoren Zugang zu allen Akten hatten. Insofern habe ich nicht viel Angst vor diesen angeblich neuen Listen.

Mit dieser Liste konfrontiert, setzte die Credit Suisse das amerikanische Forensik-Unternehmen AlixPartners ein, um die Vorwürfe zu prüfen. Diesem wurde der ehemalige Staatsanwalt Neil Barofksy als Ombudsmann zur Seite gestellt.

Aus meiner Sicht haben damals die Verantwortlichen bei der Credit Suisse und die Schweizer Anwälte, mit denen ich in Kontakt war, falsch reagiert. Sie hätten sich von Anfang an auf den Vergleich von 1998, die Untersuchungen des Volcker-Komitees und der Bergier-Kommission abstützen sollen. Stattdessen haben sie den Fehler gemacht, dass sie dieser «Holocaust-Industrie», dem Wiesenthal Center und amerikanischen Anwälten und Agenturen die Tür geöffnet haben.

«Die Schweiz hat unter demokratischen Präsidenten wie Bill Clinton, Barack Obama oder jetzt Joe Biden immer grosse Schwierigkeiten gehabt.»

Mit entsprechenden Kostenfolgen. Die Bergier-Kommission kam damals mit 20 Millionen Franken aus, das Volcker Committee mit etwa dem Zehnfachen. Die neue Untersuchung unter Neil Barofsky hat jetzt schätzungsweise bereits 100 Millionen gekostet.

Wer aus Krisen nichts lernt, ist dazu verdammt, die gleichen Fehler zu wiederholen. Die Credit Suisse hat am Anfang der Auseinandersetzung falsch reagiert und sich nicht auf die umfassenden Abklärungen zwischen 1996 und 1999 und den Vergleich berufen. Sie hat den Trittbrettfahrern, die mit dem Leid der Holocaust-Opfer auch 80 Jahre später noch Geld verdienen, Tür und Tor geöffnet. Am schlimmsten ist, dass keine dieser Millionen den Holocaustopfern, die allenfalls noch am Leben sind, zugute kommt.

Herr Barofksy hat sozusagen Generalvollmacht über das CS-Archiv. Er fliegt jeweils mit Dutzenden Beratern aus den USA ein.

Auch das war bereits in den 1990er-Jahren der Fall. Damals haben die Amerikaner US-Berater der grossen Revisionsfirmen in die Schweizer Archive geschickt. Alle dort verwahrten Dokumente waren naturgemäss auf Deutsch, Französisch oder Italienisch, Sprachen, welche die US-Berater nicht kannten. Vieles musste übersetzt werden. Das hat die Kosten unglaublich in die Höhe getrieben. Das Volcker-Komitee und die damit zusammenhängenden Kosten der Revision dürften die Banken konservativ geschätzt ungefähr 300 Millionen Franken gekostet haben. Dazu kommen aber die Kosten für die Banken, in ungefähr gleicher Höhe. Man kann sich vorstellen, was es finanziell für Folgen hat, wenn amerikanische Berater versuchen, sich heute einen Weg durch die fremdsprachigen Schweizer Archive aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu bahnen.

Für ihn ist es ein Schlaraffenland: Er bewegt sich frei von Budget- und Kostenrestriktionen durch die Archive, darf jeden Buchstaben x-fach umdrehen…

Davon träumt jeder Berater. Derselbe Fehler wurde 1996 und 1997 von den Schweizer Bankiers gemacht. Sie dachten zu Beginn, das Volcker-Komitee koste zwischen 5 und 10 Millionen. Dabei haben sie allerdings nicht mit der Findigkeit und Geldgier schweizerischer und amerikanischer Anwälte und Revisoren gerechnet. Rein finanziell gesehen, dürfte die Auseinandersetzung die Schweiz und ihre Unternehmen ab 1995 die horrende Summe von annähernd 3,5 Milliarden Franken gekostet haben, also ungefähr gleich viel, wie die Eidgenossenschaft pro Jahr für die Landesverteidigung ausgab.

Bislang ist die Ausbeute der Barofsky-Untersuchung bescheiden. Gemäss dem Zwischenbericht Barofskys an das Budget Committee im US-Senat sollen etwa 30 bislang unbekannte Nazi-Konten aufgetaucht sein.

Wenn überhaupt… Schon bei den Untersuchungen durch die Bergier- und Volcker-Kommissionen sind in den Akten immer wieder Konten mit Namen wie Rudolf Hess oder Erich Müller aufgetaucht. Das waren zwei berühmte Nationalsozialisten. Hess war einer der 24 Angeklagten im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Aber den Namen Rudolf Hess gab es in den 1940er-Jahren im Schweizer Telefonbuch dreissig Mal, Erich Müller gar hunderte Male. Das heisst, es kann sich auch um völlig unbescholtene Bürger gehandelt haben. Es beginnt schon bei der Frage: Was ist ein Nationalsozialist? Es gab in Deutschland Millionen von NS-Parteimitgliedern. Dann gab es verurteilte Kriegsverbrecher wie Rudolf Hess und Erich Müller. Es ist meines Erachtens nicht sichergestellt, dass diese jetzt neu gefundenen Konten nationalsozialistischen Tätern gehört haben.


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